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Berichte

Traumbesetzung für Peter Grimes

Opern-Premiere in Osnabrück als einzigartiges Erlebnis

Mit „Peter Grimes“ von Benjamin Britten bewegt sich das Theater Osnabrück auf allerhöchstem Niveau. Regisseur Jakob Peters-Messer und Dirigent Andreas Hotz verdanken das ihrer präzisen Arbeit – und dem überwältigend guten James Edgar Knight in der Titelrolle.

Chor des Theaters Osnabrück, Olga Privalova als Auntie, Rhys Jenkins als Balstrode. Foto: Stephan Glagla

Chor des Theaters Osnabrück, Olga Privalova als Auntie, Rhys Jenkins als Balstrode. Foto: Stephan Glagla

Der Tod seines Lehrjungen John zieht Peter Grimes endgültig den Boden unter den Füßen weg. Er halluziniert vom Wasser, das seinen Kummer trinkt, grübelt über den vergeblichen Kampf um Anerkennung, der zwei Lehrjungen das Leben gekostet hat, stellt sich ein letztes Mal, getrieben von Trotz und Zorn, seinen Mitmenschen, driftet ab in den Wahnsinn.

Benjamin Brittens Musik allein macht aus dieser Szene schon ein Ereignis von tragischer Wucht, und das vermitteln Dirigent Andreas Hotz und das Osna-brücker Symphonieorchester mit überwältigender Intensität. Dank James Edgar Knight wird daraus ein einzigartiges Erlebnis.

Knight flüstert mit seiner Kopfstimme, er tobt mit der immensen Kraft seines Tenors und er pendelt zwischen diesen Extremen mit einer reichen Palette an Zwischentönen. Gleichzeitig verleiht er der Figur durch die detaillierte Darstellung lebensnahe Intensität: Unter den nassen Locken schweift der irre Blick umher, die ausgestreckte Hand sucht nach Halt in einer imaginierten Welt, und schließlich zwingt ihn die Last seines verkorksten Lebens in die Knie und auf den Boden. James Edgar Knight bietet hier ganz große Kunst, ganz großes Musiktheater.

Das Umfeld für Knights großartiges Spiel schafft Regisseur Jakob Peters-Messer mit einer reduzierten, mitunter fast statischen Inszenierung. Eine große Wanne nimmt das Zentrum der Bühne im Theater am Domhof ein – das Publikum blickt in den Bauch eines Fischerbootes, das gleichzeitig zur Arena wird, in der die Menschen eines abgeschiedenen Fischerdorfs Grimes mit kleinbürgerlicher Doppelmoral, Vorurteilen und böswilligen Gerüchten moralisch zu Tode steinigen (Bühne und Kostüme: Markus Meyer).

Rhys Jenkins als Balstrode und Susann Vent-Wunderlich als Ellen Orford. Foto: Stephan Glagla

Rhys Jenkins als Balstrode und Susann Vent-Wunderlich als Ellen Orford. Foto: Stephan Glagla

Denn Grimes ist ein Außenseiter, umrankt von schaurigen Gerüchten. Die befördert er mit seinem unkontrollierten Wesen, und umso leichter findet die Dorfgemeinschaft in ihm den Blitzableiter für die eigene Bigotterie. Mögen sie in ihren Fischerklamotten und den gelben Gummistiefeln noch so saufen, Tabletten schlucken und rumhuren – Grimes ist das eigentliche Übel, gegen den sich der Mob radikalisiert bis hin zum geplanten Lynchmord.

Das erinnert an Auswüchse mancher Proteste bis hin zum Sturm aufs Capitol, wo sich Menschen an einem Gebräu aus Gerüchten und Halbwahrheiten berauschen und zum brandgefährlichen Mob werden. Doch derartige Interpretationen überlässt Peters-Messer dem Publikum. Er holt die Oper in die Zeit ihrer Uraufführung 1945 und beschränkt sich darauf, das Stück zu erzählen – so wie er es vor drei Jahren zum Beginn der Intendanz von Ulrich Mokrusch mit „Fremde Erde“ von Karol Rathaus getan hat.

„Peter Grimes“ beginnt mit einer Gerichtsverhandlung, in der Grimes wegen des Todes eines Lehrjungen angeklagt ist und mangels Beweisen freigesprochen wird – die Dorfgemeinschaft nimmt es nur grummelnd hin. Grimes selbst ist liiert mit der verwitweten Lehrerin Orford, träumt vom gemeinsamen Leben mit ihr. Ja, und vielleicht wäre da sogar der Platz, um dem Lehrjungen John (wunderbar in seiner Angst und Einsamkeit in der Premiere dargestellt von Ole Houlali) ein liebevolles Umfeld zu bieten.

Das sind die Momente, in denen James Edgar Knight dem Peter Grimes die innigen, manchmal nur gehauchten Töne und die stillen Gesten angedeihen lässt – wunderbar. Zum vollen Volumen seines Tenors dreht Knight auf, wenn das Dorf ihn in die Enge treibt, aber auch da bleibt die Stimme differenziert, farbig, wohldosiert.

Dabei umgibt Knight ein bis in die kleinsten Nebenrollen passgenaues Ensemble. Das gilt für Ellen, der Susann Vent-Wunderlich sowohl Einfühlungsvermögen in Peters Psyche als auch Sinn für die düstere Realität mitgibt. Olga Privalova als abgeklärte Kneipenwirtin Auntie, Mikolaj Bon´kowski als Rechtsanwalt Swallow, Anna Stepanets in der Rolle der intriganten Witwe Sedley sowie Jelena Bankovic´ und Susanna Edelmann als die Nichten der Kneipenwirtin.

Fürsprecher hat Grimes neben Ellen nur im ehemaligen Kapitän Balstrode. Er versteht den Außenseiter, allerdings ohne sich zu weit aus dem Fenster zu hängen. Am Ende hilft er Grimes nicht, sich zu rehabilitieren, sondern schickt ihn in den Selbstmord. Rhys Jenkins verleiht dem alten Seebären mit seinem Bassbariton gravitätisches Format.

Eine tragende Rolle kommt schließlich dem Chor zu. Darauf haben Chorchef Sierd Quarré sowie Kapellmeister An-Hoon Song den Opern- und den Extrachor des Theaters perfekt vorbereitet, und so erlebt man Menschen, die einerseits im derben Volkston feiern, andererseits zum brutalen Mob mutieren, der mit schneidender Intensität „Peter Grimes“ skandiert.

Entscheidend für den Erfolg ist aber auch, wie Generalmusikdirektor Andreas Hotz die Fäden der komplexen Partitur in der Hand hält und Solisten, Chor und das Osnabrücker Symphonieorchester durch die grandiose Partitur lotst. So rhythmisch vertrackt, so harmonisch komplex die Musik auch sein mag: Das Orchester spielt unglaublich konzentriert, lässt dabei gerade in den sinfonischen Zwischenspielen, den sechs „Interludes“, zu Bildern vom dunkel wogenden Meer klangmächtig vergessen, dass da kein 70-köpfiges Orchester wie in großen Häusern im Graben sitzt, sondern um die 45 Musiker diesen musikalischen Feuerzauber entfachen. Kurz und gut: ein phänomenaler Abend.
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung vom 22. Januar 2024

Ralf Döring

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