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Dem Volk zur Lust und zum Gedeihen

150 Jahre Gärtnerplatztheater in München

Klarer als sein Name charakterisieren zwei Aussagen das Gärtnerplatztheater: „Dem Volk zur Lust und zum Gedeihen“ – und: „Es ist ein Dach, wo unter dem Aspekt von Freiheit, Toleranz und Selbstverständlichkeit der Künste alles, was das musikalische Genre aufbieten kann, vereint wird“. Zwischen beiden Sätzen liegen 150 Jahre Theatergeschichte: dem Sinnspruch zur Eröffnung am 4. November 1865 und der kleinen Jubiläumsrede von Intendant Josef Köpplinger am Abend des 4. November 2015. Es musste gleichsam „obdachlos durch Generalrenovierung“ gefeiert werden, denn der tiefere Untergrund aus Isarschwemmland, Asbest aus dem Wiederaufbau nach dem Krieg und langwierige Zukaufsverhandlungen für die jetzige Erweiterung machten eine Fertigstellung zum 150.Jubiläum unmöglich. So fanden sich auf dem Gärtnerplatz rund 2.000 Besucher ein, nach Filmschnipseln aus aktuellen Aufführungen formten Stuntmen mit ihren Körpern auf der verdeckten Gerüstfassade eine „150“, und dann wurden per Video Glückwünsche aus der ganzen Theaterwelt zugespielt: Das Gärtnerplatztheater hatte auch in Peking und Tokio begeistert, aus den „jungen“ Musiktheaterländern Amerika und Australien kam Bewunderung des „Alters“.

Intendant Josef Köpplinger. Foto: Thomas Dashuber

Intendant Josef Köpplinger. Foto: Thomas Dashuber

Der meist einseitig auf seine rückwärtsgewandten Schlossbauten reduzierte König Ludwig II. rettete nicht nur den völlig ruinierten Richard Wagner und bewahrte später die Festspiele Bayreuth vor dem Scheitern, er bewilligte als eine seiner ersten Amtshandlungen einem Konsortium angesehener, vor allem jüdischer Bürger den Bau eines zweiten musikalischen Theaters neben dem großen Hof- und Nationaltheater: „Meiner Hauptstadt darf der Besitz eines würdigen Volkstheaters nicht länger vorenthalten bleiben“, verfügte Ludwig II. am 10. Mai 1864. An seinem Geburtstag am 25. August erfolgte die Grundsteinlegung – und kaum ein Jahr später wurde das neue Bürgertheater am Gärtnerplatz feierlich eröffnet.

Die Gründungsidee 1865: von der Vorstadt-Posse über das Volksstück mit Gesang hin zur damals heftig kritisierten „jungen Gattung“ Operette. Der Eröffnungsandrang war groß, doch dann funktionierte die Geschäftsidee der bürgerlichen Aktiengesellschaft nicht kontinuierlich. Die Folge: ein erster Bankrott 1868. Das weitere vielfältige Auf und Ab des Hauses samt Pleiten, Neuverpachtung und Teil-Übernahme in Staatsbesitz erzählt und bebildert ein von Stefan Frey und dem Deutschen Theatermuseum München herausgegebenes Buch höchst opulent. Schon nach 1900 war das Gärtnerplatztheater nicht nur Mittelpunkt eines neuen, höchst lebendigen Stadtviertels, sondern auch gleichwertige Auftrittsadresse zwischen Berlin und Wien: Die Duse kam, auch Adele Sandrock; Karl Valentin trat auf, auch die „Geigenfeen“ Senkrah und Tua, eine japanische Theatertruppe oder die englische D’Oyly-Company mit Gilbert & Sullivans „Mikado“ auf Deutsch. Die ersten Münchner Aufführungen von Gerhart-Hauptmann- und Hermann-Sudermann-Werken fanden im Gärtnerplatztheater statt. Sogar in den Jahren des Ersten Weltkriegs und den extrem schwierigen Monaten nach Kriegsende – von der Monarchie über die Räterepublik zum Freistaat – gelang dem rührigen Direktor Hans Warnecke ein Spielbetrieb mit Premieren. Auch durch die Finanzierungsprobleme der Inflation 1921 hindurch führte Warnecke das Haus, wagte – gegen die neuen Unterhaltungsmedien Radio und Film – immer wieder Novitäten von Paul Abraham oder Ralph Benatzky, lud Stars wie Richard Tauber, Alfred Piccaver oder Leo Slezak samt Tochter Margarete ein. Kurz vor dem europaweiten „Theatertod“ durch die Weltwirtschaftskrise wagte Direktor Warnecke 1928 die damals heftig umstrittene Jazz-Oper „Jonny spielt auf“ von Ernst Krenek: Prompt gab es weiße Mäuse als Premierenstörung, dann 14 Vorstellungen mit ersten NS-Protesten.

Auf der Baustelle: Orchestermitglieder des Gärtnerplatztheaters. Foto: Christian POGO Zach

Auf der Baustelle: Orchestermitglieder des Gärtnerplatztheaters. Foto: Christian POGO Zach

Dem Konkurs 1931 folgte eine umstrittene Verurteilung Warneckes – womöglich der Grund für seinen freiwilligen Todessturz im Münchner Justizpalast. In Abwehr jüdischer Bewerber wurde 1932 ein „deutsches“ Direktoren-Duo bestellt, das dann früh meldete, dass das Theater in der „Hauptstadt der Bewegung“ schon ab dem 1. Mai 1932 „judenfrei“ geführt werde, gipfelnd in der Aufwertung zur „Staatsoperette“ durch die NS-Führung. Die als „Musteraufführung“ eingestufte „Lustige Witwe“ mit dem jungen Johannes Heesters besuchte Hitler siebenmal… Brandbomben setzten 1945 dem braunen Spuk ein Ende.

Die Nachkriegsintendanten, voran Kurt Pscherer, führten das wiederaufgebaute und mehrfach teil-renovierte Haus dann zum Titel „Münchens anderes Opernhaus“: mit bewusster und gekonnter Repertoireerweiterung von der Barockoper über das neue Musical und die Opéra Comique bis zu Uraufführungen. Wenn Walter Felsenstein für seinen individuell geformten Chor den Begriff „Chor-Solisten“ einführte, so kann dies auch im Gärtnerplatz gelten: Von der elegant walzenden Operetten-Ballgesellschaft im Frack über handfest tanzende Bauern in Hillers „Goggolori“, die Stalinisten in Schnebels „Majakowskis Tod“ bis zum vierfach geteilten Volk in Terterjans „Beben“ oder einer zeitgenössischen Jubelvolksmasse in „Aida“ ist der Chor ein höchst wandlungsfähiges Kollektiv von Individuen.

„Bussi – Das Munical“ mit Sandra Steffl als Barbie und Matthias Kostva als Schorsch. Foto: Christian POGO Zach.

„Bussi – Das Munical“ mit Sandra Steffl als Barbie und Matthias Kostva als Schorsch. Foto: Christian POGO Zach.

Pscherer setzte auch die künstlerische Eigenständigkeit des Balletts unter eigenen Direktoren durch – Namen wie Heinz Rosen, Baur-Pantoulier, Ivan Sertic, Günter Pick, Philip Taylor, Hans Henning Paar und derzeit Karl Alfred Schreiner stehen für eine Vielfalt an Stilen und Werkformen.

Waren anfangs Bayerns Könige für das Aufblühen der Künste Glücksfälle, so gelang Kunstminister Heubisch mit der Verpflichtung Josef Köpplingers als Intendant und Regisseur 2012 ein vergleichbarer Coup. Ob „Anything goes“ im Theaterzelt, „Cabaret“ oder das „Bussi-Munical“ in der Reithalle, die „Zirkusprinzessin“ im Circus-Krone-Bau, die Uraufführung von Cerhas „Onkel Präsident“ neben „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ im Prinzregententheater: Köpplinger hat ein Gespür für passende Teams und selbst das Regie-Händchen und Tempogefühl für amüsant pulsierende Werke der so genannten „leichten“, aber heutzutage enorm schwierigen Muse. Soeben ist sein Vertrag bis 2023 verlängert worden. Ihm und dem gesamten Team kann man nur bestätigen, was im Jubiläumsbuch der Schriftsteller Hans Pleschinski herrlich amüsant und anrührend beschreibt: seinen Werdegang vom Statisten zum heutigen Fan des Gärtnerplatztheaters. Ihm als lebenden Baum-Statisten flüsterte eine der hinreißenden Tänzerinnen mit slawischem Akzent zu: „Du machen wunderbar!“

Wolf-Dieter Peter

Stefan Frey/Deutsches Theatermuseum München (Hg.): Dem Volk zur Lust und zum Gedeihen – 150 Jahre Gärtnerplatztheater. 256 S., ca. 300 f+s/w Abb.. Henschel Verlag Berlin 2015. € 34,95
ISBN 978-3-89487-784-2

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