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Hintergrund

Unterschiedliche Lebenskonzepte

Philipp Lojak im Gespräch mit dem Komponisten Manfred Trojahn

Manfred Trojahn zählt zu den wichtigsten deutschen Komponisten der Gegenwart und wurde für sein Schaffen vielfach ausgezeichnet. Am 3. Dezember 2023 fand die Uraufführung seines neuesten Opernwerks „Septembersonate“ an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf statt (s. Bericht in Oper & Tanz, Ausg. 1/2024, S. 24). Das Libretto basiert auf der Kurzgeschichte „The Jolly Corner“ von Henry James. Philipp Lojak sprach für „Oper & Tanz“ mit Manfred Trojahn über seine Komposition und über das zeitgenössische Musiktheater.

O&T: In „Septembersonate“ kehrt Osbert Brydon, ein erfolgreicher Schriftsteller, in sein elterliches Anwesen in der amerikanischen Heimat zurück und trifft dort auf seine Jugendliebe Ellice. Er ringt mit seinem Alter Ego, der Version seines Selbst, das er hätte sein können, hätte er sich nicht für ein Leben als Künstler in Europa entschieden. Was faszinierte Sie an diesem Stoff, der short story „The Jolly Corner“ von Henry James?

Manfred Trojahn. Foto: Dietlind Konold

Manfred Trojahn. Foto: Dietlind Konold

Manfred Trojahn: Der Stoff ist schon Ende der 80er-Jahre an mich geraten. Es war immer klar, dass die Novelle, wenn ich sie irgendwann einmal umsetzen wollen würde (Sie sehen, der Konjunktiv spielt bei mir nicht nur in dem Stück seine Rolle), nach meinen eigenen Bedürfnissen verändert werden müsste. Damals war ich noch weit entfernt von der Situation, meine Libretti selbst zu schreiben, und so habe ich die Novelle von Zeit zu Zeit mit wechselnden Gesprächspartnern diskutiert – allerdings in der Regel mit dem Ergebnis, den Stoff zu verwerfen. Die Gründe liegen auf der Hand: keine dramatische Handlung, wenig ausgeprägte Nebenfiguren etc.

Es hat danach acht Arbeiten für das Musiktheater gegeben, bevor ich, mittlerweile als mein eigener Librettist, mich an den Stoff gewagt habe – inzwischen natürlicherweise mit einer Lebenserfahrung ausgestattet, die mir den Zugang zu den beschriebenen Figuren erst ermöglicht hat.

O&T: Wenn ein Komponist Ihres Formats eine Oper über einen Schriftsteller wie Osbert schreibt, stellt sich unweigerlich die Frage, wie viel Manfred Trojahn in Osbert Brydon steckt. Auch wenn dieser im Laufe der Oper verlauten lässt, man solle den Künstler nicht mit dem Werk gleichsetzen: Stellen Sie sich auch manchmal die „Was wäre, wenn“-Frage?

Trojahn: Den Künstler als private Person mit seinem Werk gleichzusetzen ist in der Tat heikel. Wir befleißigen uns ja vor allem in jüngster Zeit dieser intrikaten Übung. Dabei ist es gar nicht leicht, das Private und das künstlerische Arbeiten überhaupt auseinander zu halten, zumal jeder Künstler eigentlich für sich in Anspruch nehmen wird, immer zu arbeiten. Was meint, dass er immer dabei ist, Eindrücke zu sammeln, die seiner Arbeit zugutekommen werden.

Da künstlerische Arbeit eine persönliche Unabhängigkeit und Freiheit benötigt, die sich von anderen Arbeitswelten merklich abhebt, ist es nicht immer leicht in den Zustand von Eingebundenheit in, nennen wir es, bürgerliche Maßstäbe zurückzukehren, wenn man vom Schreibtisch aufsteht. Phantasiewelt und Realität verschmelzen zuweilen, und das Bedürfnis, die erstere zur Regel zu machen, ist ohne Zweifel attraktiv. Man ist nicht immer in der Lage, dieser Versuchung zu widerstehen.

Im Grunde geht es einem Künstler immer um seine Möglichkeit zur Arbeit. Da die Arbeit mit dem Leben gleichgesetzt wird, und das scheint mir die Voraussetzung allen Künstlertums zu sein, wird dieser Bereich mit allem verteidigt, das zur Verfügung steht. Ich denke, ich muss nicht ausführen, welche Konsequenzen das für die private Existenz einer solchen Person hat.

Sicher ist Osbert kein Selbstportrait, aber sicher ist so viel Trojahn in ihm, wie Trojahn gleichsam automatisch beitragen konnte. Denn wie bei fast jedem, der sich ganz der Kunst verschreibt, war es auch bei mir nötig, den elterlichen Bedenken zu entkommen und fortzugehen.

Und wie Peter Handke es sagt: „Wer längere Zeit von zuhause weg ist, der kehrt nie mehr wirklich zurück.“

O&T: Osberts Situation ist ein Stück weit recht künstlerspezifisch. Da frage ich mich, wie „universell“ seine Probleme und Gefühlswelten sind, sprich wie gut sich ein sicherlich kunstinteressiertes, aber letztendlich bürgerliches Publikum damit identifizieren kann. Spielt das für Sie eine Rolle?

Trojahn: Ich kann nachvollziehen, dass man die im Stück beschriebene Situation zunächst als „künstlerspezifisch“ auffassen könnte. Aber bei genauerer Beobachtung sollte deutlich werden, dass das entstehende Problem einen recht allgemeinen Charakter hat.

Da es oft so ist, dass ein Mensch, der sich entscheidet, eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen, Widerstände seiner Eltern zu überwinden hat, die vornehmlich mit der Angst vor einem Scheitern in diesem Beruf begründet werden, entsteht vielleicht zunächst ein eingeschränktes Bild des beschriebenen Zusammenhangs. Aber in Wahrheit geht es in erster Linie um zwei sehr unterschiedliche Lebenskonzepte. Und es geht am Ende auch darum, dass eine Entscheidung zwischen beiden nicht so einfach zu treffen ist.

Ein bürgerliches Publikum wäre sicherlich mit der Problematik nicht überfordert, aber wir müssen uns ja der Frage stellen, ob wir über ein solches überhaupt noch verfügen. Wobei es klar sein muss, dass es mir beim Begriff „bürgerlich“ um zu beherrschende Kulturtechniken geht und nicht darum, ob jemand zum Opernbesuch eine Krawatte umbindet.

Die wenigen Besucher, die die Vorstellungen vorzeitig verlassen haben, gehörten auch vorwiegend der älteren Generation an und könnten daher leicht mit bürgerlichem Publikum verwechselt werden.

O&T: Dem zeitgenössischen Musiktheater ist es zuletzt allgemein eher schwergefallen, das Publikum für sich zu begeistern, ob mit oder ohne kulturelle Vorbildung. Glauben Sie, dass es mit dem sehr poetischen, aber wenig dramatischen Ansatz, wie es die Septembersonate verfolgt, gelingen kann?

Trojahn: Ist das so sicher? Oder ist das eine sehr regionale Beobachtung, die sich nicht für jeden Ort auf dieser weiten Welt aufrechterhalten lässt? Der Deutsche Bühnenverein beobachtet doch eine Zunahme der Publikumsströme im Theater. „Orest“ war an der Wiener Staatsoper viele Male ausverkauft. Vielleicht ist es ja so, dass die einzelnen Theater auf sehr unterschiedliche und mitunter wenig glückliche Weise versuchen, um das Publikum zu werben. Es soll auch Opernhäuser geben, die so wenige neue Stücke im Spielplan haben, dass die Leute schwerste psychische Probleme bekommen, wenn sie dann unerwartet doch einmal mit einem Stück konfrontiert werden, das nach 1920 entstanden und für sie daher nahezu brandneu ist…

Neue Stücke befinden sich doch in permanenter Konkurrenz zu solchen Arbeiten, die als Kanon unzählige Male auf den Spielplänen erscheinen. Jedes Mal natürlich mit einem möglichst aktuellen Regieansatz – und durch den ist das Bedürfnis nach Neuem oftmals schon vollkommen ausgereizt.

Meine letzten drei Arbeiten für das Musiktheater sind einem poetischen Theater zuzurechnen, auf unterschiedliche Weise, aber doch deutlich. Obwohl ich immer auch daran interessiert bin, ein Publikum zu finden, ist es nicht immer so, dass der Gedanke an den Zuhörer an allererster Stelle steht. Oftmals steht die Bemühung, ein gutes Stück zu machen, der Überlegung, ein erfolgreiches Stück zu haben, deutlich entgegen. Von daher ist die Entwicklung zu einem größeren poetischen Anteil in meinen Stücken vielleicht gar kein Versuch, einen Ansatz zu finden, mit dem ich das Publikum leicht erreiche. Es ist vielmehr so, dass ich in diesen Stücken Ansprüche stelle, auch solche, die die Aufmerksamkeit der Zuhörer erfordern und die vielleicht sogar auf eine vorbereitete Zuhörerschaft aus sind.

In diesen Stücken werden nicht zuletzt Einflüsse des französischen Theaters verarbeitet, ein Theater, in dem Poesie der dramatischen Zuspitzung oftmals vorgezogen wird. Die dadurch entstehende Subtilität sollte vom Zuschauer und Zuhörer natürlich akzeptiert werden. Im Film sind wir in dieser Frage schon wesentlich weiter, im Opernbereich werden wir darauf noch etwas warten müssen.

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