Auch wenn Tirol nicht in allem als Insel seliger Musiktheater-Geister gepriesen werden kann, so wurde doch deutlich, dass in Österreich bis hinunter nach Klagenfurt und Eisenstadt Oper und Musikperformance in Staatstheatergestalt wie als sommertouristisches Event erheblichen Rang und Gewicht haben. Das wird, wie der Burgenländische Landesrat Helmut Bieler bündig darlegte, „sehr ernst genommen“. Weit wichtiger jedenfalls als selbst in fremdenverkehrsorientierten deutschen Landen, in denen sich freilich das Bewusstsein für die ökonomische Bedeutung dieses Kultursektors notwendigerweise ebenfalls schärfte. „In den letzten ein oder zwei Jahren ist das intensiver Gegenstand von Diskussionen, die von der Befürchtung geprägt sind, dass im Zuge der drohenden Überalterung des kulturinteressierten Publikums uns die Besucher allmählich mehr und mehr wegbrechen“, meinte zum Beispiel Michael Mihatsch, der zuständige Beamte im Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst. „Man könnte natürlich auch den gegenläufigen Schluss ziehen: Je mehr ältere Menschen anteilig da sind, desto intensiver könnte der Zulauf gerade aus dieser Altersgruppe zu unseren Kulturinstituten werden.“ Also wurde nicht nur sehr genau über die Funktion des Musiktheaters in der „Wertschöpfungskette“ und die wachsende Notwendigkeit ihrer Mitfinanzierung durch die Industrie diskutiert, sondern auch über die „Wertschätzungskette“ – die repräsentative und imagepflegende Dimension gut funktionierender und in die überregionale Öffentlichkeit hinausstrahlender Opernbetriebe. Ohne Geld für Glanz kann Musiktheater in der Regel nicht „magnificent“ sein. „Wenn der Tagesbetrieb uns die Zeit ließe, strategisch zu denken, dann würden wir das gerne noch viel mehr tun“, ergänzt Michael Mihatsch. „Im Moment schlagen wir nur Abwehrschlachten, absorbiert von früh bis abends vom Kampf um die Erhaltung des Status quo der bestehenden Einrichtungen.“ Ästhetischer WandelDen teilweise rückläufigen Besucherzahlen bei den traditionellen innerstädtischen Spielstätten steht wachsendes Interesse an Musiktheater im Kontext von Urlaubsangeboten, an „alternativen“ Orten und mit jugendfrischem Zuschnitt gegenüber: „Es wird zusätzlich zu den bestehenden Angeboten in den Zentren, die möglicherweise nicht mehr in der gleichen Intensität wahrgenommen werden, eine lebendige Szene an Festivals und kleineren Einrichtungen in der Peripherie entstehen – das beobachten wir jetzt mit ,Orff in Andechs’, der Pasinger Fabrik, Richard Strauss in Garmisch et cetera. Das geht natürlich den etablierten Institutionen in den Zentren teilweise an die Besucherzahlen, wenn sie von ihrer Programmatik her nicht stark genug sind, kein individuelles Profil aufweisen können. Auf lange Sicht wird es erforderlich sein, dass der Staat beides fördert – sowohl die institutionellen Angebote im Zentrum der Städte als auch diese lebendige Festivalszene im Umland.“
Das ist eine Sorge, die zum Beispiel Dominique Meyer, den Leiter des Théâtre des Champs-Elysées überhaupt nicht umtreibt. Er bietet an einem Ort im Ballungsraum, der über eine besondere Ausstrahlung verfügt, konkurrierend zu den beiden Riesenhäusern der Pariser Nationaloper und zum Städtischen Théâtre du Châtelet, allerdings auch gestützt auf einen sehr potenten Sponsor, eine Mischung aus Konzert- und Opernaufführungen ohne öffentliche Mittel an – sowohl das Bestgängige als auch Spezialitäten. Der Intendant verweist auf die Zuwachsraten seit den 80er-Jahren. „Da hatten wir insgesamt zwischen 90 und 100 Vorstellungen – da gab es nur die alte Oper, das Palais Garnier; jetzt haben wir die Bastille, das Châtelet spielt viele Opern, wir spielen von Zeit zu Zeit Oper und die Opéra-comique auch. Wir haben heute zusammen 420 bis 430 Vorstellungen, fast immer voll besetzt. Das heißt, wenn die Leute eine gute Zusammenarbeit machen, wenn sie ein bisschen daran denken, was sie machen und ihre Häuser nicht wie Kinder ihr Spielzeug behandeln, dann kann man Erfolg haben und Publikum finden.“ Das in manchen Ländern in den letzten Jahren enorm aufgestockte Angebot an Oper in den traditionellen Häusern tritt nicht unbedingt in ruinösen Wettbewerb zu den Opernaufführungen „im Grünen“. „Wie Sie wissen“, erläuterte Meyer, „findet im Sommer in Paris selbst keine kulturelle Aktivität statt – deshalb freue ich mich auf die Festivals. Man kann manchmal auch junge Künstler entdecken – die haben Gelegenheit, dort zu arbeiten. Und das halte ich für sehr positiv.“ SolidargemeinschaftenDie Zeit des Jammerns über die sinkende Zuwendung der öffentlichen Hände gehört dort der Vergangenheit an, wo sich die Experten zusammensetzen, mit Wirtschaftsfachleuten beraten und auch geduldig den Haien der Branche zuhören – zum Beispiel dem Züricher Operndirektor Alexander Pereira, der unverdrossen eine „Solidargemeinschaft von Theater, Staat und Wirtschaft“ beschwört, wie sie vor 70 oder 80 Jahren bestanden habe. Gegenüber solchem Nostalgiegetön, das bei manchen Sponsoren gewiss gut ankommt, repräsentierte der jungdynamische Wirtschaftsberater Clemens Hoegl (ebenfalls Zürich) die Zukunft: Er erläuterte effektive Methoden zur Auswahl und Evaluierung von Intendanten – von graphologischen Gutachten und angewandter Astrologie rät er ab. Obwohl auch der eine oder andere Konzert- oder Festivalveranstalter Kritik am „monströsen Welt- und Menschenbild der Wirtschaft“ übte und vor dessen Übertragung auf die kulturelle Sphäre warnten: Die Opern-Manager und die Zirkulationsagentinnen sind fest gewillt, auf dem Weg von Privatisierung, Deregulierung, Outsourcen, Lohndumping und „Niveauanpassung“ (nach unten und hinten) zu funktionieren. Ob diese Spezies sich als Retterin der Gattung Oper profiliert oder als ruinöse Glücksritterschaft, wird wohl erst die Geschichte zeigen. Frieder Reininghaus |
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