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Das Schwinden der Utopien

„Kein Ort. Nirgends“ in Oestrich-Winkel · Von Daniel Honsack

Es ist Mozart-Jahr und Schostakowitsch-Jahr und... es ist Günderrode-Jahr. Die Dichterin erstach sich vor 200 Jahren im Alter von 26 Jahren in Oestrich-Winkel am Rhein. Sie hinterließ ein schmales Werk, darunter Gedichte und ein wenig Prosa. Der Autorin Christa Wolf ist es mit zu verdanken, dass Günderrodes Schaffen ab den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wieder etwas bekannter wurde. Ihr Roman „Kein Ort. Nirgends“ skizziert eine fiktive Begegnung im Haus der Brentanos zwischen Karoline und Heinrich von Kleist, der fünf Jahre nach ihr Selbstmord beging.

 
Patrick Pobeschin als Heinrich von Kleist. Foto: Martina Pipprich
 

Patrick Pobeschin als Heinrich von Kleist. Foto: Martina Pipprich

 

Eine Vorlage, die der Librettist Christian Martin Fuchs und der Komponist Anno Schreier für eine Oper verwendet haben und die nun in der Brentano-Scheune zu Oestrich-Winkel am fast authentischen Ort aufgeführt wurde. Auf der Bühne standen junge Sängerinnen und Sänger des „Jungen Ensembles“ am Mainzer Staatstheater. „Kleist und Günderrode repräsentieren trotz der historischen Folie zwei Künstler mit den Brechungsfaktoren der Jahre 1804, 1979 und 2006“, erläutert Christian Martin Fuchs sein Interesse an dem Stoff. „Die Originaltreue ist eine mentale: Das Schweigen im Lärm, die Einsamkeit in der Betriebsamkeit, das Erblinden im grellen Licht der Öffentlichkeit sind Momente, die heute gelten wie immer“, stellt der Wiener Librettist einen aktuellen Bezug her. Der Komponist Anno Schreier, Jahrgang 1979, spricht von der Herausforderung, „kompositorisch sozusagen in Kleists Kopf hineinzukriechen“ und die „fratzenhafte Bedrohlichkeit“ seiner Umgebung wiederzugeben. „Dabei erlaube ich mir durchaus, kompositorisch auf die eine oder andere Art über die Stränge zu schlagen: Denn im Sinne der Unterhaltung ist auf dem Theater jedes Mittel recht“, führt er aus.

Dass für einen inhaltlich wie historisch derart bedeutungsschweren Stoff ausgerechnet ein junges Ensemble verpflichtet wurde, wirkt nur vordergründig befremdlich. Denn die Protagonisten der Handlung sind zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in ihren Zwanzigern und stehen eigentlich am Anfang viel versprechender Karrieren. Karoline von Günderrode brachte mit 24 ihre „Gedichte und Phantasien“ heraus, Kleist vollendete seinen „Zerbrochenen Krug“ im Alter von 29 Jahren.

Im Gespräch vor der Uraufführung gab Christa Wolf zu erkennen, dass sie einen gewissen Abstand zu dem dreißig Jahre alten Text gewonnen hat. „Man liebt in jedem Zeitalter anders“, erläutert sie. Das bezieht sie zwar auf den Stoff selbst, aber der Satz gilt sicherlich auch für die eigene Reflexion. Die fiktive Begegnung der beiden späteren Selbstmörder lässt sie 1804 stattfinden. „Nach der Französischen Revolution waren die Gefühle der jungen Leute ganz anders als davor“, sagt Christa Wolf. Und da liegt auch der Bezug zu ihrer eigenen Biografie. Sie hat den Roman kurz nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR geschrieben. „Ich sah meine Utopie schwinden und suchte in der Geschichte Personen, dieÄhnliches erlebt haben.“

Die Inszenierung von Anna Malunat ist hingegen enorm räumlich gelungen. Die Ensemblemitglieder stehen vor ihren Portraits an der Wand, jagen sich quer durch den Raum, nutzen die Ausgänge für Auftritte und Fluchten. Die 1980 geborene Regisseurin hat ganz bewusst den Zeitsprung gewählt. Historisiertes Mobiliar von 1804 trifft auf ein Honecker-Portrait. Ebenso wie die Musik Anno Schreiers wirkt das szenische Experiment in jedem Moment schlüssig. Das Libretto schöpft die Literaturvorlage auf wenige kraftvolle Dialogfragmente hin aus. Diese Zurücknahme funktioniert in der Oper ausgezeichnet. Der Aachener Komponist hat eine überaus packende Tonsprache gefunden, die sinnliche und abstrakte Aspekte lebhaft in sich vereint.

Für das Ensemble ist die Aufgabe enorm fordernd. Denn alle Beteiligten müssen lückenlose Präsenz zeigen, auch wenn sie einmal nicht unmittelbar am Geschehen beteiligt sind. Diana Schmid ist als Karoline von Günderrode in eine unwirkliche, geisterhafte Rolle geschlüpft, die bereits im Leben tot wirkt und nur selten noch einmal aufbegehrt. Als Heinrich von Kleist wandelt auch Patrick Pobeschin zwischen den Welten, bis er gemeinsam mit der Leidensgenossin im offenen Sarg aus dem Raum rollt. Daniel Jenz zeichnet klar konturiert den Clemens Brentano, Sonja Gornik ist als dessen Schwester Bettina stimmlich wie szenisch bestens in Form. Florian Rosskopp gibt einen oft belehrend wirkenden Savigny, Arthur Pirvu ist als formalistischer Hofrat Wedekind zu erleben. Sarah Kuffner komplettiert das Ensemble als oftmals bizarre Gunda, gern in rot. Das Orchester unter der Leitung von Thomas Dorsch spielt engagiert und pointiert auf, forciert damit die stets zwischen Übermut und Depression schwankende Stimmung.

Daniel Honsack

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