Berichte
Ein Bärendienst
Albert Lortzings „Hans Sachs“ an der Oper Leipzig
In Richard Wagners „Meistersinger“ ist Hans Sachs ein resignativer, skeptischer, human temperierter Beobachter der Menschen im Geiste Schopenhauers, ein liebes- und lebenserfahrener älterer Herr, der weit mehr über Kultur und Gesellschaft nachdenkt als über die Liebe wie sein jugendliches Alter Ego in Lortzings „Hans Sachs“. Diese Oper kam schon 28 Jahre vor Wagners Oper in Leipzig zur 400-Jahr-Feier der Erfindung der Buchdruckerkunst heraus und hatte nur kurz Erfolg. Wagner kannte das Werk, hat die Hauptfigur seiner „Meistersinger“ dann aber mit einer gesellschafts- und kunstutopischen (politischen) Stoßrichtung dramaturgisch völlig anders gestaltet.
Görg, schlafend auf dem Tisch (Adam Sánchez), Chor der Musikalischen Komödie Leipzig. Foto: Kirsten Nijhof
Bei Lortzing stehen Liebe, Poesie und Vaterland im Vordergrund, vom biederen Libretto wortreich beschworen. Eine Verklärung von ehemaliger Reichsherrlichkeit und vorkapitalistischer Idyllik. Der Unterschied zwischen Wagner und Lortzing ist eklatant: Wagner ging es um die Auseinandersetzung von alter und neuer Musik, um nicht zu sagen um „Zukunftsmusik“. Bei ihm ist Hans Sachs die humanistisch idealisierte Integrationsfigur einer „ästhetischen Weltordnung“ (Udo Bermbach). Mit ihr redet Wagner einer demokratischen Gesellschaft das Wort, in der Natur und Kultur, Kunst und Leben versöhnt werden. Nichts davon in Lortzings schlichter, eindimensionaler Dramaturgie. Einige seiner übrigen zwanzig Bühnenwerke sind in ihrer vormärzlichen Sozialkritik deutlicher und radikaler.
Die Liebe des Schusterpoeten zur Tochter des wohlhabenden, gesellschaftlich arrivierten Goldschmieds und Bürgermeisters trifft auf dessen und der Nürnberger Ehrbaren strikte Ablehnung, ja Ausweisung aus Nürnberg. Dieser Konflikt – Anlass für sentimentalische Ohrwurmmelodik – wird aufgelöst durch die Enthüllung einer dreisten Intrige durch das Auftreten des „guten“ Kaisers als „Deus ex machina“. Bei aller Verehrung Albert Lortzings: Sein „Hans Sachs“ bleibt – entgegen aller anderslautender Wertschätzungen mancher Lortzing-Spezialisten – weit hinter der dramaturgischen wie melodischen Originalität und raffinierten Musikalität seiner übrigen Werke zurück. Allen handwerklich gediegenen Arien, Terzetten, Quartetten, Ensembles und effektvollen Chören zum Trotz: Die Musik zündet nicht wirklich, obwohl Tobias Engeli das Orchester der Musikalischen Komödie ordentlich anzufeuern weiß.
Dass die an sich erfreuliche Leipziger Ausgrabung langweilt, liegt weniger am Dirigenten, auch nicht an den durchweg überzeugenden Solisten (Justus Seeger als Hans Sachs, Mirjam Neururer als Kunigunde, Adam Sánchez als Görg, Sandra Maxheimer als Cordula, Andreas Rainer als Eoban Hesse, Milko Milev als Meister Steffen und Christian Henneberg als Kaiser Maximilian I.). Es ist die Regie, die in karnevalsbunter Kinderzimmer-Spaßigkeit (Spießigkeit) das Stück verharmlost und entortet. Zwar wird am Beginn der etwa dreistündigen Aufführung der Schriftzug „Nürnberg“ auf die Rückwand des blauen Kastens projiziert, in dem alle drei Akte spielen. Doch der Leipziger „Hans Sachs“ spielt irgendwo und nirgendwo, auf, über, an und zwischen blauen Vorhängen, Bänken und Tischen, die von den Akteuren fleißig hin- und hergeschoben werden. Auch aufleuchtende Neonwölkchen und die hinzugefügte Figur eines gern huckepack aufsitzenden, geflügelten Amors machen die kindliche Inszenierung der jungen Leipziger Regisseurin Rahel Thiel nicht überzeugender. Dass sie allerhand diverse Texte und Liebeslieder auf die Bühne projizieren, ja sogar rezitieren lässt, verwässert das Stück unnötig und verbessert es nicht.
Das eklatanteste Eigentor der Produktion ist allerdings der absurde Einfall, Sachsens Schlussansprache aus Wagners „Meistersinger“ in Wort und Ton einzufügen. Das ist denn doch eine andere musikalische Liga! Diese unfaire Konfrontation zweier grundverschiedener musikalischer Welten bricht der Aufführung das Rückgrat. Mit dieser so bearbeiteten Version hat man der begrüßenswerten Ausgrabung von Lortzings „Hans Sachs“ einen Bärendienst erwiesen.
Dieter David Scholz |