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Schwerpunkt: Operette

Blitzblank, brillant und etwas grell

„Polnische Hochzeit“ von Joseph Beer an der Staatsoperette Dresden

Von Roland H. Dippel

Etwas verwinkelt gelangte die Operette „Polnische Hochzeit“ des österreichisch-jüdischen Komponisten Joseph Beer (1908 bis 1987) an die Staatsoperette Dresden. Im Zuge der von Barrie Kosky mit der Komischen Oper Berlin ausgelösten Operetten-Renaissance hatte 2018 an der Oper Graz deren Intendantin Nora Schmid gemeinsam mit Sebastian Ritschel die „Polnische Hochzeit“ herausgebracht. Voraus gegangen waren eine Produktion beim Wiener Operettensommer (2012) und eine CD mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks und dem Münchner Rundfunkorchester unter seinem damaligen Chefdirigenten Ulf Schirmer (2015). Die Staatsoperette Dresden konnte sich die deutsche Erstproduktion sichern, schon bevor Nora Schmid die Intendanz der Semperoper übernimmt.

In Windeseile hatte Staatsoperette-Dramaturgin Judith Wiemers zwei Monate nach der Premiere von „Polnische Hochzeit“ zur Vorstellung am 17. Juni das Symposium „Operette und der Osten“ eingefädelt und dort gleich mehrere Gründe für die Handlungsführung und Musikfolge von „Polnische Hochzeit“ und ähnlicher Operetten, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden, geliefert. Die Operetten-Kreativen griffen seit etwa 1920 den Exodus und die weltweite Zerstreuung russischer Ex-Oligarchen nach der Oktober-Revolution auf. Das dargestellte Völkergemisch an High-Society-Hotspots legitimierte den für die Operette alsbald typischen Turbomix von Csárdás und Charleston, Jazz und Mazurka. Andererseits wurden Flüchtlings- und Heimkehrschicksale mit einer durchaus ernsten Komponente zu Operetten-Sujets – wie in Paul Abrahams „Viktoria und ihr Husar“ (1930) und hier in „Polnische Hochzeit“ (1937).

Elmar Andree als Staschek Zagorsky und Jolana Slaviková als Suza. Foto: Pawel Sosnowski

Elmar Andree als Staschek Zagorsky und Jolana Slaviková als Suza. Foto: Pawel Sosnowski

Mir akribischer Sorgfalt, einem ästhetischen Merkmal der Staatsoperette, hatte man die Dresdner Wiederaufführung der „Polnischen Hochzeit“ des wegen des Einmarschs der deutschen Truppen in Österreich 1938 nach Frankreich geflüchteten Joseph Beer vorbereitet und dessen Tochter Béatrice Beer zum Flüchtlings- und Außenseiter-Schicksal ihres Vaters befragt. Regisseurin Julia Huebner teilte die Heimkehrer-Hauptfigur Boleslav Zagorsky in eine junge (Matthias Koziorowski) und eine „alte“ Figur (Herbert G. Adami). In seiner schmelzenden Romanzen-Melodie reimen sich „Rosen“ und „Heimatlosen“. Bühnenbildnerin Esther Dandani versetzte das Geschehen aus der Gegenwart Beers sowie seiner Librettisten Fritz Löhner-Beda und Alfred Grünwald vor ein ziemlich nüchternes Folklore-Odeon. Dinah Ehm zieht mit ihren Kostümen Richtung 1980er-Jahre nach.

Das wirkt steril, oft kühl und sehr korrekt, weil alle Kollektive – Chor (Leitung: Thomas Runge), Kinderchor, Ballett (Choreografie: Jörn-Felix Alt) und das Orchester unter Chefdirigent Johannes Pell – blitzblank, brillant und etwas hell bis grell geführt sind. Dabei ist Beers Musik in ihrer dramatischen Pointierung und musikalischen Spannweite von einer äußerst dionysischen Vitalität und diesseitsfreudigen Bodenhaftung. Seine fast dicke Instrumentierung erinnert lebhaft an Emmerich Kálmán. Eine typische Operette der 1930er-Jahre also, welche die Messlatte des Operetten-Möglichen und -Machbaren am späten Lehár und der Glanzzeit Paul Abrahams ausrichtete. Bei Beer gibt es wie bei Künneke und JaromÍr Weinbergers „Frühlingsstürme“ sogar noch Anspruchsvolleres.

Ein Paar soll sich kriegen, ein Paar entzweit sich in glücklichem Einvernehmen. Und im Neoliberalismus perfektionierte Kontrollmechanismen werden in der Staatsoperette durch die „Wildkatze“ Suza (Dimitra Kalaitzi) mit Schärfe, latentem Humor und binärer Genderquote bloßgestellt. Steffi Lehmann singt als Jadja mit Finessen eine Bravourpartie. Bei den reiferen und jüngeren Herrenfiguren – Michael Günther als Leutnant Korossoff, Bryan Rothfuss als Mietek Oginsky, Gerd Wiemer als Staschek Zagorsky – lässt Huebners Personenführung weitaus mehr Komiker- und boulevardeske Spielmittel zu als bei den Frauen. Erst nach der Pause begeistert eine Supernummer, in welcher Haltung endlich zu echtem Gemeinschaftsgeist von Spiel, Tanz und Musik wird: Die Nummer „Katzenaugen“ schlägt aus dieser Produktion einen enthusiasmierenden Begeisterungsfunken.

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