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Portrait

Compagnie in Bewegung

Das Staatsballett Berlin im Porträt · Von Volkmar Draeger

Die Bilanz kann sich sehen lassen: Im Dezember 2011 waren die Vorstellungen beim Staatsballett Berlin zu 96 Prozent ausgelastet. Als Zugpferde erwiesen sich Patrice Barts Dauerbrenner „Schwanensee“ und, als Neuzugang, Heinz Spoerlis „Peer Gynt“, die der Spielstätte Deutsche Oper gar eine Auslastung von 99,9 Prozent bescherten. Im Jahresschnitt sehen die Zahlen realistischer aus, liegen mit 83,4 Prozent aber immerhin um 1,2 Prozent über denen von 2010. Fast 110.000 Zuschauer konnte Deutschlands größte Compagnie in seine 3 Spielstätten locken bei nur 99 Vorstellungen insgesamt. Mit 91,6 Prozent wurde die Komische Oper deren erfolgreichste, wieder dank einem der Renner: „OZ – The Wonderful Wizard“ von Giorgio Madia nach Frank Baums beliebtem Kinderbuch „The Wizard of Oz“.

Das Tatjana Gsovsky Studio im neuen Probenzentrum. Foto: Marc Volk

Das Tatjana Gsovsky Studio im neuen Probenzentrum. Foto: Marc Volk

Dem Staatsballett Berlin geht es gut, wenngleich es durch die Rekonstruktion der Staatsoper Unter den Linden seinen attraktivsten Auftrittsort verloren hat, Wiedereröffnung nicht vor Oktober 2014. Als Ersatz steht für beide Sparten, Oper wie Ballett, das aufwändig hergerichtete Schiller Theater zur Verfügung, jedoch mit deutlich weniger Plätzen. Dass zugleich die Vorstellungszahl beim Staatsballett von 117 in 2010 auf 99 sank, schmälert die Einnahmen des der Stiftung Oper als ebenbürtige Säule zugehörigen Ensembles. Gastspiele müssen das Manko ausgleichen, von der mit starker Resonanz absolvierten Japan-Tournee bis zu zwei Vorstellungen im seit Jahren ballettlosen Theater Brandenburg.

Positiv zu Buche schlägt das neue Probenzentrum der Compagnie in der Deutschen Oper. Für 4,6 Millionen Euro wurde dazu der riesige Malsaal unter Beibehaltung seines Werkstattcharakters in drei große Ballettsäle zerlegt, deren größter 439 Quadratmeter misst und den Namen der vormaligen Ballettdirektorin Tatjana Gsovsky trägt. Die beiden anderen, alles schallisoliert abgeschiedene Räumlichkeiten von lichter Höhe, mit Atelierverglasung, perfektem Schwingboden und regelbarem Heizsystem, sind nach Gsovskys Nachfolger Gert Reinholm sowie Tom Schilling benannt, der zweieinhalb Jahrzehnte das Tanztheater der Komischen Oper leitete. So bündelt die neue Ballettresidenz zugleich Berliner Balletthistorie. Physiotherapie, Sauna, vom Freundesverein gesponserte Kinesis-Wand, Ruheraum aus Einzelkabinen für die Tänzer sowie mansardenartige Büros für die Leitung komplettieren das kompakte Arbeitszentrum. Man erreicht es über das aus der einstigen Kaschierwerkstatt hervorgegangene, in den Bauhaus-Farben Rot, Blau und Grau gehaltene Foyer de la danse von 314 Quadratmetern Fläche, das den konservierten Charme ehemaliger Industriearchitektur aufweist. Für rund eine dreiviertel Million Euro aus den Rücklagen hat sich das Staatsballett sein Entrée selbst geschenkt. Bibliothek, Mediathek, Konferenzsaal und Personalräume zweigen davon ab. Separat und ungestört vom Opernbetrieb kann das Staatsballett jetzt arbeiten und wird daher sicher verschmerzen, dass es ein Zurück in die sanierte Lindenoper nicht mehr geben wird. Wo 1742 Friedrich II. Berlins Ballett gründete, darf die Nachfolgecompagnie dann zwar noch auftreten, behält aber ihren Sitz in der Deutschen Oper bei. Einziger Vorteil der derzeitigen Interimslösung: Deutsche Oper und Staatsoper im Schiller Theater, wie jenes temporäre Domizil heißt, befinden sich in derselben Straße, nur wenige Meter entfernt. Das minimiert Wege.

Hohe Qualität

„OZ – The Wonderful Wizard“ mit Vladislav Marinov. Foto: Enrico Nawrath.

„OZ – The Wonderful Wizard“ mit Vladislav Marinov. Foto: Enrico Nawrath.

Mit dem personellen Rückgang im Rahmen der Formierung des Staatsballetts zum 1. Januar 2004 haben sich mittlerweile wohl alle abgefunden – außer jenen rund 100 Tänzern, die damals ihren Job verloren und kein neues Engagement fanden. Das betraf viele Tänzer der Deutschen und fast ausnahmslos die der Komischen Oper. Auf dem rasch sich drehenden Jobkarussell der Tänzer sind im neunten Jahr des Bestehens eh nur noch einige vorzügliche Solisten und wenige Gruppenmitglieder von der Gründungsmannschaft übrig geblieben. Qualitativ ist die Zusammenlegung der 88 exzellente Tänzer aus 25 Nationen zählenden Compagnie durchaus bekommen. Zumal ihr mit Vladimir Malakhov als Intendant ein internationaler Star, mit Christiane Theobald eine aktiv zupackende, klug dirigierende Stellvertreterin vorstehen. Gemeinsam haben sie allerlei für den Tanz in Berlin bewegen können. Malakhovs Name zieht noch immer Zuschauer ins Haus, wiewohl sein Ruhm zu verblassen droht. Nicht sein Alter von 44 Jahren ist dabei das Problem, sondern der Raubbau an seiner Gesundheit, mit Operationen als Folge steter Überlastung. Erster Solist im eigenen Haus mit zahlreichen Vorstellungen zu sein, weltweiter Gaststar, Inszenator abendfüllender Klassiker und, fast nebenher, Intendant –all das hat die Kräfte aufgezehrt. Wenig schmeichelhaft fallen derzeit seine Kritiken aus, leiten einen für ihn gewiss schmerzlichen Umdenk- und Rückzugsprozess ein.

„Peer Gynt“ mit Vladimir Malakhov. Fotos: Bettina Stöß

„Peer Gynt“ mit Vladimir Malakhov. Fotos: Bettina Stöß

Im Repertoire setzt Malakhov, der Prinz von Geblüt, auf Werke der Romantik, die er so liebt, reaktivierte gerade selbst etwas blutleer „La Péri“, holte für „La Esmeralda“ als Choreografen Yuri Burlaka und Vasily Medvedev vom Bolschoi-Ballett Moskau. Gescholten wird er für eigene Redaktionen von „Cinderella“ und „Dornröschen“, bewies nicht immer eine glückliche Hand in der Wahl seiner Gastchoreografen. So versank „Das flammende Herz“, Patrice Barts episodische Hommage auf das Leben des englischen Dichters Percy Shelley, bald wieder in der Versenkung. Manchmal allerdings entwickeln Werke ihr Eigenleben: Ungnädig behandelt von der Kritik, stoßen sie auf regen Publikumszuspruch, ob Boris Ejfmans „Tschaikovsky“, Mauro Bigonzettis „Caravaggio“, Madias „OZ“ und jüngst Spoerlis „Peer Gynt“. Auf dem Spielplan steht seit wenigen Wochen erst „Romeo und Julia“, nach „Onegin“ ein zweites Meisterwerk von John Cranko. Malakhov setzt damit auf eine sichere Bank und hat mit „Romeo“ Friedemann Vogel endlich auch wieder für das Repertoire einen Gastsolisten von Rang eingeladen, nicht bloß für seine prestigeträchtige Serie „Malakhov & Friends“. Für April bietet er ein dreiteiliges Programm aus Nacho Duatos „Arcangelo“, William Forsythes „Herman Schmerman“ sowie einer Uraufführung von Marco Goecke, der beim Ballett der Lindenoper immerhin kurz getanzt hat. Und im Juni wird Itzik Galili „The Open Square“ uraufführen, was all den Ensembletänzern zupasskommen dürfte, die sich neben dem klassischen auch in zeitgenössischem Bewegungsvokabular ausdrücken möchten. Denn sogar bei ausgesprochenen Erbeliebhabern waren der Sammelabend „Glories of Romantic Ballet“ und Frederick Ashtons „Sylvia“ dann doch auf zu wenig Gegenliebe gestoßen.

Dass Malakhov mit „Shut up and dance!“ ein Podium für die choreografischen Ambitionen seiner Tänzer geschaffen hat, das mit seiner jüngsten Ausgabe einen veritablen Hit gleich über mehrere Saisons hinweg bescherte, rundet das Bild von den Aktivitäten im Staatsballett Berlin ab.

Tanz ist KLASSE

„Romeo und Julia“ mit Marian Walter, Martin Szymanski und Iana Salenko. Fotos: Bettina Stöß

„Romeo und Julia“ mit Marian Walter, Martin Szymanski und Iana Salenko. Fotos: Bettina Stöß

Viel tut die Compagnie zudem dafür, Tanz über die Repertoirevorstellungen hinaus zu popularisieren. So lädt sie jedes zweite Jahr zur „International Dance Summit“ genannten Ballettwoche, bei der hautnaher Kontakt zu den Besuchern im Mittelpunkt steht und sich jeweils eine Gastcompagnie präsentiert, diesmal das Petersburger Ballett-Theater des Boris Ejfman. Für die Jüngsten läuft auf unterschiedlichen Bühnen der Stadt seit mehreren Spielzeiten die Reihe „Märchenballett ab 4“. Den potenziellen Zuschauer der Zukunft erzieht sich das Staatsballett im Rahmen seines vom Verein „Tanz ist KLASSE!“ getragenen Education-Programms heran. Gert Reinholms Erbe legte dafür die finanzielle Basis. Vier Tänzerinnen weihen in den Räumen des Staatsballetts oder direkt in der Schule Kinder in die Anfangsgründe des Tanzes ein und erarbeiten mit ihnen kleine Choreografien. Über 10.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene konnten so etwa über Workshops erreicht werden. Die Nachfrage seitens der Schulen ist so riesig, dass interessierten Pädagogen gerade ein fundiertes Lehrmaterial aus Arbeitsblättern für Eigeninitiativen an die Hand gegeben wurde. Es wurde an 900 Berliner Schulen verteilt und gibt Anleitung für Theorie und Praxis. Das Staatsballett multipliziert sich.

Volkmar Draeger

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