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Kulturpolitik

Inferno Kulturpolitik

Ein Porträt des Bremer Theaters · Von Christian Tepe

Wenn bei der Bremer Uraufführung von Johannes Kalitzkes Oper „Inferno“ die Figur der Beatrice als das Sinnbild des künstlerischen Ingeniums sich am Ende mit den gesprochenen Worten „Ich sage mich für immer von euch los“ vom Publikum abwendet, dann erscheint das im Rückblick wie ein Menetekel für den möglichen Theatertod in der Hansestadt. Bei Kalitzke reagiert Beatrice mit ihrem Abschied auf den Utopieverlust in einer Spaßgesellschaft ohne Erinnerungsvermögen und ohne Verantwortungsgefühl für die Zukunft. In dem politischen Inferno um den Bestand des Bremer Theaters als einer Institution kritischer Zeitgenossenschaft ist es der Kulturnihilismus der Entscheidungsträger im Senat, wodurch Kunst und Künstler aus der Stadt vertrieben werden könnten.

 
Im Freischütz-Museum: Opernchor des Bremer Theaters. Foto: Jörg Landsberg
 

Im Freischütz-Museum: Opernchor des Bremer Theaters. Foto: Jörg Landsberg

 

Mitte Oktober ließ der örtliche Tageszeitungsmonopolist „Weser-Kurier“, der im letzten Jahr wiederholt in einem hämischen Tonfall abgefasste, rufschädigende Artikel über das bei der Fachpresse hoch angesehene Musiktheater lanciert hatte, die Sensationsbombe detonieren: im Theateretat klaffe ein Vier-Millionen-Loch, die Auszahlung der Gehälter sei gefährdet. Eine genaue Aufschlüsselung der Schuldensumme von 4,7 Millionen Euro ergibt jedoch, dass der Löwenanteil daran auf die im Aufsichtsrat seit Jahren bekannte gravierende Unterfinanzierung des Theaters zurückzuführen ist (Einzelheiten im Interview mit Generalintendant Klaus Pierwoß). In einem beispiellosen Kriegszug gegen das Haus verknüpfte nun ausgerechnet der Aufsichtsratsvorsitzende Jörg Kastendiek, Bremens Senator für Wirtschaft, Häfen und Kultur, sein Begehren nach 2,3 Millionen Euro Eigenleistungen des Theaters zur Lösung der Finanzkrise mit der erpresserischen Einbehaltung der Oktobergehälter und der Androhung einer Insolvenz des Theaters.

Solche Problemlösungsstrategien des Senators zeigen jenseits aller verbalen Bekundungen für den Erhalt des Vierspartenhauses, dass Herr Kastendiek nicht einmal die ethischen Minimalvoraussetzungen erfüllt, um an einem offenen demokratischen Diskurs teilnehmen zu können, geschweige denn um sich als Retter des Stadttheaters zu gerieren. Kulturpolitik – und darunter versteht man Maßnahmen des Staates, die kulturellen Errungenschaften zu pflegen und zu verbessern – ist in Bremen eine Fehlanzeige. Der Rücktritt des Senators erscheint unumgänglich, auch wenn Anfang November der Senat einen Kredit bewilligte, der die Zahlung der Oktober-Gehälter ermöglichte (vgl. S. 6). Das ist aber keineswegs als Einlenken, sondern als Zuspitzung des Konflikts durch die Politik zu werten, geht doch die Kreditvergabe mit Gedankenspielen über die Schließung der Spielstätten „Concordia“ und „Brauhaus“ sowie über eine Kooperation mit dem Oldenburgischen Staatstheater einher. Wenn dann das Geld noch binnen zwei Jahren inklusive Zinsen zurückbezahlt werden soll, wird aus der Finanzspritze nur ein weiterer Sargnagel für das Theater. Ende November haben Tarifverhandlungen begonnen. „Trotz der gebotenen Skepsis glauben wir schon, dass von allen Seiten versucht wird, eine Einigung zu erzielen. Aber es ist zu befürchten, dass dies auf dem Rücken der Angestellten und Arbeiter des Hauses geschieht, die letztlich gar nichts für die finanzielle Situation des Theaters können“, verdeutlichen Chorvorstand Franz Becker-Urban und VdO-Ortsdeligierter Johannes Scheffler die nur zu berechtigten Sorgen der Belegschaft. Die Unverzichtbarkeit des Stadttheaters demonstrieren die Künstler derweil unter der Losung „Wir spielen weiter“ mit einer Fülle von Premieren.

Gespielt wird trotzdem

 
 

Verzückungen des Impressionismus: Magali Sander Fett und Thomas Bünger in „Flacon“ von Urs Dietrich.

 

Die jüngste Uraufführung des renommierten Bremer Tanztheaters ist eine Hommage an Claude Monets Gemälde „Camille“. Mit „Flacon“ verfolgt Urs Dietrich allerdings nicht das Ziel, den Rummel um die Ausstellung impressionistischer Frauenporträts in der Bremer Kunsthalle choreografisch zu garnieren. Sichtbar werden vielmehr die seelischen Verkrüppelungen, die durch die Mechanisierung der Körper im Gefolge der Industrialisierung, Vermassung und Normierung des Lebens angerichtet wurden und wovon die impressionistischen Verzückungen nur die täuschend schöne Schauseite sind. Zum uniformen Grab, aber in seltenen Momenten auch zum letzten Zufluchtsort für das Innerlich-Menschliche entwickelt sich in dieser Tanzkomposition das stoffliche Fluidum, die textile Umhüllung des Körpers, sei es bei den konduktartigen Bewegungsfolgen der vervielfachten Camille, sei es bei dem kurzen Aufblühen zarter Freiheitsbestrebungen in den suggestiven Soli der Tänzerinnen, die stets noch vor der Apotheose durch den großen Danse rigide wieder niedergeworfen werden. Dietrichs Tanzessay über die Zerstörung der Sinnlichkeit kulminiert in dem Modenschau-Albtraum einer Welt voller Körper, denen jedes Geheimnis abgeht – eine ebenso aufrüttelnde wie zwingende Darstellung der Entzauberung des Leibes in der Moderne. Als wichtige Inspirationsquelle seiner Arbeiten erwähnt Dietrich das Medium Film. Das wird bei „Flacon“ durch dessen Verwendung als integraler Bestandteil der Choreografie und nicht als aufgeklebte zusätzliche Erzählung augenfällig. „Tanz als eine unabhängige und autonome Form des Theaters“ – dieses Credo von Kurt Jooss hat für die Aufstellung des Bremer Tanzensembles unbedingte Gültigkeit. Für den Operndienst werden deshalb fallweise die Mitglieder einer zusätzlichen Tanzgruppe engagiert.

Keine Konzessionen

Von der Kraft des Musiktheaters, das Denken und Fühlen der Menschen zu humanisieren und ihnen eine Idee möglichen Glücks zu schenken, zeugen fast täglich mit großer Intensität die Aufführungen der Bremer Oper. Durch den Reichtum an dramaturgisch hell ausgeleuchteten und musikalisch stets beachtlichen, häufig überragenden Einstudierungen hat sich das Haus mit seinen besten Taten in die Spitzengruppe der deutschen Opern vorgearbeitet und dies ohne billige Konzessionen an den Zeitgeist. Neben den mit Komponisten wie Glanert, Battistelli oder Kalitzke verbundenen Marksteinen der Uraufführungsserie seien mit Ullmanns „Der Kaiser von Atlantis“, Dukas’ „Ariane et Barbe-Bleue“ und Janáceks „Katja Kabanowa“ drei Produktionen aus der jüngsten Zeit benannt, die an prominenter Stelle in die Inszenierungsgeschichte dieser Werke Aufnahme finden dürften. Die 18 Singschauspieler des attraktiven Solistenensembles gefallen durch ausdrucksstarke schöne Stimmen und subtile Charakterstudien. Und angesichts der ambitionierten Kapellmeister wie Stefan Klingele, dem engagierten Vorkämpfer fürs Zeitgenössische, lässt sich die Gewohnheit von GMD Lawrence Renes hinnehmen, lediglich zwei auf den Saisonbeginn terminierte Neueinstudierungen zu leiten.

Balance zwischen Hören und Sehen

Der Chor hatte dagegen unlängst großes Pech mit einer „Turandot“, bei der die Sänger in Maske und Kostüm unbarmherzig in den Orchestergraben verbannt wurden, während Dirigent, Orchester und Solisten auf der Bühne brillieren durften – für den Inbegriff einer Choroper ein klarer Regie-Fauxpas. Mochte der Chorklang zur „Mondmusik“ auch noch so innig leuchten, die Aufregung des Volkes voller Energie aufschäumen lassen und in hymnischen Bögen glutvoll strahlen, für manche Zuschauer und sogar Kritiker war er schlicht nicht vorhanden. In solchen Wahrnehmungsausfällen offenbart sich für Chordirektor Thomas Eitler ein strukturelles Problem des Musiktheaters, denn „in unserer Zeit ist das Visuelle viel wichtiger als das Auditive“, eine Priorität, welche die für die Oper so entscheidende Balance von Hören und Sehen gefährde. Das bringe im Berufsalltag auch gesangstechnische Probleme für die 44 Sänger mit sich, wie Franz Becker-Urban erläutert: „Schauspielregisseure in der Oper sehen oft nur das Bild und vergessen, dass man beim Singen auf die Körperhaltung achten muss.“ Per aspera ad astra – so könnte auch das Motto für die Chorwerkstatt zu den ruhmreichen Uraufführungen lauten. Kalitzkes „Inferno“ erforderte allein 120 musikalische Proben, ein Dreivierteljahr Arbeit neben den laufenden Premieren. „Aber wenn man dann, soweit das überhaupt möglich sein kann, fertig ist mit diesem Werk, dann hat man wirklich das Gefühl: Man ist professionell“, bilanziert Johannes Scheffler. Bei der großen Chorgala, einer Novität in der laufenden Saison, werden die Sänger einen ganzen Abend allein mit dem Orchester bestreiten. Bleibt zu hoffen, dass eines Tages auch ein Kultursenator mit Interesse an künstlerischen Prozessen ihre Erfolge zu würdigen versteht. Un bel di vedremo…

Christian Tepe

Siehe auch: Was nun, Herr Pierwoß?

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