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Portrait

Mainz bleibt Mainz?

Musikleben im Umbruch zwischen Provinz und Metropole · Von Andreas Hauff

„Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht!“ – Kaum etwas aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt hat sich so tief ins bundesdeutsche Bewusstsein eingegraben wie dieses Motto der Fernsehfastnacht, und mit stereotyper Regelmäßigkeit schlägt dem Mainzer auswärts das Klischee entgegen. Nicht ohne Zutun der Mainzer allerdings. So beschreibt Oberbürgermeister Jens Beutel zum Beispiel die Mainzer Hofsänger in seinem Grußwort zum 75-jährigen Bestehen des deutschlandweit bekannten Männerchors als „Inbegriff für Mainzer Lebensgefühl und Lebensart“. Beim Weihnachtskonzert im Kurfürstlichen Schloss allerdings zeigt sich der Chor in höchst ambivalenter Form: Von der unfreiwilligen Karikatur deutschen Männerchorwesens (je lauter, sentimentaler und vibrierender, umso besser!) bis hin zum spritzig vorgetragenen Spiritual reicht das Vorgetragene. Im Saal dominiert die ältere Generation.

   

Das Große Haus des Staatstheaters während der Sanierung. Foto: Th. Maximilian Jauk

 

Die Stadt ist sichtlich im Umbruch; etliche Bauprojekte der letzten Jahre, angefangen vom architektonisch ambitionierten Kleinen Haus des Staatstheaters im Zentrum bis hin zu den lieblos hochgezogenen Riegeln des DB-Cargo-Zentrums am Winterhafen, dokumentieren die Tendenz zu einem rigorosen Stadtumbau, der sich weniger an den so gerne gepriesenen menschlichen Dimensionen der Stadt zu orientieren scheint als an dem Bedürfnis, im Konzert der Großstädte des Rhein-Main-Gebietes endlich gleichberechtigt mitzuspielen. „Mainz bleibt Mainz“ – aber wie?

Gutenberg-Stadt

Natürlich gehört Johannes Gutenberg zum Gepäck, das der „Medienstandort“ Mainz (Sitz des ZDF) ins 21. Jahrhundert mitnehmen möchte. Am Ende des mit hohen Erwartungen ausgerufenen „Gutenberg-Jahres“ 2000 stand allerdings eher Enttäuschung über die geringe Resonanz von auswärts. Für das Musikleben jedoch gab es reiche Impulse. Neun Kompositionsaufträge vergab die Stadt Mainz an zeitgenössische Komponisten; übers Jahr verteilt gab es etliche Uraufführungen an den verschiedensten Orten mit verschiedenen Mainzer Künstlern und Ensembles. Am innovativsten präsentierte sich dabei sicher die multimediale „Konzertante Ausstellung“ im Kleinen Haus des Staatstheaters mit Uraufführungen von Peter Eötvös, Peter Knodt und Georg Birner. Hier wirkten neben dem Staatstheater das Peter-Cornelius-Konservatorium, der Fachbereich Musik der Universität und der Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Wiesbaden mit – ein ungewöhnliches „Crossover“-Projekt in einer Stadt, deren Musikleben ansonsten traditionell aus lauter voneinander getrennten Nischen zu bestehen scheint.

Vielfältiges Chorleben

Nicht ohne Stolz verweist man im Kulturdezernat auf die lebendige Chorszene: Neben zirka vierzig Gesangvereinen und Kirchenchören zählt man acht qualifizierte Konzertchöre. Wieder einmal war in den Programmen des Dezembers Bachs „Weihnachtsoratorium“ gleich dreimal zu finden. Doch gab es 2000 auch ausgesprochene Raritäten: Unter der Leitung von Domkapellmeister Matthias Breitschaft taten sich der Mainzer Domchor und die Domkantorei St. Martin mit dem Chor des Peter-Cornelius-Konservatoriums und dem Mainzer Figuralchor zusammen zur erstmaligen Wiederaufführung jenes „Gutenberg-Oratoriums“, das Carl Loewe 1837 „zur Feier der Inauguration der Bildsäule Johann Gutenbergs in Mainz“ schrieb. Rigoros wurde damals der Erfinder der Buchdruckerkunst zum Schutzpatron gegen revolutionäre Umtriebe stilisiert. In der Christuskirche brachte der Bach-Chor (Ltg. Ralf Otto) Franz Schmidts monumentales Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln“ zu Gehör – stilistisch und inhaltlich ein angemessener Beitrag zum Millennium nach einem an Katastrophen und Visionen überreichen Jahrhundert. Und in der Johanniskirche sang die Johanniskantorei Paul Hindemiths Walt-Whitman-Requiem „Als Flieder mir jüngst im Garten blüht“. Programmatischen Mut beweist auch der Mainzer Figuralchor unter Stefan Weiler: Immer wieder steht hier das 20. Jahrhundert auf dem Programm, und immer wieder versucht man weniger bekannte Werke in Form eines „Gesprächskonzerts“ zu erschließen.

Neue Impulse

Auch in den Programmen der Sinfoniekonzerte der Mainzer Konzertdirektion in der Rheingoldhalle und des Philharmonischen Orchesters am Staatstheater spiegelt sich die weit verbreitete konservative Grundhaltung des Mainzer Publikums wider. Am Staatstheater dürfte allerdings, so ist zu hoffen, Catherine Rückwardt, die zur kommenden Saison die Nachfolge des scheidenden Generalmusikdirektors Stefan Sanderling antritt, neue Impulse setzen. Als das größte Defizit des Mainzer Konzertlebens empfindet man indes allgemein das Fehlen eines akustisch günstigen, atmosphärisch angenehmen und räumlich unterteilbaren Konzertsaals.

Maroder Theaterbau

Mitten im Zentrum, gegenüber dem Gutenberg-Denkmal, liegt das Staatstheater. Derzeit wird das 1832 errichtete Große Haus generalsaniert, nachdem in Folge der 1990 erfolgten Aufwertung des ehemaligen Stadttheaters zum (ersten und einzigen) rheinland-pfälzischen Staatstheater in unmittelbarer Nähe von 1994 bis 1997 das Kleine Haus neu errichtet wurde. Am 27. Oktober 2000 hätte das Große Haus wiedereröffnet werden sollen; der überraschend marode Zustand des Altbaus und wiederholte Umplanungen nötigten Intendant Georges Delnon, der sein Amt als Nachfolger Peter Brenners erst im Sommer 1999 angetreten hatte, im Januar 2000, die Planungen für eine ambitionierte Eröffnungsspielzeit (einschließlich einer „Gutenberg-Oper“ des britischen Komponisten Gavin Bryars als Auftragskomposition des Staatstheaters) kurzfristig fallen zu lassen und für ein weiteres Jahr in der Phönixhalle mit geschrumpftem Ensemble einen Ersatzspielplan zu konzipieren.
Die befürchtete Durststrecke blieb aus. Im Musiktheater stehen zwar mit „Carmen“, „Evita“, „Salome“ und der „Entführung aus dem Serail“ in der Phönixhalle ausgesprochene Repertoirestücke auf dem laufenden Spielplan, allerdings bislang in durchweg profilierten Inszenierungen; zuletzt zeigte die junge Regisseurin Anouk Nicklisch eine aufregende, die traditionelle Männerperspektive aufbrechende Deutung von Strauss‘ „Salome“. Im Kleinen Haus inszenierte der Kabarettist Michael Quast sehr präzise seine überaus witzige Version von Jacques Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“. Mainz, wie es singt und lacht? Ja, aber auf hohem Niveau! Die Zeiten, in denen man in der Fastnachtshochburg das traditionelle Operettenpublikum aus dem rheinhessischen Hinterland mit peinlichem Klamauk und Kokolores bei der Stange zu halten suchte, scheinen vorbei.

   

„Evita“ im Staatstheater. Nicole Nagel und der Chor des Staatstheaters. Foto: Bettina Müller

 

Auf den Festakt zur Wiedereröffnung des Großen Hauses am 14. September 2001 folgt einen Tag später Händels Oratorium „Saul“ – inszeniert von Intendant Delnon und unter Mitwirkung des Mainzer Domchors. Dann werden einem durchweg aufgestockten Ensemble nun erstmals drei Bühnen (mit 924, 463 und 99 Zuschauersitzen) zur Verfügung stehen. Bryars‘ Gutenberg-Oper soll am 23. Februar 2002 auf die Bühne kommen, in der übernächsten Spielzeit dann Peter Ruzickas „Celan“ als zweite deutsche Aufführung nach der Dresdener Premiere. Mit Hanns Dieter Hüsch, dem 75-jährigen Altmeister des Kabaretts, dessen Laufbahn einst in Aula und Musiksaal der Mainzer Universität begann, wird über eine Opernregie verhandelt.

Provinztheater?

Auf die Dauer könnte das Staatstheater mit seinem Jahresetat von derzeit noch 45 Millionen nicht nur zum Forum der städtischen Öffentlichkeit werden, es dürfte auch innerhalb der Region starke Ausstrahlung entwickeln. Allmählich dürfte dann auch jener Satz der Vergangenheit angehören, den Ballettdirektor Martin Schläpfer in der Theaterzeitung als typisch zitiert: „Hier ist Mainz, da geht das nicht, wir sind halt Provinz.“ Gerade Schläpfer hat am Staatstheater bislang die stärksten Impulse gesetzt. Dass schon die ersten drei Produktionen der inzwischen 20-köpfigen Balletttruppe nicht nur für eine neue Tanzbegeisterung in Mainz, sondern auch für überregionale Aufmerksamkeit sorgten, dass das Ensemble in der zweiten Saison in Weimar, Freiburg und Lübeck gastiert, dass das ZDF für 3sat gar das „Programm III“ im Mainzer Theater aufzeichnete, all das straft den traditionellen Kleinmut Lügen. Dass Schläpfer seinen Dreijahresvertrag verlängerte, wurde mit Erleichterung aufgenommen.

Kultur und Wirtschaft

Den allseits vermissten neuen Konzertsaal wird es geben – allerdings als „Nebenfolge“ des aufblühenden Kongresswesens im Zuge der Erweiterung der Rheingoldhalle, die Ende 2002 beginnen soll. In der Tat: Mainz, so provinziell es sich mitunter noch gibt, ist nicht mehr Provinz. Am 15. Januar 2001 verabschiedeten Spitzenmanager und Wissenschaftler in Frankfurt den Aufruf zu einer Stiftungsiniative, die eine Strukturausstellung „Urbane Metropole Rhein-Main“ vorantreiben soll.
Die Äußerung eines Vorstandssprechers der Deutschen Bank, im Umkreis von 50 Kilometern um Frankfurt gebe es vier oder fünf Opernhäuser, die alle den gleichen Anspruch hätten, ihn aber nicht erfüllten, zeugt eher von Arroganz als von Sachverstand. Ob die Wirtschaft die Kultur zum Standortfaktor degradieren wird, oder ob es der Kulturszene wenigstens im Ansatz gelingen wird, den Götzen „Wirtschaft“ auf den Prüfstand zu stellen, ist – gerade in Rhein/Main – eine spannende Frage. Mainz wird Mainz jedenfalls nur dann bleiben, wenn es sich ändert. Ob der Wandel gestaltbar bleibt oder die Stadt überrollt, ist hier, wie andernorts, die Frage.

Andreas Hauff

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