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Portrait

Ein Fest für jedermann

Das Nordharzer Städtebundtheater · Von Michael Jenne

Vor einem Jahr stellte Nils Schneider in Oper&Tanz das Nordharzer Städtebundtheater vor. Dort waren zu Beginn der letzten Saison Kay Metzger als Intendant und Peter Oppermann als Chefdramaturg neu angetreten mit der Absicht, „frischen Wind in die ostdeutsche Theaterlandschaft“ zu bringen – ausgerechnet in einer besonders strukturschwachen, von Abwanderung und hoher Arbeitslosigkeit geprägten Region. „Oper & Tanz“ hat nachgesehen, was inzwischen passiert ist.

   

A. Kirchhof (Cherubino), K. Pettersson (Susanna) in „Figaros Hochzeit“. Alle Fotos: Mollerus

 

Kaum zu glauben: 58 (in Worten: achtundfünfzig) Vorstellungen wird das Haus im Monat März über die Bühnen gebracht haben, in den eigenen beiden „Großen Häusern“ nebst den dazu gehörenden Kammerbühnen, mit Einführungs-Matineen außerhalb des Theaters und elf Gastspielen in der weiteren Umgebung. Auch das Angebot in den nächsten Wochen umfasst sämtliche Genres, von der großen Oper bis zum Alt-Wiener Singspiel, von Shakespeares „Hamlet“ bis zu Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, vom „Land des Lächelns“ bis zum getanzten „Sommernachtstraum“ mit Musik von Mendelssohn und Schnittke, dazu noch Theater für Kinder und Musicals, Kammer-Tanzabende, ein Sinfoniekonzert mit russischem Programm. Die Rede ist wieder vom „Nordharzer Städtebundtheater“ in Halberstadt und Quedlinburg, einer Mischung von Landesbühne und Stadttheater, einem der kleinsten Mehrspartenhäuser überhaupt, das mit eigenem Orchester und Opernchor, Musiktheater-, Schauspiel- und Ballettensemble aufwartet, samt Leitung, Dramaturgie, Künstlerischem Betriebsbüro, Ausstattungswerkstätten, Technik, Verwaltung – eben allem, was ein modernes Theater erst funktions- und überlebensfähig macht, das Ganze bei 220 Mitarbeitern mit einem seit Jahren unveränderten Etat von 18 Millionen Mark (zum Vergleich: Karlsruhe 75 Millionen, Braunschweig oder Chemnitz 50 Millionen) aus Mitteln des Landes, zweier Landkreise, zweier Kommunen und einem Einspielanteil von fast 13 Prozent. Jawohl, das ist Provinz, aber die kann sich hören und sehen lassen!

Region im Abseits

Zur Orientierung für geografisch und landeskundlich Unsichere: Halberstadt (ca. 45.000 Einwohner) und Quedlinburg (25.000), vor den nordöstlichen Abhängen des Harzes in Sachsen-Anhalt gelegen, zählen zu jenen geschichtsträchtigen, von romanischen Kirchenbauten geprägten Orten, die einst bessere Zeiten gesehen haben, unter dem realen Sozialismus nicht zuletzt kulturell litten und wirtschaftlich nach dem Umbruch von 1990 heftig ins Schleudern gerieten, als industrielle Großbetriebe zusammenbrachen oder abgewickelt wurden. Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte und hohe Arbeitslosigkeit unter den Zurückgebliebenen waren die Folge. Die Region, abseits der Autobahnen und ICE-Anschlüsse, zählt heute zu den besonders strukturschwachen eines ohnehin armen Bundeslandes.

Erst nach der Wende hat man begonnen, die im April 1945 durch einen einzigen Bombenangriff fast vollständig zerstörte Altstadt von Halberstadt durch Neubauten zu ersetzen und die wenigen übrig gebliebenen Altbauten zu restaurieren. Reist man mit der Bahn an und blickt über das Gelände des einst für Personen- und Güterverkehr wohl bedeutenden Eisenbahnknotenpunktes, dann wird man auch jetzt zunächst von Trostlosigkeit befallen. Kulturleben? Da bedarf es intensiver Überzeugungsarbeit der Beteiligten und größter Anstrengungen aller Verantwortlichen, eine solche Stadt vor dem Verkümmern zu bewahren und ihr mit Geschick und Pfiff gar neuen Schwung zu verleihen. Notwendig ist das gewiss, zumal sich auch hier nicht wenige der sozial Benachteiligten und kulturell chronisch Unterernährten den schwachsinnigen Lockungen von Rechtsaußen zuwenden.

   

G. Gilardi (Titania), S. Mähr (Oberon) im „Sommernachtstraum.

 

Die Ackerbürgerstadt Quedlinburg hatte seit langem nurmehr Sprechtheater geboten, musste 1985 gar das Haus wegen Baufälligkeit schließen und sich auf eine schlecht ausgestattete Kammerbühne beschränken. Der 1990 gegründete „Musik- und Theaterverein Quedlinburg“ setzte immerhin gegen erhebliche Widerstände die – zunächst teilweise – Sanierung des vor 75 Jahren erbauten „Theater- und Lichtspielhauses“ durch; 1997 konnte es, mit einem auf 280 Plätze reduzierten Zuschauerraum, aber mit erweitertem Orchestergraben, wieder eröffnet werden.

Solange allerdings die Restaurierung des Bühnenturms aussteht, erzwingt die geringe Bühnentechnik und –tiefe Inszenierungen von sehr bescheidenem Aufwand; daher kann derzeit nicht jede Halberstädter Opern- oder Musical-Produktion auch in Quedlinburgs so genanntem Großen Haus gezeigt werden. Aber man höre und staune: Wer Lust auf „Figaros Hochzeit“ oder „Carmen“ hat, der wird auch in Deutschlands kleinstem Opernhaus derzeit gut bedient, für 27 Mark in der ersten Preisgruppe. Freilich macht auch „Der Vetter aus Dingsda“ dort Station, und die Symphoniekonzerte werden ebenfalls in beiden Städten angeboten.

Junges Team gegen Rechts

Im Saisonalltag des Städtebundtheaters von September bis Mai hat das junge, dennoch professionell erfahrene künstlerische Leitungsteam – Intendant Kay Metzger (40), Chefdirigent Johannes Rieger (33), Chefdramaturg Peter Oppermann (30), die Oberspielleiter Horst Kupich (34) für Musiktheater und Malte Kreutzfeldt (31) für Schauspiel sowie Ballettdirektor Tarek Assam (38) – tatsächlich spürbar für frischen Wind gesorgt. Das beginnt bei der zugleich informativen wie Neugier weckenden Saisonvorschau mit Spielplan-Mini-Leporello, setzt sich in zahlreichen Schnupper-Aktionen, häufig außerhalb der Theaterräume, fort und endet gewiss noch nicht bei der Ankündigung von George Taboris Schauspiel „Die Goldberg-Variationen“ und Debussys Oper „Pelléas und Mélisande“ für die nächste Spielzeit.
Dabei verlangt das Konzept einen Spagat, denn, so lautet auch das Motto dieser Saison mit den Worten des Theaterdirektors in Goethes „Faust“, „jedermann erwartet sich ein Fest“, falls er sich überhaupt in einer mitteldeutschen (Klein-)Stadt in den Zuschauerraum locken lässt. Nur sind die Vorstellungen von Festlichkeiten eben reichlich verschieden. Für die Senioren soll es zunächst vorzugsweise Operette oder auch einmal ein klassischer Opernschlager sein, um aber ein jugendliches, neues Publikum fürs Theater zu gewinnen, muss anderes her, und es müssen gezielt Köder ausgelegt werden.

Zu Peter Oppermanns Konzept einer „offensiven Dramaturgie” gehören Stücke, die gesellschaftliche Probleme aufgreifen, ohne vordergründig pädagogisch daher zu kommen: Bereits in der zweiten Spielzeit laufen so im Rahmen einer “Jungen Reihe” Trevor Griffiths’ “Skins” und Grigori Frids Mono-Oper “Das Tagebuch der Anne Frank”; im Anschluss an die Aufführungen, manchmal am Vormittag, hat es bereits Werkstattgespräche mit mehr als 2000 Jugendlichen gegeben. Neu hinzugekommen ist das kurzweilige Erfolgsstück “Robinson & Crusoe” von Nino d’Introna und Giacomo Ravicchio, in dem zwei unerwartet allein auf sich gestellte Burschen vom angstvoll-aggressiven Gegeneinander zum situationsbedingten Miteinander finden, sehr überzeugend gespielt von Knut Friedrich und Arnold Hofheinz, in der Regie von Sarah Kohrs.

Ein Sommernachtstanz

Tarek Assam, der neben seiner Ballettausbildung in Köln Philosophie und Sozialwissenschaften studierte und bereits 1995 nach Halberstadt geholt wurde, konnte sich mit seinem kleinen, inzwischen ganz und gar internationalen Ensemble vom Status eines Operetten-Begleitballetts emanzipieren: Nach dem Kammertanzabend „Blue Notes“, bei dem das Publikum mit zeitgenössischen Bewegungsformen wie auch mit vertanzter Sprache konfrontiert wurde, brachte er jetzt, wiederum in Zusammenarbeit mit Claudia von der Bey (Ausstattung und Bühnenbild), den „Sommernachtstraum“ nach Shakespeare heraus, zur Musik von Mendelssohn und Alfred Schnittke sowie jazzigen Blechbläserarrangements. Neben einem munteren kleinen Kinderballett wirken auch Schauspieler und die Damen des Opernchores mit.

Theater im Arbeitsamt

Zu den vielerlei Bemühungen, auf das potentielle Publikum am Nordharz zuzugehen, das Theater zum Stadtgespräch zu machen, zählen auch der von der Theaterpädagogin Anja Grasmeier geleitete Theaterjugendclub, nämlich die Möglichkeit zum Improvisationsspiel mit wöchentlichen Übungen und Proben, der monatliche Lehrerstammtisch und die Lehrerrundbriefe ebenso wie Plakat-Malwettbewerbe oder eine Theater Dance Night („Eintritt 5 Mark; wer mit grünen Haaren kommt, zahlt nichts“). Einführungsmatineen werden an theaterfernen Orten wie in einer Galerie, im Hotel, im Rathaus, in den Stadtwerken veranstaltet, ein Sonntagsbrunch mit Schauspielprogramm findet im Arbeitsamt statt.
Ein guter Intendant muss freilich nicht nur dem Publikum entgegenkommen, er muss auch sein Ensemble pflegen, Sängern, Schauspielern und Regisseuren ebenso wie Chor und Orchester „schöne“, fordernde Aufgaben übertragen, denn die Entlohnung – der Begriff „Gage“ ist hier wirklich als Fremdwort zu bezeichnen – ließe ein längerfristiges Engagement befähigter Künstler kaum erwarten. Metzger weiß das natürlich und ist glücklich über den „tollen Geist im Ensemble“, an dem er gewiss nicht unbeteiligt ist: „Es ist etwas sehr Kostbares, was wir hier haben.“ Die Besucher spüren das, auch wenn sie die Häuser derzeit keineswegs immer zu füllen vermögen und auch, wenn nicht alle Leistungen als herausragend zu bewerten sind.

Glanzlichter und Knüller

Rundum enttäuscht, so scheint es, wird man bei einem Besuch des Nordharzer Städtebundtheaters jedoch nie, statt dessen sind immer wieder Glanzlichter zu entdecken, wie etwa Gerlind Schröders Carmen, Bettina Pierags Julia im „Vetter aus Dingsda“ oder Bettina Rösels Susanna im „Figaro“, auch Gabriella Gilardis Hippolyta/Titania im „Sommernachtstraum“. Auch Kay Metzgers assoziative Regie der Bizet-Oper oder längere Strecken der Mozart- und Humperdinck-Inszenierungen erreichen ein Niveau, das die Erwartungen an ein Haus dieses bescheidenen Zuschnitts deutlich übersteigt.

Größter Erfolgsknüller der Spielzeit allerdings scheint Richard O’Briens gute alte „Rocky Horror Show“ in der Inszenierung von Horst Kupich, mit Sebastian Wirnitzer als Frank’N’Furter, zu werden, die als Jahresschluss-Premiere herauskam und offenbar selbst in der kargen Vorharz-Region zündet: Auch aus der weiteren Umgebung bis zur Landeshauptstadt Magdeburg rücken sie zur kultigen Show an, erfahrene Rocky-Fans und solche, die es werden wollen, viele im geziemenden Straps-Outfit, selbst der Halberstädter Oberbürgermeister wird mit Punkerfrisur gesichtet. Und während ein wohl auf konventionelleren Theaterspaß programmiertes Seniorenpaar nach einiger Zeit das Weite sucht, nestelt eine ältere Dame, der im Foyer ausgelegten „Bedienungsanleitung“ folgend, im entscheidenden Moment eine Tüte Reis aus dem Handtäschchen; um die Hochzeit von Frank’N’Furter und Rocky angemessen zu feiern, schmeißt sie munter um sich.

 

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