Mit dem Finger-Ring nähern wir uns unserem Thema: Wagners Ring des Nibelungen. In Altertum und Mittelalter signalisierten Finger-Ringe Herrschaft, designierte Amtsgewalt, Macht und Würde. Kaiser und Könige erhielten Krönungs-Ringe, Papst und Bischöfe trugen Pontifikal-Ringe, und auch der Ehering, der früher zunächst nur der Frau aufgesteckt wurde, kann auf eine lange, mit schöner Symbolik verzierte Geschichte zurückblicken. Bei einer so reichen und vieldeutigen Ring-Historie konnte es nicht ausbleiben, dass eines Tages ein Ring zum Hauptdarsteller einer Oper wurde. Was heißt hierbei Oper? Zum Weltendrama in vier Abteilungen, in ringförmiger Parabelform, mit einem Anfang im feuchten Element, aus dem wir angeblich alle stammen, und einem Ende im Flammenmeer, von wo aus es stracks mit dem von Naturwesen geborgenen Ring wieder ins Wasser zurückgeht, damit die Geschichte erneut von vorn beginnen kann. Richard Wagner hat in seinem Ring des Nibelungen die Geschichte wird in jedem Opernführer vor- und nacherzählt den Ring, anders als Lessing, mit einem wilden Fluch beladen. Unschwer folgte aus dieser Verfluchung sowie aus dem Umstand, dass der Hersteller des Ringes dafür auch noch der Liebe entsagte, eine Art konzentrierter Menschheitsgeschichte: Liebe und Hass, Geburt und Tod, Mord und Totschlag, Macht- und Geldgier, hohe Herrschaften, niedere Sklaven, braver Mittelstand so wie sich das Leben bis heute darstellt. Dabei besitzt das Theater, auf dem alles symbolhaft sich ereignet, die Fähigkeit, den magischen Reif zwischenzeit-lich, für die Dauer einer Aufführungsserie, durchschneiden zu können und in der Länge auszulegen: Der gestreckte Ring wäre dann die Menschheitsgeschichte insgesamt, und je nachdem, ob man den Ring-(Mess)Stab weit zurückschiebt in alte Kulissen oder heftig nach vorn nach Nazideutschland, Vietnam, Afghanistan, Naher Osten irgendwelche Übereinstimmungen mit der historischen, politischen, gesell- schaftlichen Realität lassen sich immer finden, argumentativ plausibel vortragen und bildreich darstellen. Die Frage nach dem Mythos, die in diesem Zusammenhang gern gestellt wird, beantwortet sich nicht so leicht: Ist Wagners Ring ein Mythos? Oder ist es nur der Versuch, einen Mythos zu beschwören, zu stiften? Ein Remake sozusagen. Anderer-seits gibt es in der Moderne auch den Begriff einer Mythisierung: Personen, Handlungen, große Ereignisse, Ideen verschmelzen und verklären sich zu einem Panorama von hohem Symbolcharakter. Auf den Ring bezogen könnte das bedeuten: Da seine Geschichtlichkeit nicht an eine zeitbestimmte Kostümierung gebunden ist, können äußerst unterschiedliche, weit auseinanderliegende Zeiten, Personen und Ereignisse in seine Handlungsstruktur, in seine Thematik integriert werden. Diese Weitgespanntheit, diese Offenheit der Dramaturgie des Ringes gestattet es den nachschaffenden Theaterkünstlern, in die Vorlage immer wieder unerwartete, neue, zwingende, auch weniger zwingende Perspektiven hineinzuprojizieren. Und Wagners Ring-Musik besitzt in ihrer inneren Weite, in der Fülle und Variabilität des musikalischen Ausdrucks, in der Stringenz und Gewalt der symphonischen Sprache, in der formalen Disziplin einen ästhetischen Radius von unermesslichen Dimensionen, dass sie die unterschiedlichsten szenischen Imaginationen mühelos in sich aufnimmt, diese Imaginationen auch dort noch stützt und überwölbt, wo sich konzeptionelle Perspektiven womöglich als allzu verkürzt erweisen. Es war und ist es bis heute der Geniestreich von Patrice Chéreau, mit seiner Bayreuther Ring-Inszenierung von 1976/1980, die Figuren und ihre Handlungen ganz nah an uns heranzuholen. Nicht im Sinne einer brandaktuellen Kostümierung, vielmehr durch eine Aufwertung der Zeit, in der der Ring entstand: des neunzehnten Jahrhunderts. In diesem Jahrhundert erreichten Industralisierung, Technisierung, Machtballung in den Händen großer Figuren (Krupp) Dimensionen, die einem heute quasi mythisch erscheinen mögen. Mythische Ausmaße allerdings gewannen zugleich die sozialen Probleme und Spannungen, das Elend der Massen in den großen Städten, die Bindungslosigkeit des Einzelnen in einer hemmungslosen Erwerbs-und Gewinnsozietät, der die moralischen Werte zunehmend abhanden kamen. Die Spannung, die sich da aufbaute, entlud sich im Ersten Weltkrieg, der Götterdämmerung, in der eine alte Gesellschaftsordnung unterging. Danach kamen vor allem Nachbeben, die bis heute weiterzuwirken scheinen. Bei Chéreau gewann das Katastrophische eine brennende, schmerzhafte Nähe, zugleich aber zeigte er, dass das neunzehnte Jahrhundert in der Größe des historischen Entwurfs, in der Übergröße seiner beherrschenden Individuen (Wotan) das Ende, den jähen Sturz in den Abgrund barg: Ein Sturz von mythischen Dimensionen. Chéreaus Darstellung besaß in den Ring-Deutungen von Joachim Herz (in Leipzig), Götz Friedrich (London) oder Ulrich Melchinger (Kassel) markante Vorbereiter. Die Bedeutung von Chéreaus Ring aber bestand in der Zusammensicht aller Tendenzen, in der analytischen Klarheit und Durchdringung, und das alles bei gleichzeitiger theatralischer Vitalisierung von ungewohntem Ausmaß Kennzeichen einer Ring-Interpretation, bei der die Musik unter Pierre Boulez als ebenbürtiger Partner mitsprach. Man könnte pointiert sagen, dass sich Wagner mit der Gründung seiner Bayreuther Festspiele als erster moderner und sofort perfekter Marketingchef für sein Werk etabliert hat: Bayreuth als Impulsgeber auf eine aufsehenerregende Inszenierung auf dem Grünen Hügel reagiert der Chor der deutschen, deutschsprachigen und sogar der ausländischen Opernbühnen mit eine Vielzahl neuer Ring-Inszenierungen. Die Gegenwart hielt Einzug im Ring-Gehäuse. Bei Harry Kupfer (1988 in Bayreuth) degenerierte die Götterschar zu einem Banditenhaufen, der unsere Umwelt zerstört ein Öko-Ring sozusagen. Kupfers Ring will einem in der Rückschau doch zwingender, größer erscheinen als zur Zeit seiner Hervorbringung. Der Schatten Chéreaus lag wohl noch zu stark auf den inszenierenden Nachfolgern. Man sah auch viel Firlefanz bei der Ring-Rezeption nach Chéreau. Als Solitär ragt
vielleicht nur der Frankfurter Ring der Ruth Berghaus, von Michael Gielen dirigiert, aus der Menge
heraus: Ruth Berghaus analysierte mit scharfem Blick das Innere der Figuren, ihre psychischen Dispositionen.
Dabei wurde deutlich, wie sehr sich die Ring-Protagonisten aus sich selbst heraus zerstören.
Ihr Streiten entsteht weniger aus einem Kampf mit einem Gegenüber, sondern aus sich selbst. Da war als
Seelenvivisektion mit höchster Genauigkeit vorgetragen: Ein notwendiger Gegenentwurf zu Chéreaus
Palimpsest-Forschung für das neunzehnte Jahrhundert. Die neue Neugier könnte aber auch evoziert worden sein durch die zunehmend sich verschärfende politische und gesellschaftliche Welt-Lage: Der 11. September 2001 steht als Symbol nicht nur für einen barbarischen Terror-und Zerstörungsakt, vielmehr als Wegmarke in eine denkbare Welt-Katastrophe, hervorgerufen durch ökonomische Ungleichheit und Ungerechtigkeit, einen immer hemmungsloser agierenden Welt-Kapitalismus, wachsende soziale Schieflagen, primitives Renditedenken, rücksichtlose Ausbeutung der Natur-Ressourcen und noch einiges mehr. Muss eine Ring-Inszenierung das alles ins Bild und vors Auge bringen? Sicher nicht plakativ, mit direkten optischen Accessoires aus unseren Tagen bis hin zum zerstörten Panzer. Aber die Genauigkeit der Figurenbeobachtung, die verdeckte Sprache verbogener Haltungen, verlogener Gesten, verräterischer Bewegungen, präzis in Übereinstimmung mit der musikalischen Gestik, dem Ausdruck der Musik, müßte in dem Ring-Personal etwas von den fortwirkenden psychischen Dispositionen aufscheinen lassen, aus denen die Menschheitskatastrophen entstehen. Bei Chéreau entwickelte sich das aus Virtuosität, bei der Berghaus aus fast brutaler Seelenzergliederung, bei Kupfer aus präziser Figurendarstellung. Ob die gegenwärtige Ring-Olympiade an unseren Opernhäusern der Palimpsest-Forschung am Ring neue Schichten anbieten kann, sollte fairerweise erst nach Beendigung der einzelnen Gesamtinszenierungen resümiert werden. Christine Mielitz hat in Weimar mit ihrem Kraftakt, alle vier Teile in einer Woche zu stemmen, einen bemerkenswerten Anfang gemacht. In München versucht Herbert Wernicke, seiner zehn Jahre zurückliegenden Brüsseler Ring-Inszenierung durch einen neuen Ansatz erweiterte Perspektiven abzugewinnen nach dem Rheingold lässt sich dazu noch nichts weiter sagen. Robert Wilsons Zürcher Zeichen-und Gestensprache bewegt oft wundersam und hochästhetisch die Figuren wohin? Die Frage mag zugleich als ein zwischenzeitliches Ende der Betrachtungen gelten.
|
|||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
|