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Editorial

Können 200 Vorfeldmitarbeiter das Grundgesetz zum Wackeln bringen? Yes, they can – wenn sie sich des richtigen Hebels bedienen. Plötzlich schmerzt er wieder, der Stachel, den das Bundesarbeitsgericht 2010 in das Fleisch der insoweit merkwürdig solidarischen Arbeitgeberverbände und DGB-Großgewerkschaften trieb, indem es feststellte, daß es für das so bequeme Dogma der sogenannten Tarifeinheit (Schlagwort: „ein Betrieb – eine Gewerkschaft“) eigentlich gar keine rechtlich bindende Grundlage gebe, dieses Dogma vielmehr vor dem Hintergrund der grundrechtlich garantierten Koalitionsfreiheit durchaus problematisch sei.

Tobias Könnemann. Foto: Johannes List

Tobias Könnemann. Foto: Johannes List

Das geschah just in einer Zeit, in der kleine Berufsgewerkschaften die Arbeitgeber das Fürchten und die Großgewerkschaften das Neiden lehrten, indem sie durch punktuelle Arbeitskampfmaßnahmen an besonders empfindlichen Stellen (Verkehr, Gesundheit etc.) enorme Forderungen durchsetzen konnten. Einstimmig schrieen Arbeitgeber und DGB nach einer gesetzlichen Regelung, die dem Treiben dieser frechen Störenfriede faktisch den Garaus machen und die alten Spielregeln sicherstellen sollte. Nachdem bei den Gewerkschaften aber wesentliche Teile der eigenen Mitgliedschaft nicht mitspielten, zogen sie sich aus der Initiative zurück, und es wurde still um das Projekt.

Da das Fliegen offenbar diversen gesellschaftlich relevanten Gruppen als existentieller Teil ihrer Selbstverwirklichung unabdingbar erscheint und durch den Streik einiger von der Gewerkschaft der Flugsicherung vertretener Vorfeld-Mitarbeiter des Frankfurter Flughafens tatsächlich einige Kurzstreckenflüge ausfielen, brach die Hysterie wieder auf, und bis hin zur Bundesarbeitsministerin erschallt wieder der Ruf nach einem Gesetz zur Erzwingung der Tarifeinheit.

Doch was, außer der wechselseitigen Absicherung ihrer Machtpositionen durch die Platzhirsch-Verbände beider Seiten, würde eine solche „Tarifeinheit“ bringen? Einheitlichkeit – sicher. Berechenbarkeit – wohl auch. Ausgeglichenere Vergütungsentwicklung, etwas mehr Rechtssicherheit – vielleicht.

Aber was kostet sie? Pluralität auf Gewerkschaftsseite bis hin zur Marginalisierung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit, spezifische Interessenvertretung für Minderheitengruppen, die in Großorganisationen zwangsläufig zu kurz kommen, und damit auch für die Arbeitgeberseite wünschenswerte sachnahe Regelungen in diesen oft besonders wichtigen Bereichen. Es kommt doch nicht von ungefähr, daß der Organisationsgrad der Berufsgewerkschaften heute tendenziell größer ist als der der Industriegewerkschaften. Und beispielsweise der Deutsche Bühnenverein bekennt sich doch nicht deshalb zur Tarifpartnerschaft mit den Künstlergewerkschaften, weil sie besonders bequem wären, sondern deshalb, weil er nur mit ihnen die Möglichkeit sieht, Regelungen zu finden, die den Bedürfnissen des künstlerischen Theaterbetriebs gerecht werden.

Was das Ausnutzen von Schlüsselpositionen angeht: Erinnern wir uns nicht daran, wie vor einigen Jahren die Großgewerkschaften des öffentlichen Dienstes mit winterlichem Streik der Straßendienste den Verkehr der Republik ins Chaos stürzten? Würde eine ver.di, wenn sie denn Fluglotsen organisierte, dies nicht ebenso gezielt als Waffe einsetzen? Arbeitskampf ist nun einmal gezielte Schädigung der anderen Seite, um sie zum Einlenken zu zwingen. Spannend wird es da, wo außenstehende Dritte unmittelbar und erheblich (mit-)betroffen sind. Spätestens hier kommt die Frage der Ethik ins Spiel: Wie viele tödliche Spätfolgen verzögerter Behandlungen darf ein Ärztestreik / wie viele Unfälle ein Straßendienststreik im Winter verursachen? Darf man den Gegner oder gar Dritte wirtschaftlich vernichten? Juristisch läuft dies unter dem Schlagwort „Verhältnismäßigkeit“, und da gibt es für alle – Arbeitgeber und Gewerkschaften – klar definierte Grenzen, die die Rechtsprechung entwickelt hat und ständig weiterentwickelt, wie zuletzt im Verfahren über den eingangs erwähnten Fluglosen-Streik, der zu Recht untersagt wurde. Und Richterrecht spielt im Arbeitsrecht aus gutem Grund seit jeher eine besondere Rolle.

Zu guter Letzt müssen wir uns eingestehen, daß wir in einer Marktwirtschaft leben – auch was die Ware „Arbeit“ betrifft. Egal, ob von einer oder mehreren Gewerkschaften vertreten, dem Lohngefälle in einem Betrieb sind Grenzen gesetzt, und hohe Abschlüsse einer Berufsgruppe werden langfristig Sogwirkungen auf die der anderen ausüben. Andererseits wird niemand verhindern können, daß die begehrtesten Mitarbeiter über- bzw. außertariflich bezahlt werden. Mit Gerechtigkeit hat das oft wenig zu tun, aber im Großen und Ganzen funktioniert das Spiel der Kräfte.
Nehmen wir uns ein Beispiel daran, mit welcher Gelassenheit wir es vor zwei Jahren hinnahmen, daß der Eyjafjallajökull den Flugverkehr über weiten Teilen Europas tagelang lahmlegte. Kein Mensch hat damals ein Gesetz gegen Vulkanausbrüche gefordert.

Tobias Könemann

 

 

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