Den ganz großen Beifall sahnte A sort of... des Schweden Mats Ek von 1997 ab. Eine Art von..., dies der Titel, lässt sich als eine Art von Ehe-Story deuten. Mats Ek hat sie in theatrale surreale Bilder gegossen. Das Stück birst vor Gefühlen und tänzerisch exaltierter Expression, vor Farben und Klängen, dank Ausstatterin Maria Geber und den atmosphärisch starken Musiken von Henrik Gorecki (Konzert für Cembalo und Streichinstrumente, Kleines Requiem für eine Polka). Kein Wunder, dass das Publikum völlig mitgerissen war. Mit Eks Gefühlsknüller hat Ivan Liska ja schon mal einen abendlichen Trumpf im Ärmel. Gegen Eks emotionale Wucht wirkten die beiden anderen Stücke des Abends natürlich distanzierter, als sie es für sich genommen sind: die Uraufführung Händel/Corelli der US-postmodernen Lucinda Childs und Hans van Manens Kammerballett von 1995, neo-höfisches Gesellschaftsritual das eine, kopf-gezügelte Glut das andere. Sehr klug, dass der Abend leise mit Hans van Manens Kammerballett-Beziehungen beginnt: acht Tänzer, sitzend auf hellen Holzhockern in einer fast Bühnen-füllenden Licht-Arena (Bühne/Kostüme: Keso Dekker, Licht: Joop Caboort). Jeder Tänzer seine eigene Plastik in diesen von Keso Dekker wieder einmal so genial entworfenen, nein, eigentlich muss man sagen: Haut-angegossenen Trikots. Aus sattem, nie Falten schlagendem Samt! Tiefschwarz, Gelb, Goldbraun, Orange. Dekker, seit Jahren van Manens Ausstatter, ist wie der Choreograf ein Meister der Reduktion. Sein inspiriert-besessenes Zuarbeiten modelliert den Tänzerkörper und damit die Bewegung noch stärker heraus. Durch dieses sich aufeinander abstimmende Künstler-Duo hier nun acht Tänzer auf ihren hölzernen Sockeln: sich dehnende, verschrägende, kippende Skulpturen. Schlicht, faszinierend. Und später bei der Selbstdarstellung im Arena-Zentrum sind es doch ungeheuer lebendige Akteure. Die Kunst van Manens ist es, in der geradezu bildnerischen Abstraktion von Tanz dennoch zwischenmenschliche Situationen und Spannungen aufleuchten zu lassen. Paare erahnen sich, finden sich über einen Blick aus dem Augenwinkel. Fordern sich auf zum erotischen Duell in überraschend neuen, kurvenden, miteinander ringenden Bewegungen: Wenn sich Mann und Frau an beiden Händen halten, sich dabei hin- und herdrehen und wenden, entsteht eine ungelöste Partnerfigur als Metapher für eine Beziehungsfessel. Es ist erstaunlich an dem jugendlichen Grauen Panther Hans van Manen, nach bald einem halben Jahrhundert Choreografie, dass er in seiner einmal gefundenen, hoch reduzierten neoklassischen Handschrift immer wieder hauchfeine Nuancen findet: Die bekannten V-artig erhobenen Arme der 70er- und 80er-Jahre sind leicht im Ellbogen angewinkelt, die Hände gespreizt, eine Geste, die wie eine unwirsche Aufforderung wirkt oder wie eine erboste Antwort, wie eine Abwehr. Schritte mit den typisch an die Oberschenkel angelegten Händen, sind kleinteiliger, schneller geworden, und seine Sprache insgesamt noch schärfer konturiert. Und van Manen findet immer auch genau die richtigen, klaren Musiken für seine wunderbar sparsam-klare Sprache: Klaviermusiken diesmal, 200 Jahre umspannend, von Scarlatti bis zu John Cage und dem Aserbeidschaner Kara Karayev. Überraschend und umso schöner, dass jeder Van Manen anders als generell rein formale Stücke Tänzern Raum lässt, ihre Persönlichkeit zu entfalten. Judith Turos, sonst immer eher in den herben Partien besetzt, entwickelt hier plötzlich eine lyrische Qualität. Und Christian Ianole, ein technisch solider, aber bis dato eher unsichtbarer Solist, tritt hier unverhofft als sehr dezidierte markante Persönlichkeit in Erscheinung.
So spannend es auch ist, dass etablierte klassische Ensembles moderne und zeitgenössische, abstrakte Stücke tanzen, das darstellerische Potenzial der Tänzer wird darin kaum genutzt, geschweige denn gefördert. Die Demokratisierung des Tanzes hat eben auch ihre Schwachstellen. Lucinda Childs Arbeiten zum Beispiel sind formale Gebilde, reizvoll in ihrer Art, die aber den Tänzer eher nur als Figuranten einsetzen. Allenfalls kann sich der Tänzer durch eine spezielle Bewegungsqualität profilieren. Childs Händel/Corelli hat allerdings, auf den ersten Blick, etwas enttäuscht. Schuld daran ist zunächst einmal die Ausstattung beziehungsweise die Ballettdirektion. Sie hätte Lucinda Childs tanzversierte Ausstatter an die Hand geben müssen. Pierre Mendell, wenn auch renommierter Grafiker, hat hier sein erstes Bühnenbild entworfen. Monika Staykowa war Assistentin im Kostümwesen, auch sie zum ersten Mal eigenverantwortlich für eine so wichtige Tanzproduktion. Ergebnis: Mendells breit schwarz und fleischfarben-transparente Hänger erschaffen einen imposant gestreiften Raum, der auch elegant das mit auf der Bühne sitzende Staatsorchester verdeckt. Dieses Riesenzebra erschlägt jedoch die Choreografie, erschwert das Erfassen der ausgeklügelt-komplexen, geometrischen Bewegung der Childs. Die schwarz-weißen Kostüme verschlimmern noch das Malheur. Sträflich, vor allem da auch Ballettchef Ivan Liska bekannt sein müsste, dass die Kunst der immer etwas distanzierten, um nicht zu sagen spröden Childs generell sich eher entzieht. Childs, im Gegensatz zu Hans van Manen, ist eine reine Formalistin. Und Form muss sichtbar sein. Hier sieht nur, wer wirklich und auch zum zweiten oder dritten Mal sehen will. Hinzu kommt, dass Lucinda Childs hier zum ersten Mal nicht zu postmoderner Musik choreografiert hat. Die Minimal-Musiken von Phil Glass und John Adams hatten ihr immer sozusagen einen gleichsam schwebenden Soundteppich geliefert, auf dem sie minimalistisch variierend forttänzeln konnte. Spannung ergab sich da durch optisch-akustische Verschiebungen, vor allem aber auch durch sich scheinbar verdoppelnde Dynamik. Ein Effekt, der sich bei den gemessenen, in sich ruhenden Komponisten Händel und Arcangelo Corelli nicht ergeben kann. Und anstatt gegenzusteuern ist die Childs den ungewohnten barocken Meistern Händel und Corelli viel zu gehorsam gefolgt. Im Metrum, auch in der Allüre. Hier hat die Childs, sich auf den Typ dieses Staatsensembles einstellend, verstärkt neoklassisches Material verwendet. Trotzdem, eine Qualität hat die Childs immer. Und wer sich einlässt, entdeckt den unaufdringlichen Reiz dieses mathematisch in sich geschlossenen Tanz-Kosmos: 19 schlanke, hochtrainierte Tänzer inszenieren hier, nostalgisch nachträumend, Giguen, Menuette, Rigaudons und Sarabanden. Und wie sie so kontrolliert in Reihen schreiten, girlandenartig umeinander wandern, in gleichem Atemzuge eigenwillig pirouetten und in federleichten Sprüngen davon fliegen, da fühlt man sich plötzlich auf dem utopischen Schnittpunkt zwischen der höfisch zurückhaltenden Anmut des 18. Jahrhunderts und der raumgreifenden tänzerischen Freiheit von heute. Die Tänzer haben das offensichtlich auch erspürt und verleihen diesem Stück eine lächelnde Schwebeleichtigkeit. Liska hatte bei seinem Start als Ballettchef versucht, dem Ensemble ein eigenes Profil zu geben. Bei den begrenzten Möglichkeiten, die einem nicht tanzschöpferischen Direktor bleiben, ist das fast eine Unmöglichkeit. So fährt er nun, zwangsweise, den gleichen Kurs, den Staatsballett-Gründerin Konstanze Vernon eingeschlagen hat: Klassikerpflege vorrangig, aufgelockert durch Aufnahme von modernen und zeitgenössischen Stücken was übrigens auch die anderen großen Häuser zwischen Stuttgart und Berlin tun (müssen). So heißt es also weiterhin: ein gemischter eher moderner Abend und ein (neo)klassisches Handlungsballett pro Saison. Im Dezember wird es Petipas Glasunow-Ballett Raymonda (1898) sein, in der neuen Fassung von Ray Barra, von dem sich das Staatsballett noch unter Konstanze Vernon bereits Don Quijote und Schwanensee maßschneidern ließ. In München nichts Neues, aber auch keine schlechten Nachrichten. Man hat den Eindruck, dass Liska, der Vorsichtige, ein solides Stück Land gewonnen hat im kniffligen Terrain der Ballettdirektion. Malve Gradinger |
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