Bereits Ende der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es an diesem Hause eine veritable Verdi-Renaissance, die angesichts der hiesigen Strauss-Tradition mittlerweile halb vergessen ist. Gerade den „Macbeth“ hat man hier jahrzehntelang überhaupt nicht mehr aufgeführt. Doch wie sinnfällig und suggestiv sich beide Ausdruckstraditionen tatsächlich berühren, zeigte nun bei der ersten Premiere der neuen Spielzeit die Leistung der Staatskapelle unter dem Mailänder Dirigenten Daniele Gatti. Verdis eigenwillige Partitur imponiert an diesem Abend nicht allein durch die Modernität ihrer schroffen Kontraste, sondern auch durch ein ungewöhnliches Maß an grellen Ambivalenzen. Vieles in dieser Musik läuft auf eine Verschattung des Verständlichen hinaus, gebärdet sich offener, rätselhafter, als es die im Werk agierenden Machtmenschen glauben machen wollen. Der Komponist setzte im Falle des „Macbeth“ wie bei kaum einem anderen Werk auf die Zeichnung vielschichtiger Charaktere jenseits des bloßen Schöngesangs, forderte für die eindringliche Figur der Lady ausdrücklich eine rauhe, zu erstickten und sogar teuflischen Tönungen fähige Stimme. In Dresden gibt sich die kurzfristig eingesprungene amerikanische Sängerin Marquita Lister zunächst fast überforcierten Emotionen hin, imponiert dann jedoch durch eine enorme Wandlungsfähigkeit. Sie spielt die introvertierten Passagen ebenso intensiv aus wie alle aufkeimenden Momente von Schuldgefühlen und seelischer Zerrüttung. Ein Glücksfall für die Produktion ist ihr Zusammenspiel mit dem italienischen Bariton Lucio Gallo in den albtraumhaften Duetten des mörderischen Paars. Gallo gestaltet die Titelrolle mit einem starken Gespür für Gebrochenheit, eindrucksvoll in seinen verstörenden Obsessionen und der Reichhaltigkeit seiner emotionalen Zwischentöne, zumal ihm die eindimensional auftrumpfenden Machtgesten ohnehin weniger zu liegen scheinen. Zum starken musikalischen Gesamteindruck tragen auch die übrigen Solisten bei, besonders Georg Zeppenfeld als dunkel-ahnungsvoller Banco und Woo-Kyung Kim als herzzerreißend klagender Macduff. Fabelhaft singt der Dresdner Opernchor, er versteht – einstudiert von Matthias Brauer – mit Präzision und Flexibilität nachdrückliche Akzente zu setzen. Den düsteren Grundton dieser blutrünstigen Oper sucht Philipp Himmelmanns Inszenierung durch pointierte Nüchternheit in der Ausstattung zu kontrapunktieren. Der bogenförmige Bühnenraum, entworfen von Johannes Leiacker, zeigt das perfide Herrscherpaar in einer von Telefon und Bürostühlen gesäumten Zentrale der Macht, in der es sein ausgeklügeltes Spiel tagträumend und vor allem nachtwandelnd zu entfalten sucht. Weniger zwingend, doch folgenreich erscheint Himmelmanns Idee, diesen von Neonlicht und vielen Türöffnungen geprägten, kühl-klassizistischen Raum als Einheitsbühnenbild beizubehalten, also auch die vielfältigen phantastischen und obskuren Momente von Verdis Vierakter in der Büroetage anzusiedeln – ein Spielort, der eine fast stupide Distanziertheit erzeugt. Die verrät wenig vom Doppelgesicht kühl kalkulierender Machtmenschen, sie kündet eher von deren grauem Alltag. Am suggestivsten gerät bezeichnenderweise jene Szene, in der die Häscher des Macbeth wie postsozialistische Büroangestellte erscheinen (Kostüme: Bettina Walter) und als Schreibtischtäter vorm Kaffeeautomaten den Mord an Banco organisieren. Das Festbankett, auf dem der tote Banco seinem Mörder erscheint, wird als absurd überzogenes Defilee einer Hundertschaft von Bedienungspersonal dargestellt. Doch zerfasert der erste starke Eindruck dieses Bildes wie so vieles an diesem Abend dank einer unzureichenden Personenführung. Und warum, so fragt man sich, steigt Macbeth plötzlich auf den Tisch? Letztlich bleibt es bei einer Inszenierung als kostümbetontes Ausstattungstheater, ohne choreografische Verantwortung für die beklemmenden Intensitäten dieses Stückes. Dies gilt auch für die aufwendig gestaltete Hexenwelt des Irrationalen, bedrohlich Dämonischen mit ihren lemurenhaften Fabelwesen, die das Verhängnis nicht nur prophezeien, sondern durch permanente Kriechbewegungen zugleich auch selbst verkörpern müssen. Eher unfreiwillig komisch erscheint dagegen der mit abgesägten Ästen skizzierte Wald von Birnam. Doch wird solche Komik alsbald zum Bumerang, sie desavouiert alle Ansätze schlüssigen Erzählens. Das Premierenpublikum bezog großzügig das Regieteam in seine Ovationen für die Musiker mit ein. Modernes Musiktheater, bei dem eine szenische Deutung der musikalischen Interpretation auch einmal Paroli bieten könnte, gehört bei den Opernkulinarikern der Stadt nicht unbedingt zu den Lieblingsspeisen. Dies soll vor knapp achtzig Jahren, als man Verdi in Dresden neu entdeckte, noch anders gewesen sein. Jörn-Peter Hiekel |
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