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Ein Plädoyer für das Weibliche

Zum 150. Geburtstag von Giacomo Puccini · Von Christian Tepe

Einst gehörte es in der schreibenden Zunft fast zum guten Ton, missfällig über den Komponisten Giacomo Puccini zu urteilen: Puccini, der unseriöse Meister der Kolportage, greife „nicht ans Herz, höchstens an die Tränendrüsen“ und seinen Melodien entströme gar ein „süßlicher Verwesungs- oder Leichengeruch“. So formulierte man schon zu Lebzeiten des Komponisten und noch heute hält sich latent die Tradition, seine Opern unter einen pauschalen Kitsch- und Sentimentalitätsverdacht zu stellen. Aber es ist müßig alle Invektiven aufzuzählen 0der sich an ihrer Widerlegung zu versuchen. Die Geschichte hat den Angeklagten längst freigesprochen. Puccinis Musik hat den Lebensnerv des modernen Menschen getroffen, ja sie mutet rückblickend oft wie eine prophetische Vorwegnahme jener kollektiven Katastrophenerfahrungen an, die das verheerende 20. Jahrhundert bestimmt haben.

Analytische Kraft

Man denke nur an das berüchtigte Scarpia-Motiv, an die harsch und übergangslos nebeneinander gewuchteten Akkorde, mit denen die Oper „Tosca“ ebenso abrupt wie schockhaft einsetzt. Was da am 14. Januar 1900 in Rom zum ersten Mal erklang, ist zum musikalischen Superemblem des darauf folgenden Jahrhunderts geworden. In der entseelt wirkenden Beziehungslosigkeit und Rigidität dieses Themas kündet sich unmissverständlich jene eisige menschliche Indifferenz an, die für alle Despoten des totalitären Zeitalters bezeichnend ist. Mit einer starren Akkordfolge annonciert Puccini einen neuen furchtbaren Typus Mensch, der vor keiner Skrupellosigkeit zurückscheuen und dem noch die schwächste Regung des Mitleids fremd bleiben wird. Doch die hohe analytische Kraft von Puccinis Opern betrifft nicht nur die jüngste Vergangenheit.

 
Puccini-Opern stehen jedes Jahr auf vielen Spielplänen. Hier „Tosca” in Krefeld-Mönchengladbach, mit Dara Hobbs (Tosca), Stefan Stoll (Scarpia). (Foto: Matthias Stutte).
 

Puccini-Opern stehen jedes Jahr auf vielen Spielplänen. Hier „Tosca” in Krefeld-Mönchengladbach, mit Dara Hobbs (Tosca), Stefan Stoll (Scarpia). (Foto: Matthias Stutte).

 

Es existieren Stimmungen und Szenen in Puccinis Oeuvre, die erst heute ihren vollen zeitdiagnostischen Gehalt offenbaren. Da ist zum Beispiel jene trostlose nordamerikanische Wüstenlandschaft des Schlussaktes der „Manon Lescaut“: die letzte Station von Manons Leben, eines missglückten, leichtfertig für die Gier nach Komfort und Flitterwerk vergeudeten Daseins. Diese Einöde ist derweil zu einem Symbol für das Ende der Zivilisation geworden, die sich durch den Mythos des Konsums selbst zugrundegerichtet hat. Es ist die Leere und Unbehaustheit unserer eigenen Welt, die uns aus den fahlen und verhangenen Klängen entgegenkommt, mit denen Puccini das Dahinsiechen seiner luxusverliebten Manon schaurig sekundiert.
Obwohl der Mensch und Künstler Puccini bekanntlich kein systematisches Interesse an einer intellektuell geschärften Zeitkritik verspürte, spiegelt seine Musik also dennoch getreulich die Befindlichkeiten des Individuums in der kapitalistischen Moderne wider. Die von vielen Hörern als diffus empfundene erdrückende Gefühligkeit seiner Arien hat einen solipsistischen Kern, denn in der neuen Welt der Atomisierung und Funktionalisierung bedeutet Menschsein vor allem einsam sein. Diese Verlassenheit hat sich in Puccinis fiebrigen Kantilenen zu einer in Schwermut, Resignation und Todesverfallenheit eingekapselten musikalischen Sprache auskristallisiert. Von daher rührt jener „Hautgout“, den manche Kritiker durchaus richtig in der Witterung hatten.

Es bleibt die Unschuld

Doch das Faszinosum Puccini ist mit dem Hinweis auf die seismographische Genauigkeit, mit der seine Opern die Umbruchsprozesse der Moderne bis in die musikalische Textur hinein registrieren, noch nicht erschöpfend verstanden. Dem ganzen Geheimnis seiner Musik kommt nur auf die Spur, wer auch den Hoffnungsschimmer wahrnimmt, der bei diesem Komponisten noch den finstersten Ausdruck der Verzweiflung auflichtet. Das sicher berühmteste Beispiel dafür ist Butterflys Arie „Un bel di vedremo“. Die absteigende vokale Linie konterkariert Cio-Cio-Sans Worte, indem sie ihren verbal zum Ausdruck gebrachten Glauben an die unverbrüchliche Liebe Pinkertons als Illusion und Selbsttäuschung entlarvt. Doch das ist nur die semantische Oberflächenschicht dieser Musik. Zugleich hat Puccini die abgrundtiefe seelische Verletztheit, die sich Butterfly noch nicht eingestehen will, ihrem wehmütigen Gesang eingeschrieben: Ein brennender Schmerz, der aus dem tiefen Gefühl des Verlorenseins heraus das Bild des geschwundenen Glücks umso machtvoller herbeiruft.

Aber auch das ist noch nicht alles. Ausschlaggebend für das nachfühlende Hören wird die Empfindung einer seelischen Unversehrtheit und Reinheit, die in dem Ganzen immer mitschwingt: Diese Kantilenen haben etwas Unschuldiges an sich. Sie wissen eigentlich nichts von der Verlogenheit, der Intrige, der Kälte und dem Misstrauen, die das gesellschaftliche Leben regieren. Eher schon gleichen sie „zarten, blütenbedeckten, im Winde schwankenden Ästen“, wie Frank Thiess in seinem Puccini-Buch (Puccini. Versuch einer Psychologie seiner Musik, Verlag Wolfgang G. Krüger) notiert; eine Beschreibung, die nicht als Verharmlosung, als Herabsetzung ihres ästhetischen Gehalts auf die Stufe bloßen Dekors missdeutet werden sollte.
Die schwebende, wundersam biophile Klangaura, die Puccini seinen Frauenfiguren einhaucht, strahlt vielmehr eine erotische Energie ab, die auf der Metaebene des Gesangs mit emphatischer Vehemenz die destruktive Tendenz der Handlung negiert. Im Inneren dieser befriedenden Sinnlichkeit glüht eine andere, tiefere Vernünftigkeit als die kühl kalkulierende Cleverness der großen Welt. Was vor dieser als schwach und wirklichkeitsfremd erscheint – und man hat es sich angewöhnt, eine Mimi, eine Liu oder eine Suor Angelica als zu zart, zu zerbrechlich, den Stürmen des Lebens einfach nicht gewachsen hinzustellen – darin liegt in Wahrheit eine eminente psychische Stärke und Überlegenheit. Die Libido des vokalen Melos artikuliert den Protest des Subjekts gegenüber Gewalt und Repression. So bringt Toscas „Vissi d’arte“ für ein paar Augenblicke sogar Scarpias Mechanik des Grauens zum Stillstand und bewirkt damit eine traumhaft-surreale, wenn auch höchst ephemere Öffnung der Szene ins Utopische.

Hoffnung und Sehnsucht

Nun bleibt Puccini gleichwohl stets ein Realist und ein genau hinsehender Psychologe. Was seine Frauengestalten da in eindringlichen Momenten beschwören, das streift verbal und inhaltlich zugegebenermaßen oft kleinbürgerlich naive Vorstellungen über ein glückliches Leben. Puccinis Heldinnen sind keine politischen Heroinen der Freiheit und der Humanität. Und doch steckt in ihnen eine große Hoffnung und eine große Sehnsucht, um die allein ihr Gesang wirklich weiß. Zu Recht finden sich in beinahe jedem Programmheft diese Sätze aus Puccinis Selbsteinschätzung: „Was habe ich mit Helden und unsterblichen Gestalten zu schaffen? In solcher Umgebung behagt es mir nicht. Ich bin nicht der Musiker der großen Dinge, ich empfinde die kleinen Dinge; und nur sie liebe ich zu behandeln.“ Dass es einfache, alltägliche Menschen sind, denen Puccini seine utopisch-humane Botschaft anvertraut, macht den größten Teil seines Erfolges beim Publikum und einen nicht geringen Teil seiner künstlerischen Größe aus. Darüber sollte man jedoch die geistig-intellektuelle Dimension des Phänomens Puccini nicht unterschätzen. Was in den Kulturwissenschaften erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum beherrschenden Thema wurde, die feministische Kritik an der patriarchalen Gesellschaft, die Fokussierung der Philosophie auf das Andere, Besondere, Singuläre, die Rehabilitation der Sinnlichkeit, die postmodernen Zweifel am Fortschrittsdenken und den Allmachtsphantasien viriler Rationalität, das alles ist in Puccinis vokalem Plädoyer für das Weibliche schon deutlich vorgezeichnet. Mit ihm inaugurierte Puccini eine neue Anthropologie, die eben keineswegs auf eine Bestätigung der überkommenen Geschlechterrollen hinausläuft, sondern die in der Sprache der Töne ein neues Menschenbild erträumt, bei dem Liebesfähigkeit, Zärtlichkeit, Sensibilität und Gewaltlosigkeit dasjenige sind, worauf es im Leben allein ankommt.

Christian Tepe

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