Glaube, Hoffnung, Liebe“ heißt das aktuelle Spielzeitmotto. Aber es ist so eine Sache mit der Religion. Drei Viertel der westlichen Kunst seien ohne Kenntnis der Bibel und der Heiligengeschichten nicht zu verstehen, meinte Ende 2009 der italienische Autor und Medienwissenschaftler Umberto Eco, und beschrieb eindrucksvoll den Verlust kultureller Grundbegriffe. Das Aachener Programmheft zitiert den Publizisten und Philosophen Peter Sloterdijk: „Überall auf der Welt wird kräftig geglaubt, nur bei uns hat man die Ernüchterung verherrlicht.“ In der Tat, selbst zwischen den USA und Europa tut sich hier eine beträchtliche Kluft auf. Andererseits ist Kirchenmusik nach wie vor ein beträchtlicher Attraktionsfaktor der christlichen Kirchen – ohne dass sie religiöses Wissen oder gelebte religiöse Praxis der Konzertbesucher voraussetzt. Inhaltlich zeugt die Aachener Produktion von der Schwierigkeit, das Thema „Religion“ zu reflektieren. „Unser Wissen über das Alte Testament ist ja im Prinzip ein Kinderwissen“, glaubt Regisseur Engels. Entsprechend naiv fällt der Versuch aus, Gestalten wie Noah, Moses oder Hiob von sakraler Überhöhung zu befreien und sie als Menschen dem Publikum näherzubringen. Wie Mans Text biblische Szenen wörtlich nimmt und in alltägliche Sprache übersetzt, gerät plakativ. Natürlich sind alttestamentarische Erzählungen oft brutal und wenig erbaulich, doch in der alten griechischen Mythologie geht es kaum freundlicher zu. Nur nimmt diese niemand für bare Münze, während das Aachener Inszenierungsteam glaubt, auf theologische, historische, kulturanthropologische oder psychologische Hintergründe verzichten zu können. So wird Religion dann tatsächlich zum gespenstischen Wiedergänger, wie ihn Sloterdijk an die Wand malt. Engels ordnet die gewählten Bibel-Ausschnitte nach den Schwerpunkten „Entstehung von Religion“, „Religion als Gesetz“ und „Verteidigung des Gesetzes“. Ihn interessiert dabei insbesondere, wie sich Gesellschaft über Religion konstituiert. Überzeugend entfaltet die Regie das aggressive und das ausgrenzende Moment. Beeindruckend gerät auch die Szene aus dem Buch der Richter zwischen Jiftach und seiner Tochter. Dass Religion im Leiden auch Trost stiftet, deutet sich in der etwas klischeehaften Darstellung des Opernchores als über die Bühne irrende Flüchtlingsgruppe immerhin noch an. Doch die prophetischen und messianischen Passagen des Alten Testaments, in denen Religion dann Gesellschaftskritik übt, fehlen. In jeder Aufführung kommt nach der Pause ein Vertreter einer der in der Stadt Aachen existierenden Religionsgemeinschaften zu Wort. In der zweiten Vorstellung blieb einem evangelischen Pastor der wichtige Hinweis vorbehalten, dass das Alte Testament eben keine Heroen und keinen unfehlbaren Gott zeigt, sondern einen, der irrt, Reue zeigt und dazulernt. Die Musik liegt zu den Szenen der Handlung eigenartig quer. Von Not und Verzweiflung, Hoffnung und Erlösung künden die Psalmvertonungen. Delalandes „Super flumina“ wird vom Orchester zwar zupackend und schlank begleitet, gerät dem Chor aber erstaunlich schwerfällig. Einfühlsam, warm und gut phrasiert erklingen Mendelssohns Kompositionen der Psalmen 42, 98 und 115. Mit zwei „Liedern des verliebten Muezzins“ von Karol Szymanowski rückt etwas unvermittelt der islamische Kulturkreis in den Blick; ein passendes szenisches Pendant zu musikalischer Verzückung und Diesseitsbejahung fand sich hier anscheinend nicht. Bei den zwei Nummern aus Giacinto Scelsis „Vier Stücke über eine einzelne Note“ dagegen hält die szenische Spannung. Edgar Varèses „Dance for Burgess“ begleitet den Tanz ums Goldene Kalb. Dem wilden „Doundou Tchil“ aus Olivier Messiaens Liedzyklus „Harawi“ verleiht Astrid Pyttlik starke sängerische und darstellerische Ausstrahlung. Überhaupt beeindruckt das aus Oper und Schauspiel gemischte Ensemble durch Geschlossenheit, Ausstrahlung und stimmliche Sicherheit. Die Personenführung der Solisten ist von unaufdringlicher Souveränität, Regietheater-Klischees sind wohltuend vermieden. Am Ende kommt mit einer gro-ßen Gebetsszene die rituelle Dimension der Musik stärker in den Blick. Doch spätestens als eine viel zu kurze Delalande-Phrase den Abend beschließt, wird deutlich, dass das Programm nicht von der Musik her gedacht ist. Andreas Hauff |
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