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Portrait

Papst der Chöre

Ein Verdi-Überblick

Am 9. März 1842 wurde an der Mailänder Scala zum ersten Mal „Nabucco“ von Giuseppe Verdi gegeben. An diesem Abend eines triumphalen Erfolgs wurde ein Star geboren, der die Bühnen der italienischen Halbinsel und bald auch die Opernhäuser des Auslands erobern sollte. Zu diesem Erfolg trug am meisten jener Sehnsuchtschor der in babylonischer Gefangenschaft schmachtenden Hebräer bei, der mit den Worten „Va, pensiero, sull’ ali dorate“ („Flieg, Gedanke, auf goldenen Schwingen“) beginnt und schnell zum Erkennungszeichen seines Schöpfers wurde. Bei der Beisetzung Verdis am 26. Februar 1901 in der Gruft der Casa di riposo, dem von ihm gegründeten Mailänder Altenheim für Musiker, sangen 900 Sängerinnen und Sänger unter der Leitung Arturo Toscaninis diese Melodie, die ihren Schöpfer in den Herzen der Italiener unsterblich machte. In postmodernen Zeiten schwindet auch dieser Mythos dahin. Jedenfalls halten einer Umfrage zufolge, die die Wochenzeitung „La Repubblica“ aus Anlass des Verdi-Jahres machte, ein Drittel der Befragten Andrea Boccelli und nur 18 Prozent Verdi für den Urheber der Melodie.

   

Giuseppe Verdi: Chor-Komponist par excellence. Foto: Archiv

 

Verdi, der ein ebenso gerissener Geschäftsmann wie genialer Musiker war, hat den Erfolg des eingängigen Chorschlagers ausgeschlachtet und in fast allen seinen folgenden Opern bis 1850 Chorszenen von ähnlicher melodischer Eingängigkeit und szenischer Wucht anzubringen versucht. Nicht zuletzt deswegen nannten ihn schon die Zeitgenossen den „papa dei cori“, den Papst der Chöre. Zwar war er nicht der Erfinder derartig spektakulärer und zugleich plakativer Massenszenen – Rossini, Bellini und Meyerbeer sind ihm vorausgegangen –, aber erst mit seinen Choropern kam ein neuer Ton auf die Opernbühne, der die Musik seiner Vorgänger und Zeitgenossen von den Brettern fegte.

Es gehört zu den unausrottbaren Klischees des Verdi-Bildes, dass seine Opern und darin vor allem wieder die Chöre die musikalische Konterbande des politischen Aufstands gegen die österreichischen Besatzer gewesen seien. Aber Verdi war nicht der „Musiker mit Helm“, der marschierende Propagandist des Risorgimento, der italienischen Einigungsbewegung, zu dem er im ausgehenden 19. Jahrhundert stilisiert wurde. Selbst der Gefangenenchor in „Nabucco“ ist kein revolutionäres Manifest, sondern nostalgischer Ausdruck einer verlorenen Zeit.

Es gibt kein einziges Zeugnis dafür, dass Verdis Chöre in den 1840er-Jahren patriotische Begeisterung auslösten. Im Gegenteil: Verdi hat „Nabucco“ der österreichischen Erzherzogin Adelaide und die „Lombarden“ der Herzogin von Parma, der österreichischen Kaisertochter Marie-Luise, gewidmet. Und auch 1859/60, im Jahr der italienischen Einigung, als sein Name als Abkürzung Viktor Emanuels von Piemont-Savoyen (V.E.R.D.I. = Vittorio Emanuele Re d’Italia) an den Mauern prangte, war es der Kriegschor in Bellinis „Norma“, nicht eine Verdi-Oper, die zu politischen Kundgebungen in den Theatern führte.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Verdi sich längst von seinen Anfängen gelöst. Aus dem „compositore rozzo“, dem rohen Theaterhandwerker, war ein Komponist geworden, der die traditionelle italienische Oper zu neuen Ufern einer szenischen wie musikalischen Individualität führte. Auch den Chören kam jetzt eine andere, neue, verfeinerte Bedeutung zu. Während sich im Frühwerk der latent chorische Ausdruck selbst in den Solostücken und Ensembleszenen breit macht, gibt Verdi jetzt auch den Chören eine individuelle, charakteristische Färbung. Das wird nirgends deutlicher als im Chor der schottischen Flüchtlinge in „Macbeth“. Der wirkungsvolle, aber pauschale Affekt der Erstvertonung (1847) weicht in der vollständigen Neukomposition desselben Textes in der Zweitfassung (1865) einem durchgefeilten szenischen Bild schmerzlicher Verzweiflung. Wo zuvor der grobe musikalische Pinselstrich und ein insgesamt einfacherer Stimmsatz vorherrschten, arbeitet Verdi nun mit den subtilen Klangmitteln einer reicheren Harmonik und Instrumentation. Auf diese Weise entsteht einer der eindrucksvollsten Chorsätze der gesamten Opernliteratur des 19. Jahrhunderts.

Auch wo er große Massen zu inszenieren hat wie in der Bildervielfalt von „La forza del destino“, in der Autodafé-Szene in „Don Carlos“ oder in der berühmt-berüchtigten Triumphszene in „Aida“, differenziert Verdi jetzt musikalisch zwischen den einzelnen chorischen Gruppen: Die Marketenderinnen singen anders als die Mönche, die Inquisitoren anders als die flandrischen Deputierten, die ägyptischen Gefangenen anders als die um Mitleid flehende Menge. Ohne auf den „effetto“, die stets erstrebte Bühnenwirksamkeit, zu verzichten, zeigt seine Handschrift nun einen kompositorischen Reichtum im Dienst einer der szenischen Wahrheit verpflichteten musikalischen Dramaturgie. Gleichzeitig halten die spektakulären Massenszenen mit wahrhaft verstörender Wirkung fest, wie die Menschen von den Rädern der Macht erfasst und zermalmt werden. Darin ist Verdis Kunst eminent politisch.

Eine letzte Steigerung erfährt Verdis Musikalisierung der Massen in seinem Spätwerk. Die große Sturmszene, mit der „Otello“ beginnt, gestaltet ein gewaltiges Tableau, das den Chor ganz aus seiner einstigen Statik erlöst. Die Schlussfuge des „Falstaff“ theatralisiert die abstrakte, instrumentale Form. In den späten geistlichen Werken schließlich – der „Messa da Requiem“ (1874), dem leider kaum bekannten „Pater Noster“ (1880) und den „Quattro pezzi sacri“ (1898) – zeigt Verdi, welch meisterhafter, souverän disponierender Chorkomponist er im Lauf seines Lebens geworden ist. Er beherrscht alle Finessen der Gelehrsamkeit, ja der Kontrapunktik, ohne darüber die Sinnlichkeit zu vergessen.

Uwe Schweikert

 

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