Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

Editorial

Kulturpolitik
Sommertheater in Berlin Das Karussell der Köpfe dreht sich weiter
Eine Lobby für die Musik Gespräch mit der Generalsekretärin des Deutschen Musikrats
VdO-Fundbüro Des Kaisers neue Kleider / Wen dirigiert Maestro Mak Ka-Lok? / Kopf ab / Keine Zeit für Aida

Gesangspädagogik
„Jugend musiziert“ vokal Erfahrungen mit dem Gesang im Wettbewerb
Thesen zur Gesangspädagogik

Portrait
Rosina Kovacs und ihr Projekt für junge Tänzer

Berichte
Opernaufführungen der Salzburger Festspiele
Giuseppe Sinopolis Ring
David-Pountney-Premiere in Bregenz

Alles, was Recht ist
Tarifabschluss 2000: Für öffentlichen Dienst – und Bühnen
Sozialbeiträge ohne Gegenleistung verfassungswidrig
Finanzgerichte lassen sich viel Zeit
Klagen gegen Mini-Erhöhung der Renten
Urhebervertragsgesetz umkämpft
Bundesverfassungsgericht fordert Gleichbehandlung der Rentner in der gesetzlichen Krankenversicherung

 

Die alten Tragödien

Opernaufführungen der Salzburger Festspiele · Von Gerhard Rohde

Am Anfang der Salzburger Festspiele des Jahres 2000 stand ein Satz von Octavio Paz: „Vom Leben und vom Tod gleichermaßen fasziniert, ist die Liebe Sturz und Flug, Wahl und Unterwerfung“. Liebe und Tod, Eros und Thanatos – das alte Thema umschlang und durchzog die Opernaufführungen der Festspiele: Berlioz‘ Monumentalwerk „Les Troyens“ – konterkariert vom Satyrspiel der „Belle Hélène“ Jacques Offenbachs. Die furchtbaren Geschehnisse, die sich mit dem Namen Troja verbinden, wirken weiter in den Geschichten, die in Glucks „Iphigénie en Tauride“ und Mozarts „Idomeneo“ erzählt werden. Von Liebe und Tod, von Gewalt, Zerstörung und Untergang handeln auch „Don Giovanni“, Richard Wagners „Tristan und Isolde“ und Cherubinis „Medée“. Von Liebe und Sterben, von verzehrender Sehnsucht und von tödlicher Nähe spricht Kaija Saariahos „L’amour de loin“ (Die ferne Liebe), die in Salzburg uraufgeführt wurde. Und dass Mozarts „Così fan tutte“, die tändelnde Täuschungs- und Verwirrungskomödie um eine frivole Liebes- und Treuewette, einen doppelten Boden, dunkle Seelenabgründe und surreale Albträume birgt, auch das war in Salzburg eindringlich zu erfahren. Das Thema von Liebe und Tod spiegelte sich in vielen Konzerten, in Liederabenden und Schauspielinszenierungen. Und in Wolfgang Rihms Kammeroper „Jakob Lenz“, die in einer faszinierenden Aufführung der Sommerakademie in der Universität Mozarteum gleichsam den Finalakt zum Thema beisteuerte: die Zerstörung des Menschen in einer wüsten Welt. Vielleicht noch nie erschien das Programm der Festspiele so dicht und geschlossen wie in diesem Jahr, so dramaturgisch durchdacht und intellektuell ausgeformt.

Künstlerisch geprägt wurde es durch die unterschiedlichsten Handschriften und Stile der Regisseure, Bühnenbildner, Dirigenten und Sänger. Herbert Wernicke stellte für die „Trojaner“ ein bühnenhimmelhohes, weißgestrichenes Halbrund auf die Szene des Großen Festspielhauses. Hinten in der Wand findet sich ein ebenso hoher, schmaler Spalt, durch den die Menge sich zwängt: Die Eingeschlossenen von Troja. Im Spalt wird ein abgestürzter Kampfjet sichtbar, später zieht in Zeitlupe und nur in Segmenten sichtbar, das bekannte hölzerne Pferd vorüber. Die Soldaten tragen die Waffen und Uniformen von heute: Troja ereignet sich immer wieder, bis auf den heutigen Tag. Wernicke hält mit seiner Berlioz-Interpretation eine Philippika wider jeden Krieg. Der kollektive Tod der trojanischen Frauen gerät zu einer erschütternden Anklage. Am Ende des zweiten Teils, wenn Aeneas nach Italien aufbricht, eine neues Reich zu gründen, zerreißen Karthager und Trojaner ihre nationalen Symbole in Rot oder Blau – eine leicht flächig wirkende Chiffre. Dazwischen breitet sich die Liebesgeschichte zwischen Aeneas und der Karthagerkönigin Dido weitschweifig aus. Doch singt Deborah Polaski die Königin wie schon im ersten Teil die Seherin Cassandra wunderbar expressiv und kantabel. Jon Villars zeichnet den Aeneas präzis in der Zerrissenheit zwischen Gefühl und göttlichem Auftrag. Yvonne Naef stattet die Anna mit schönem Wohllaut aus. Faszinierend breitet Sylvain Cambreling mit dem Orchestre de Paris die Riesenpartitur aus: Leuchtend in den Klangfarben und instrumentalen Farbmischungen, ohne sämigen Streicherteppich, dafür mit plastisch modellierten Bläsereinsätzen, alles von äußerster Beredtheit und Präsenz des Vortrags. Das gilt auch für den fabelhaften Chor: Donald Palumbo hatte die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, den Slowakischen Philharmonischen Chor und den Tölzer Knabenchor mit hoher Präzision vorbereitet.

   

Iphigenie en Tauride . Foto: Charlotte Oswald

 

Was für ein bedeutendes Werk Glucks „Iphigénie en Tauride“ ist, auch das war in Salzburg wieder einmal zu erfahren. Die Verrohungen des trojanischen Krieges wirken weiter, bis ins Familiäre hinein. Um überhaupt zum Kriegsschauplatz gelangen zu können, musste Agamemnon die eigene Tochter als Blutopfer darbringen. Die grausige Tat zerstörte Seelen und Herzen der Menschen. Zwar wurde Iphigenie von der Göttin Diana gerettet und als Priesterin im Tempel auf Tauris eingesetzt. Doch auch hier wird sie von der Vergangenheit eingeholt: der König von Tauris, Thoas, verlangt von ihr ein furchtbares Opfer: Orest, den eigenen Bruder.

Der Regisseur Claus Guth demonstrierte, dass sich hinter der klassizistischen Fassade des Werkes ein erregendes Menschendrama vollzieht. Puppenspieler mit überdimensionalen Kopfmasken spielen die vorangegangenen Geschehnisse in die Operngeschichte ein: Ein blutiger Albtraum umstellt die drei Hauptfiguren des Dramas. Susan Graham in der Titelpartie ist als Erscheinung und Sängerin grandios, Thomas Hampson und Paul Groves als Oreste und Pylade stehen ihr kaum nach – eine Luxusbesetzung. Und Ivor Bolton befeuerte das Mozarteumorchester mit einer Energie, dass selbst Gluckexperten fassungslos konstatieren mussten, die tauridische Iphigenie noch nie so dramatisch bewegt und erregend vernommen zu haben. Auch hier glänzte wieder der Wiener Staatsopernchor mit Klangfülle und beseeltem Ausdruck (Einstudierung Donald Palumbo).

Der dritte Blick zurück auf Troja und die Folgen: Mozarts „Idomeneo“. Die Inszenierung von Ursel und Karl-Ernst Herrmann, mit Michael Gielen als Dirigent der Camerata Academica Salzburg, wurde in Salzburg für das Kleine Festspielhaus erarbeitet. Seit ihrer Inszenierung von Mozarts „La Clemenza di Tito“ anno 1982 in Brüssel, ihrer ersten Operninszenierung überhaupt, sind die Herrmanns mit der Arbeit Gérard Mortiers eng verbunden. Der damals für den „Titus“ entwickelte Stil – ein fein ziseliertes psychologisches Spiel aus Gesten, Gebärden, Bewegungen, Körperhaltungen, die seelische Vorgänge im Innern der Personen sichtbar machen – findet sich auch im „Idomeneo“ wieder: Sensibles Figurenspiel, deutliche Positionierungen, scharfe dramatische Belichtungen, Klarheit des Spielraumes mit seinen Farben, Lineaments, Zeichen. Michael Gielens Dirigieren vollendet die Einheit von Szene, Spiel, Gesang und Orchester. Das Ensemble mit Vesselina Kasarova als Idamante, Dorothea Röschmann als Ilia, Jerry Hadley in der Titelpartie, Lubica Orgonasova als Elettra und Matthias Klink (Arbace) präsentierte sich geschlossen, war von hoher Festspielqualität. Tadelsfrei auch der von Howard Arman einstudierte Salzburger Bachchor.

Zu den Tragödien um Troja gehört auch die Satire: Jacques Offenbach komponierte sie 1864 auf ein Libretto Henri Meilhacs und Ludovic Halévys. Die antiken Helden und die Femme fatale namens Helena schlüpften ins Kostüm des zweiten Kaiserreichs und verspotteten das amouröse Lotterleben hinter den fein angestrichenen gesellschaftlichen Kulissen. Wernicke positioniert die Geschichte in unseren Jahren: die Sozietät der Mächtigen benimmt sich immer gleich, springt in die und aus den Betten, und gelegentlich auch einmal an die Front zum schnellen Krieg: Ein Kindergarten für Erwachsene, folglich fährt am Ende eine Spielzeugeisenbahn quer über die Vorderbühne, beladen mit Panzern und der Miniatur des hölzernen Pferdes aus der Berlioz-Oper.

Dazu plantschen die Heerführer und Politiker in einem Bassin bis zur totalen Verblödung, von der vor allem der gehörnte Menelaos befallen ist: Dale Duesing ist in seinem Komiker-Element. Eine Augen- und Ohrenweide: Nora Gubisch als Helena, ein tragikomisches Juwel: Buddy Elias als Calchas, vom Orakel zum Butler beim „Dinner for one“ degradiert. Das reduzierte Orchester steuert unter Stéphane Petitjeans Leitung freche, angespitzte Klänge und schön formulierte Melodien bei. Fazit: Operettenwitz der besseren Art, abgeleitet aus Werkkenntnis und der genauen Beobachtung unserer Zeitgenossen. Ein wirkliches Satyrspiel zu Berlioz‘ „Les Troyens“.

Natürlich gehören auch „Tristan und Isolde“ und mehr noch „Don Giovanni“ in die Eros-und-Thanatos-Thematik, himmelstürmend und nächtlich sich auflösend die erste, gewalttätig und zur Hölle fahrend die zweite Liebessehnsucht. Klaus-Michael Grübers „Tristan“-Inszenierung gewann unter der neuen musikalischen Leitung mit Lorin Maazel und den Wiener Philharmonikern (statt den „Berlinern“ bei den Osterfestspielen im Vorjahr) an musikalischer Geschmeidigkeit und expressiver Eleganz des Singens (Waltraud Meier, Jon Fredric West, Matti Salminen). Luca Ronconis „Don Giovanni“-Darstellung (das Don-Giovanni-Personal in einem modernen Klang-Zeit-Raum, in dem die Figuren sichtlich gealtert ihr Ende erleben), profitierte von der Vitalität des neubesetzten Titelhelden mit Ferruccio Furlanetto, während dem neuen Dirigenten der Aufführung, Valerie Gergiev, nach furioser Ouvertüre im Voranschreiten der Handlung nichts Aufregendes mehr gelang: Eine Enttäuschung trotz Wiener Philharmonikern.

Cosí fan tutte“ oder Die Blumen des Bösen: Hans Neuenfels entdeckte hinter der Komödienfassade der Oper die surrealen Abgründe. Giftige Blüten, gemeine Insekten, wilde Hunde (in Gestalt zweier erniedrigter Mannsbilder, die Fiordiligi hereinführt) spielen mit im Quidproquo der „bösen“ Liebe. Wer’s nicht vorher gelesen hat, könnte meinen, in einem Bunuel-Film zu sitzen. Auf die Liebesprobe werden hier nicht die Frauen und auch nicht die Männer gestellt, vielmehr die Liebe selbst. Liebe nicht, wie man sie heilt, sondern wie sie zum Verschwinden gebracht wird. Das wird von Neuenfels mit unerschöpflicher Fantasie, überbordender Theatralik und großem Frage-Ernst virtuos durchgespielt, wobei die vorherige Kenntnis der Oper das Vergnügen an der neuen Deklination erheblich steigert. Glänzend gesungen von Karita Mattila (Fiordiligi), Vesselina Kasarova (Dorabella), Maria Bayo (Despina), Rainer Trost (Ferrando), Simon Keenlyside (Guglielmo) und Franz Hawlata (Don Alfonso in Neuenfels-Maskierung) und dirigiert von Lothar Zagrosek (mit den Wiener Philharmonikern) konnten die Festspiele einen bemerkenswerten Mozart-Erfolg für sich verbuchen, was in der Mortier-Ära nicht immer der Fall war.

Zu einem eindeutigen Publikumserfolg gelangte auch die Uraufführung von Kaija Saariahos Oper „L’amour de loin“, wohingegen die kritischen Beurteilungen stark voneinander abwichen. Auf ein Libretto von Amin Maalouf schrieb die finnische, in Paris lebende Komponistin die Geschichte einer „märchenhaften Fernliebe“ aus dem 12. Jahrhundert: Der provencalische Troubadour Jaufré Rudel steigert sich in eine ferne Liebe zu der im morgenländischen Tripoli lebenden Clémence, die er nur durch die Erzählungen eines Pilgers kennt. Als er sich entschließt, die ferne Geliebte zu besuchen, erkrankt er auf der Überfahrt und stirbt in den Armen von Clémence: Ein zweiter Liebestod sozusagen.

Kaija Saariaho wurde zu ihrer ersten Oper durch den Besuch von Messiaens „Franziskus“-Oper 1992 in Salzburg angeregt. Im Gestus von „L’amour de loin“ lassen sich deshalb gewisse Animationen durch Messiaens Werk feststellen. Auch liegt als Vorbild ein Vergleich mit Debussys „Pelléas et Mélisande“ nahe, doch Saariahos Musik bleibt in Duktus und Ausdruck über weite Strecken doch gar zu eindimensional, um das Reflexionsniveau der genannten Vorbilder überhaupt auch nur annähernd zu erreichen. Eher scheint ihre Musik von den Spektralisten, von Grisey oder Murail, beeinflusst, und die Nähe zum Ircam-Computer mag auch nicht für besondere Originalität gesorgt haben. Die Inszenierung von Peter Sellars in der Felsenreitschule mit den beiden gläsernen Türmen für die fernen Liebenden (Bühnenbild George Tsypin), dem spiegelnden Wasser dazwischen und dem schwarzen Nachen, mit dem der Troubadour (Dwayne Croft) schließlich zur Überfahrt nach Tripoli aufbricht, konnte solange gefallen, bis sich der Sterbende mit der in diesem Augenblick nahen Geliebten vereint: Da versinkt die Inszenierung in einem planen, anekdotischen Realismus, aus dem auch die wunderbar singende Dawn Upshaw als Clémence, Kent Naganos spürbares Engagement (mit dem SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden/Freiburg) und der seitlich postierte Arnold-Schönberg-Chor (Leitung und Einstudierung: Erwin Ortner) keinen Ausweg mehr zeigen.

Um mit einem Octavio-Paz-Zitat zu enden: „Die Geschichte der ‚höfischen Liebe‘ , ihrer Wandlungen und Metamorphosen, ist nicht nur die unserer Kunst und unserer Literatur, sie ist auch die Geschichte unserer Sensibilität und die Geschichte der Mythen, die seit dem 12. Jahrhundert bis in unsere Tage die Fantasie entflammt haben. Sie ist die Geschichte der Zivilisation des Okzidents“. Vielleicht hätten Auden und Henze dies in ihren besten Augenblicken gestalten können, vielleicht sogar schon Benjamin Britten oder in unseren Tagen Salvatore Sciarrino. Kaija Saariaho umhäkelt den Stoff, sie ergreift ihn nicht: Mit der Gewalt des autonomen Künstlers, der hier gefordert wäre.

Gerhard Rohde

 

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner