Ihr Interesse am klassischen weißen Ballett, das heute noch von den Petersburgern, deren Theater jetzt wieder wie zur Zarenzeit Mariinsky heißt, par excellence gepflegt wird, hielt sich immer schon in Grenzen. Einmal hat sie sich mit Schwanensee beschäftigt, in ihrer Zeit als Ballett-Direktorin in Leipzig. Heraus kam Happy Schwanensee Day, eine beim Publikum beliebte Persiflage. Die Beanspruchung der Tänzer sei im modernen Tanztheater keineswegs geringer als im klassischen Ballett, sagt Irina Pauls, nur liege die Belastung woanders. Auch die Prioritäten seien im Tanztheater andere, da komme es auf einen anderen Umgang mit Tempo, Dynamik, Beweglichkeit an. Ihre Suche nach neuen Kombinationen und Bewegungsmustern fordert vom Ensemble eine enorme Kondition. Woher nimmt Irina Pauls nach acht Jahren am Schauspiel Leipzig, Engagements in Altenburg und Oldenburg und
jetzt in Heidelberg ihre Inspiration? Schwer zu sagen alles, was ihr begegnet, kann ein Stück werden,
erklärt sie. Das kann etwas ganz Alltägliches sein, eine Zeitungsnachricht, ein Wort, eine Musik,
die in ihr Assoziationen frei setzt. Dann stellt sich die Frage: Wie fühlt es sich an? Nicht immer kommen
Bewegungsideen dazu. Ihr neuestes Projekt entstand aus einem Untersetzer aus Filz, den sie in einem Geschäft
sah. Die Choreografin recherchierte, sichtete Kataloge und Ausstellungen, und in ihrem Kopf fand sich ein ganzes
Meer an Ideen. Während der Proben muss der rote Faden halten. Offen schildert Pauls, dass dieser
rote Faden manchmal eben auch reißt. Dann muss eine Produktion mit den Künstlertugenden Disziplin
und Fleiß durchgezogen werden. Doch der schlimmste Fall tritt ein, wenn das Stück fertig ist und
sie eine Woche vor der Premiere plötzlich eine innere Distanz zu ihm spürt, obwohl auf der Bühne
alles in Ordnung ist. Am meisten vermisst Irina Pauls den musikalischen Partner, der ihr in Leipzig zur Seite stand. Dabei ist die Choreografin keineswegs festgelegt, sie verwendete mittelalterliche Stücke für ihren Jedermann, romantische Lieder für Bald gras ich am Neckar und trägt sich seit Jahren mit der Winterreise als Keimzelle einer Idee. Da ist ihr nun John Neumeier zuvorgekommen, aber jetzt ist ohnehin die Arbeit an Sie lassen sich nicht beirren in ihrer Einsamkeit wichtiger (Uraufführung: 15. Februar 2002). Für dieses Stück, in dem das Material Filz eine wichtige Rolle spielt, wollte sie eine kleine Besetzung aus der zweiten Reihe. Ein Bratscher und ein Posaunist werden das neueste Stück Tanztheater aus ihrer Werkstatt begleiten mit moderner Musik, Sequenzen von Berio. In veränderter Form, denn im Gegensatz zu Musikern fühlt sich Irina Pauls nicht an Werktreue gebunden und geht mit der Musik so kreativ um wie mit ihren Choreografien. Das eigene Programm muss natürlich Abwechslung bieten, dessen ist sich die Leiterin des TanzTheaters bewusst, wenn sie feststellt, dass man sich nicht einfach nur der eigenen Kreativität hingeben kann.
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