Das erleben derzeit die US-amerikanischen Opernhäuser und Kulturorchester, denen reihenweise die Sponsoren abhanden kommen, das erleben die deutschen Theater und Orchester in zunehmendem Maß seit vielen Jahren. Aber wer achtet schon auf die Ausschläge der Seismographen, wenn sie sich im Orchideen-Gewächshaus der Kultur befinden? Da kann „Oper & Tanz“ noch so oft grimmig titeln, Hans Eichel hungere die Städte aus – wen schert das schon, wenn es zum Beispiel Wahlen zu gewinnen gilt? Jetzt endlich, da das widersinnige Wort vom wirtschaftlichen Null-, ja Minuswachstum wieder in aller Munde ist, da nichts mehr wächst als die Defizite und die Schulden, fallen mit den Steuereinnahmen, gar den Preisen auch die politischen Hüllen. Vom „Land der Lügen“ spricht ein Wochenmagazin und Bayerns wohlerzogener Finanzminister Faltlhauser donnert bei einer friedlichen Festveranstaltung unversehens los, Deutschland lebe seit dreißig Jahren über seine Verhältnisse, schütte seit dreißig Jahren alle politischen und sozialen Konflikte mit Geld zu, das es sich jeweils borgen muss – und stecke jetzt hilflos in der Schuldenfalle. Selbsterkenntnis ist ein erster Schritt zur Besserung; Agenden, Reformpläne, mögen sie noch so kakophonisch vorgetragen sein, und das verstohlene Liebäugeln mit einer informellen Großen Koalition gehören auch in diese Kategorie. Doch wo bleiben die zweiten und weiteren Schritte? Denn die Erkenntnisse sind ja nicht neu, waren nur verdrängt. Dass die Beamtenpensionen à la longue nicht zu finanzieren seien, wusste schon die 1970 vom damaligen Bundesminister Hans-Dietrich Genscher auf Beschluss des Bundestages eingesetzte „Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts“. Wen kümmerte das? Genscher verzog sich nach Vorstellung des Kommissionsberichts flugs ins Außenministerium, denn schließlich zählte er die Beamten zu seiner Wählerklientel. Und die „Rentenlügen“ aller Art florieren seit der Kanzlerschaft Helmut Schmidts. Doch rückblickender Zorn sei Fernseh-Quassel-Runden überlassen: Sind deine Arbeitslosen etwa meine Arbeitslosen? Nach vorne schauend steht die katastrophale finanzielle Lage der Städte, Stadtstaaten und Kommunen im Blickpunkt kulturpolitischer Interessen. Denn mit den Kommunalen Haushalten droht die deutsche Kultur, die eine überwiegend städtische ist, zu kollabieren. Schimpfen hilft nicht, weil man einer nackten Kulturdezernentin ebenso wenig in die Tasche langen kann wie einem unbekleideten Oberbürgermeister. Und rückblickend die Verantwortlichen haftbar zu machen, hilft nur insoweit, als zu lernen ist, welche Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden dürfen. Zu solchen Fehlern würde es zählen, folgte die – allzu dröge arbeitende – Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen dem unsäglichen Vorschlag des Bundesverbandes der deutschen Industrie, den Kommunen ein Zuschlagsrecht auf Einkommen- und Körperschaftssteuern zuzugestehen. Das würde nur wieder die Steuerlast der Beschäftigten zu Gunsten der Wirtschaft erhöhen, den Städten aber weniger helfen als den schon heute schmarotzenden Speckgürtel-Gemeinden. Gegenstand ernsthafter Überlegungen kann nur die Rekonstruktion der Gewerbesteuer sein: Rücknahme der Waigel‘schen Freibeträge und der Spreizung der Messbeträge sowie der Eichel‘schen Erhöhung der Bund-/Länder-Umlage, ferner eine Verbreiterung der Gewerbesteuerbasis. Fatale Folge des Nebeneinanders der außerparlamentarischen Alibi-Konsens-Kommissionen – gibt es eigentlich noch einen Bundestag? – ist es, dass sie sich nicht nur durch das Schneckentempo ihrer Arbeit selbst blockieren: Käme zum Beispiel das Arbeitslosengeld II, das zu zahlen dem Bund obläge, brächte dies eine Entlastung der Kommunen, die wiederum die Bund-/Länder-Umlage bei der Gewerbesteuer in anderem Licht erscheinen ließe. Alles hängt halt mit allem zusammen. Die selbstverschuldete Unmündigkeit deutscher Politik strapaziert die Geduld, in die es sich aber zu fassen gilt. Der Kultur bleibt derzeit nur das Beten – und währenddessen sich wie weiland Münchhausen mit eigener Kraft am eigenen Zopf so hoch zu halten, dass der modrige Schlamm nicht in Mund und Nase dringt.
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