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Gedanken des VdO-Mitglieds Sebastian Bollacher

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Wilhelm Pitz-Preis

Unter dieser neu eingeführten Rubrik bietet „Oper & Tanz“ ein Forum, in dem interessierte Leser Gedanken zu aktuellen Themen äußern können. Gerne fordern wir Sie auf, dem Beispiel Ihres Kollegen zu folgen und eigene Meinungen, Stellungnahmen oder Kommentare zur Diskussion zu stellen. Beiträge, die in diesem Rahmen veröffentlicht werden, geben in erster Linie die Meinung des Verfassers und nicht unbedingt die Meinung der VdO, der Herausgeber und der Redaktion wieder. Die hier veröffentlichten Artikel stellen wir auch im internen Bereich von www.vdoper.de zur Diskussion. Wir behalten uns vor, Ihre Beiträge zu kürzen.

Ein freier Abend pro Woche ist zu wenig

Gedanken des VdO-Mitglieds Sebastian Bollacher

„Keine Ruh bei Tag und Nacht…“ singt zwar Leporello, der wahrscheinlich in den nächsten zwei Premieren nicht besetzt ist und nach einer langen Partie auch mal eine Ruhepause einlegen darf, aber eigentlich ist es das Klagelied eines gemeinen Chorsängers, der eben auch in den folgenden beiden Stücken mitwirken muss und am nächsten Tag zwei Dienste hat und am übernächsten und so weiter…

Im Folgenden möchte ich einige Überlegungen zu unserem Beruf anstellen, um damit hier, in „unserer Zeitung“, oder auf anderen Wegen der Vernetzung eine Diskussion anzuregen, die auf eine Verbesserung unseres Tarifvertrages hinzielt, zumindest aber unseren Vertretern bei den Verhandlungen mit dem Tarifpartner eine Richtung vorgibt.
Warum kommen eigentlich in „unserer VdO-Zeitung“ so wenige, beziehungsweise gar keine Chorkollegen zu Wort? Haben wir keine Stimme? Zeigt sich hier etwas von unserem eigenen Selbstverständnis? Es ist höchste Zeit, daran etwas zu ändern und unser Image und Selbstbild aufzupolieren. Ich möchte daher dringend erforderliche Verbesserungen anregen.

Als gravierendstes Problem in unserem Beruf sehe ich die Arbeitszeiten und die daraus entstehenden Belastungen. Zehn oder gar elf Dienste in einer Woche – und damit nur ein freier Abend – sind definitiv zuviel! Die uns zustehenden 1,5 freien Tage in der Woche reichen erfahrungsgemäß nicht aus, um genügend Erholung vom Dienstalltag zu finden, und somit auch nicht, um eine sich stetig steigernde Müdigkeit und erhöhte Krankheitsanfälligkeit zu verhindern. Geteilte Dienste mit doppelten Anfahrten und biorhythmisch ungünstig eingeteilter Leistungskurve sind etwas anderes als ein „normaler“ Arbeitstag. Man sollte einmal von professioneller Seite untersuchen, was diese Art der Diensteinteilung für physische und psychische Folgen hat.

Man muss sich einmal ausrechnen, wann und wie oft ein Chormitglied einen Lebenspartner sehen kann, der zu üblichen Bürozeiten arbeitet. Die kurzen Phasen des Miteinanders erschweren das Familienleben und die Aufrechterhaltung aller sozialen Strukturen, besonders wenn dazu noch Verantwortung für Kinder kommt. Die Belastungen treffen nicht nur die im Theater Beschäftigten sondern auch deren Angehörige.

In allen Opern und Mythen wird seit Urzeiten von den katastrophalen Folgen erzählt, die entstehen, wenn Menschen aus ihrer sozialen Balance geworfen werden. Regisseure, Dramaturgen und Intendanten müssen lernen, dass dies auch im wirklichen Leben gilt.

Ein weiteres wichtiges Thema, das es zu diskutieren gilt, sind die Proben. Gleich dazu: Proben sind unerlässlich, wichtig und schön, ein Theater ohne Proben ist nicht denkbar, wäre Unsinn und könnte keinen künstlerischen Anspruch für sich erheben. Aber: Probe ist nicht gleich Probe. Und Proben, die nicht unter die oben genannte Kategorie fallen, sind allzu oft ein Ärgernis.

Wir sind von Berufs wegen Kollektivtiere, aber das heißt nicht, dass wir das auch a priori sein müssen. Wenn dieser Aspekt unserer Arbeit überhandnimmt, geht Produktivität verloren. Frust erwächst daraus, dass man bei der Arbeit, im Kreativprozess, das Gefühl hat, nicht wirklich gemeint und beteiligt zu sein, und dass unsere Zeit zu oft für bloße Anwesenheit vergeudet wird. An anderer Stelle werden dafür weitere Dienste angeordnet. Wer kennt nicht die langen halben Stunden, in denen die Chorherde paralysiert und immer unaufmerksamer auf der Probe steht, während ein Regisseur stammelnd versucht, seine vagen Ideen in Worte zu fassen, oder in denen es ihm nicht gelingt, auf den Punkt zu kommen.

Zu viel leeres Wiederholen sowohl bei szenischen als auch bei musikalischen Proben führt zu Entfremdung und Distanz. Und welches Theater lebte nicht und würde nicht getragen vom inneren Feuer der Ausübenden? Routine und Überdruss sind hier kontraproduktiv. Genau solche Momente werden aber allzu oft durch unsere Dienstpläne, beziehungsweise deren Gestalter, und die dadurch erzeugte Dienstmentalität kreiert.

Dem Übel könnte man durch Reformierung der Probenarbeit den Stachel ziehen. Bei der Einstudierung mehrstimmiger Chorsätze ergibt es sich häufig, dass viele Choristen mögliche „Kreativzeit“ ungenutzt verstreichen lassen müssen, derweil ein kleiner Teil durch die Stimme geführt wird. Auf meine jüngst gestellte Frage, ob man nicht klugerweise erst einmal einzeln und in Ruhe zuhause über den Noten sitzen sollte, ehe man dann gut vorbereitet zusammenkäme, wurde uns vom eigenen Chordirektor die Kompetenz abgesprochen, so etwas zu tun.

Darin drückt sich so vieles von dem aus, was uns das Leben schwerer macht als nötig. Uns von Arbeitgeberseite für unfähig zu erklären, mit Notentexten umzugehen?! Wir sind keine musikalischen Analphabeten und haben alle ebenfalls an Musikhochschulen studiert.

Daher rührt es, dass man uns regelmäßig und tarifrechtlich legitimiert (!) Dienstpläne vorlegt, die uns zehn- oder elfmal in einer Woche anfordern. Das führt zu Proben, die nur um der Proben willen gemacht werden, ohne daraus Gewinn zu ziehen, man sitzt die Proben nur noch ab. Das rundet sich schnell zu einem trüben Berufsbild: Leistung lohnt sich nicht, Aufstiegschancen fehlen, man kann im Produktionsprozess keinerlei selbständigen Entscheidungen treffen und leidet generell an einem Kreativitätsdefizit.

Das muss nicht sein. Wir müssen raus aus der chor- und theater-
typischen Denkweise: „Das war schon immer so.“ Weg von dem Vorwand der besonderen Notwendigkeiten eines Theaterbetriebs. Und weg von der Vorstellung, dass ein guter Chorsänger nur den Mund aufmacht, wenn er einen Einsatz bekommt.
Traute man uns mehr Befähigung und Selbständigkeit zu, könnte man leicht die Hälfte der Chorsaalproben einsparen und durch flexible Eigenarbeit ersetzen. In allen modern geführten Unternehmen hat man längst festgestellt, dass Flexibilisierung und Individualisierung von Arbeitszeit Leistungsbereitschaft, Wohlgefühl und Produktivität steigern. Warum sollte das am Theater anders sein? Es geht hier nicht um Arbeitszeitverkürzung, sondern um Qualitätsmanagement und Menschenumgang.
Das selbständige Erarbeiten und Auswendiglernen von Chorpartien böte immense Vorteile:

  • Mehr freie Abende
  • Mehr Flexibilität und Eigenverantwortung (auch im Zeitmanagement)
  • Intensivere Auseinandersetzung mit den Noten und dem Text (mehr innerer Bezug zur Partie)
  • Intensivere Auseinandersetzung mit der eigenen Stimme und dem eigenen Körper (stärkere Selbstwahrnehmung)
  • Besseres „Im-Hals-haben“ der Partie
    Mehr Möglichkeiten sozialer Interaktion außerhalb des Theaters
  • Mehr Selbstwertgefühl (daraus folgt: mehr Einsatzbereitschaft)
  • Weniger Krankheiten
  • Erhalt und Steigerung der Qualität

Die unmittelbaren Vorteile für das Theater bestünden in motivierteren, ausgeruhteren und dadurch schlicht besseren Choristen. Vielleicht ergäben sich dabei für den einzelnen Chorsänger auch tatsächlich kürzere (oder zumindest so empfundene) Arbeitszeiten, da jede selbst unternommene Probe auf die individuellen Bedürfnisse ausgerichtet werden kann.

Natürlich muss der Chor zur kollektiven Probengestaltung auch zusammenkommen. Hier bieten sich lernphasenbegleitende Korrepetitionsproben an, die in unterschiedlicher Besetzung stattfinden können. So stehen an erster Stelle natürlich Stimmgruppenproben (auch mit nur Teilen der Gruppen) und später so qualitätsfördernde und dienstlich entlastende Varianten wie zum Beispiel Quartett- oder Oktettproben.

Die Regieseite und auch die Dirigenten könnten sich so über besser studierte, vielseitiger einsetzbare und fittere Singdarsteller freuen, die dank der oben aufgeführten Vorteile natürlich auch die Regie- und Bühnenarbeit schneller, effektiver und künstlerisch befriedigender werden lassen. Was wiederum zu einer Entzerrung und Entlastung auf dienstlicher Seite führen kann.

Ich schlage folgende Formulierung für den neuen Passus im Tarifvertrag vor: „Dem einzelnen Chormitglied sind individuell pro Woche mindestens zwei Dienste zum selbständigen Partienstudium zu gewähren, wovon mindestens einer am Abend liegen muss. In besonderen Fällen ist es möglich, diese Studierzeiten aus einer Woche auf einen anderen Zeitraum zu verschieben, wobei auch hier die Zahl der freien Abende gewahrt bleiben muss. Das Chormitglied kann auf die Wahrnehmung dieser Studierzeiten verzichten, wenn es stattdessen an vom Haus angebotenen Korrepetitionsproben teilnimmt. Das Chormitglied, welches die Studierzeiten in Anspruch nimmt, verpflichtet sich, die jeweils abgesprochenen Partien oder Teile davon vorzubereiten, weiterzustudieren und auswendig zu lernen.“

Ich hoffe, dass sich ein in Verhandlungen hineinwirkender starker Wille der Chöre bildet, dem sich endlich auch zaghafte und ängstliche Chordirektoren, Intendanten und Disponenten anschließen müssen, kurz, dass dieser Text nicht hier endet, sondern dass er als Anfang fungieren möge, damit wir endlich freier atmen können. Und darum möchte ich endend beginnen: Va, pensiero, sull’ali dorate…

Sebastian Bollacher

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