Schwerpunkt
„… dass ich den Mohren hasse!“
Zum „Blackfacing“ auf den Bühnen
„Es ist derzeit vermintes Gelände“, sagt Bernd Loebe, Intendant eines der führenden Opernhäuser der Republik. Er hat zusammen mit Regisseur Tobias Kratzer die Hautfarben-Problematik in Verdis „Macht des Schicksals“ thematisiert – und konterkariert: Die Farbige Michelle Bradley singt die Sopran-Hauptrolle einer spanischen Adeligen vor einem Videofilm mit einem weißen Leonora-Double in Anklang an „Vom Winde verweht“. Später marschiert statt christlicher Mönche eine Art Ku-Klux-Klan auf, und ein weißer Polizist erschießt am Ende den südländisch bronzenen Alvaro – der rassistische Untergrund des Werkes war den ganzen Abend thematisiert und visuell präsent.
Beim „Mohren“ Otello ist für Loebe einzig die Qualität des Sängers und das Konzept der Regie entscheidend. Jonas Kaufmann sang – ob aufgrund von Tenor-Eitelkeit oder politischer Ängstlichkeit? – sowohl in London wie in München einen weißhäutigen Otello: prompt beide Male blass in der Ausstrahlung. Dabei sind Shakespeare wie Boito-Verdi definitiv nicht Rassismus-verdächtig. Sie haben einfach das Kernproblem thematisiert – und Walter Felsenstein hat das schon 1967 auf zwei Taschenbuch-Seiten grundlegend offengelegt: Der Mohr Otello ist Christ geworden, hat sich mit seinem militärischen Talent auf die Seite des „weißen“ Venedig gestellt und ist einflussreich, aber eben auch gefährlich geworden; deshalb ist bereits tagelang vor Handlungsbeginn der venezianische Segler mit seiner Ablösung – egal ob Sieg oder Niederlage – nach Zypern unterwegs und trifft einen Tag nach Beginn der Bühnenhandlung ein – das ist die existentielle Verunsicherung, in der Otello lebt, die ihn Jagos miesen Einflüsterungen erliegen lässt. Otello wäre also nicht als der „emotional Andere“ zu zeigen, es geht vielmehr um die inhumane Arroganz der weißen venezianischen Oberschicht, die Menschen nach real- und wirtschaftspolitischer Strategie gebraucht oder abserviert – und dann ist die schwarze Farbe im Gesicht eines Sängers fern aller aktuellen rassistischen Kulturdiskussion.
Denn natürlich wirft heute eine lange triste Tradition ihre Schatten. Der europäische Kolonialismus und Kapitalismus beutete schon jahrhundertelang Menschen mit anderer als weißer Haut aus, versklavte sie und scheute sich im 17. und 18. Jahrhundert nicht, an Fürsten- und Adelshäusern Hof- oder Kammermohren in der Doppelfunktion zwischen Diener und Dekorationsobjekt zu nutzen. Häufig trugen sie weiße Handschuhe, die später ein gängiges Ausstattungsmerkmal wurden. Denn speziell in den USA entdeckte man auch unterhaltsame Züge in der Kultur der Farbigen und ahmte sie nach: Im gesamten 19. Jahrhundert waren schwarzgeschminkte weiße Künstler als sogenannte „Blackface-Minstrels“ in Bühnenshows beliebt – gipfelnd etwa in Al Jolsons Filmauftritt mit „Swanee“ – meist als Wulstlippen-Karikatur geschminkt und verlachenswert gegen Regeln des weißen Verhaltenskodex verstoßend.
Der schwere, oft diskriminierungsreiche und demütigende Weg farbiger Künstler auf die etablierten Bühnen wäre ein eigenes Thema – von Elizabeth Taylor Greenfield, die um 1885 in London gefeiert, mit Sopran-Ikonen wie Patti, Sontag oder Malibran verglichen wurde und den Ehrennamen „The Black Swan“ bekam – bis hin zu Star-Tenor Russell Thomas, dem auch heute viele Rollen verschlossen bleiben. Und zu erinnern bleiben auch die weit über die Opernbühne hinausgehenden Reaktionen auf Grace Bumbry 1961 als „Schwarze Venus von Bayreuth“ oder Simon Estes 1978 als exotischer Traum-Holländer für eine Senta außerhalb der kleinbürgerlichen Norweger-Gemeinde, wie das Harry Kupfer in Bayreuth ganz gesellschaftskritisch inszeniert hatte. Im Zuge der aktuellen Debatte ist zu fragen: wie umgehen mit dem „Wilden“ Caliban in Shakespeares „Sturm“, der wohl zimtfarbenen Haut von Osmin und Bassa Selim in Mozarts „Entführung“, mit Schikaneders ganz die Wiener Volkstheater-Gaudi bedienender Monostatos-Karikatur, dem „entzückenden“ kleinen stummen Hofmohren Mohammed in Hofmannsthal-Strauss‘ „Rosenkavalier“? Sind es nur altmodisch historisierende Inszenierungen, wenn Selika in Meyerbeers „Vasco da Gama / L’Africaine“, wenn Amonasro und Aida dunkelhäutig auftreten?
Wenn diese Werke eben nicht als Belcanto-Märchenstunde für gutsituierte Erwachsene auf die Bühne gebracht werden, sondern wenn ihr schon immer vorhandener gesellschaftspolitischer Sprengstoff offengelegt wird – also Vasco da Gama als Kolonialist, Bassa Selim als der aufklärerisch allen überlegene Souverän, das pharaonische Ägypten als religiös fanatisierte Großmacht, der Hofstaat der Marschallin als edel kostümierter Repressionsapparat bewusst gemacht werden –, wenn also die meist kaum thematisierte und offensichtlich gemachte, verlogen weiße Suprematie in diesen Werken einer hellhäutig dominierten Bühnenkultur zu erleben ist, dann sind Opfer und Täter richtig erkennbar – die Hautfarbe als eines der dafür benutzten Vehikel kenntlich gemacht und kein verdrängtes Problem einer Gleichberechtigungsdebatte.
Das Ballett ist nach langen Kämpfen – siehe Alvin Aileys rein farbiges „American Ballett“ – offener als das Musiktheater, doch ein schwarzer Romeo und eine weiße Julia müssten aus Verona in ein Apartheid-Land verlegt werden. Auch eine farbige Primaballerina als Odile und eine weiße als Odette, eine farbige Anna Karenina oder Tatjana verändern die Dramaturgie des Originals – erst recht eine weiß durchbesetzte „Porgy and Bess“-Produktion. Natürlich kann die Rassismus-Thematik der „West Side Story“ zwischen weißen „Jets“ und Latino-„Sharks“ auch in eine reine Arm-Reich-Problematik übersetzt werden – doch Rita Moreno und George Chakiris bleiben Idealbesetzungen in der Verfilmung. Also: keine einfache Lösung bei „Rolle und Haut“ in Sicht.
Wolf-Dieter Peter
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