Vor einem Vierteljahrhundert, weite Teile Dresdens lagen da tatsächlich noch in den Trümmern des Zweiten Weltkriegs, wurde eine akribische Aufbauleistung abgeschlossen. Originalgetreu nach den erhalten gebliebenen Plänen Gottfried Sempers, manche Details sogar noch getreuer als im Original ausgeführt, wurde das in der Bombennacht vom 13. Februar 1945 zerstörte Theater wiedererrichtet. Zur Eröffnung gab es – Richard Wagner und Richard Strauss hätten nahegelegen – Carl Maria von Weber. Ein lokaler Bezug sollte schon sein; der in Eutin geborene Künstler schrieb den „Freischütz“ während seiner Kapellmeisterzeit in Dresden. Und dieses Werk mit der mehrdeutig auslegbaren Wolfsschlucht-Szene war im August 1944 auch das letzte gewesen, das vor der kriegsbedingten Schließung des Semper-Baus (in der 982. Vorstellung!) aufgeführt worden ist. Dass dieses zwischen 1871 und 1878 errichtete Gebäude gar nicht von Gottfried Semper, sondern nach dessen Plänen von seinem ältesten Sohn Manfred ausgeführt wurde, ist inzwischen beinahe vergessen. Doch Semper senior bekam nach der Revolte vom Mai 1849 (gemeinsam mit Bakunin, Wagner und vielen anderen) ein Sachsen-Verbot auferlegt (was wiederum Wien zum Vorteil gereichte, wo er daraufhin das Burgtheater erbaute). Nur knapp sieben Jahrzehnte lang bestimmte Sempers Fassade im Stil italienischer Hochrenaissance das Antlitz des Dresdner Theater- (und ab 1933 Adolf-Hitler-) Platzes. Besuchermagnet
Die Wunden des von Deutschland losgetretenen Krieges schwelten hier auf den Tag genau vierzig Jahre. Im gegenüberliegenden Schloss sollte dies noch länger dauern. Seit Februar 1985, als der politische Popanz die heutige Semperoper wiedereröffnete – genaugenommen ist dies der dritte Bau, denn von 1841 bis zur Brandkatastrophe von 1869 stand hier Sempers erste Oper –, hat sich dieses Theater als Besuchermagnet etabliert. Neben dem von Joachim Herz inszenierten „Freischütz“ (im Ost- und West-Fernsehen zeitgleich gesendet!) gab es zur Feier des Hauses Uraufführungen wie „Cornet“ von Siegfried Matthus, Regie Ruth Berghaus, und das Ballett „Brennender Friede“ zu Musik von Udo Zimmermann. In rascher Folge etablierte sich der Musentempel zur festen Adresse für Wagner- und Strauss-Anhänger, wurde zum Spielort von Historie und Uraufführung. Stand zunächst die Frage, ob der langanhaltende Ansturm auf die (damals noch preisgünstigen) Karten dem Haus oder den Produktionen geschuldet waren, so wäre heute zu prüfen, ob der imagebeladene Werbeträger mit der Fünf-Minuten-Uhr oder die kunstsinnige Spielstätte dreier Sparten – Oper, Ballett und Konzert – zwecks kultureller Erbauung aufgesucht werden soll. Verändert hat sich die Kartennachfrage der Einheimischen. Manche mögen mutmaßen, das Haus sei nach wie vor ausverkauft, und versuchen schon längst nicht mehr, den Gegenbeweis zu führen. Die Realistischeren verrechnen die gestiegenen Preise mit ihrem Einkommensniveau. Wechselndes Stammpublikum entströmt bunten Bussen sowie den Hotels. Sie buchen Dresden im Kulturpaket. Längst darbt der lang etablierte Schwarzmarkt, der dem tatsächlichen Musiktheater-Geschehen ähnlich fern ist wie etwa der seit 2006 jährlich stattfindende Opernball. Der eine wie der andere Auswuchs ist von der aktuellen Wirtschaftsentwicklung gezeichnet. RegieleistungenDie sogenannte Fachwelt – veritable Opernfreaks und Kritiker des Musiktheaters – gibt sich in Sachen Semperoper zerrissen. Manche preisen die museale Ästhetik, andere schelten das Haus gerade deswegen. Dabei gab und gibt es, neben platter, hohler Kulinarik, durchaus exemplarische Regieleistungen auch in Dresden! Harry Kupfers „Katja Kabanowa“ etwa und Ruth Berghaus‘ „Elektra“ stehen der keimfreien Ästhetik eines Marco Arturo Marelli entgegen, Peter Konwitschnys „Verkaufte Braut“, sein „Tannhäuser“ und die auch juristisch umstrittene „Csárdásfürstin“ verweigern sich Schönschreibversuchen von Peter Mussbach bis Udo Samel. In den vergangenen Jahren und Spielzeiten haben so unterschiedliche Regisseure wie beispielsweise Achim Freyer, Claus Guth, Michael Hampe, Philipp Himmelmann, Andreas Homoki, Uwe Eric Laufenberg, Nikolaus Lehnhoff, Johannes Schaaf ihre Handschriften hinterlassen. Couragierte Haus-Debüts gab es von Annette Jahns, Konstanze Lauterbach, Vera Nemirova und Katharina Thalbach. Günter Krämers „Fledermaus“-Persiflage mit fragwürdigem Entertainment stand eigenen Regie-Ambitionen im Wege, die er bei der Wiederentdeckung von Othmar Schoecks „Penthesilea“ an den Tag legte. So austauschbare Vielfalt klingt beileibe nicht nach stringenter Spielplanpolitik, nach „rotem Faden“ schon gar nicht.
Ewig unvergessen bleibt wohl Beethovens „Fidelio“ in der Inszenierung von Christine Mielitz. Die Premiere fand zum 40. DDR-Geburtstag statt. Der wurde bekanntlich mit Lobreden und Straßenschlachten gefeiert; Dresdens Gefangenenchor assoziierte Mauer und Stacheldraht – ein mutiger Beweis dessen, was Theater auch kann und eigentlich muss. Jüngste Achtungserfolge waren der Hinwendung zu Benjamin Britten („Peter Grimes“), Hans Werner Henze („L‘Upupa“) und Paul Hindemith („Cardillac“) zu verdanken, in musikalischer wie szenischer Hinsicht herausragend gelang erst kürzlich Händels „Giulio Cesare“, Beachtung verdient demnächst gewiss die Ausgrabung von Franz Schmidts „Notre Dame“. Das Werk dieses Glaubensmannes hatte sich Generalmusikdirektor Fabio Luisi persönlich gewünscht. Dirigieren wird er es nun aber nicht. Ballett, Kapelle, ChorSeit ihrer Wiedereröffnung wurde die Semperoper mit unterschiedlicher Fortune von drei Intendanten geleitet. Max Gerd Schönfelder wurde 1990 von Christoph Albrecht abgelöst, dem folgte 2003 Gerd Uecker, der zum Ende der laufenden Spielzeit an Ulrike Hessler übergeben wird. Weit bewegter gingen die Personalwechsel in den einzelnen Sparten vor sich. Das international bekannte Haus mit dem offiziellen Namen Sächsische Staatsoper Dresden beinhaltet ja auch das Ballett, dem einst Tom Schilling und Harald Wandtke, später Vladimir Derevianko und heute Aaron S. Watkin, immer aber auch Arbeiten und Gastspiele von William Forsythe über John Neumeier bis hin zu Uwe Scholz künstlerische Prägung verliehen. Vor allem ist die Semperoper freilich untrennbar mit dem laut Eigenwerbung „ältesten kontinuierlich bestehenden Orchester der Welt“ verbunden, mit der Sächsischen Staatskapelle. 1548 gegründet, ist der Klangkörper mit Namen wie Heinrich Schütz, Johann Adolf Hasse, mit Weber, Wagner und Strauss verbunden, wurde geleitet von Koryphäen wie Ernst von Schuch, Fritz Busch, Karl Böhm, Joseph Keilberth, Rudolf Kempe, Otmar Suitner, Kurt Sanderling, Herbert Blomstedt, Giuseppe Sinopoli und Bernard Haitink. Seit 2007 ist der Italiener Fabio Luisi Generalmusikdirektor der Staatskapelle, ihm wird 2012 Christian Thielemann als Chefdirigent folgen. Wegen planerischen Ungeschicks und wohl auch wegen persönlicher Eitelkeiten ist das Dirigentenkarussell kürzlich mal wieder außer Takt geraten. Luisi warf vorzeitig hin, mit sofortiger Wirkung; für seine Positionen im Spielplan musste kurzfristig Ersatz gefunden werden. Auffällig in diesem Zusammenhang eine wenigstens verbale Parallele: Als im März 1933 Fritz Busch nach über zehn Jahren als Generalmusikdirektor der Sächsischen Staatskapelle aus dem Amt gedrängt wurde, vermerkte er in seinem Arbeitsbuch knapp „!!! aus“. Doppelt unterstrichen das Ganze. Im Februar 2010 berichteten die Dresdner Neuesten Nachrichten unter der fettgedruckten Überschrift „Aus“ vom Theaterdonner um die fristlose Kündigung Luisis, dessen Vertragszeit eigentlich im Sommer 2012 enden würde. Nicht zu vergessen in der Riege der Ensembles: Der Staatsopernchor, der – trotz Kürzungen und Schließung des Opernchorstudios im Sommer 2009 – seinen Teil zur exzellenten musikalischen Qualität des Hauses beiträgt. Zerstörungs-Mahnmal?Nach dem abrupten Finale – Insiderspott: Immer, wenn Thielemann anrückt, flieht Luisi (das war in Berlin so, ist nun in Dresden nicht anders) – stand das Haus vor gewaltigen Problemen. Allein während der Festtage „25 Jahre Neue Semperoper“ (13. Februar bis 7. März) waren Konzerte, die Wiederaufnahme von Hindemiths „Cardillac“ und immerhin zwei „Ring“-Aufführungen mit GMD Luisi vorgesehen und mussten von verschiedenen Gäs-ten übernommen werden. Dem schwachen Glanz der eher beliebig wirkenden Festtage tat dies kaum mehr einen Abbruch. Nach einem ziemlich grandiosen Alfred Brendel-Projekt Anfang Februar zelebrierte Daniel Barenboim seine solopianistische Huldigung zum 200. Geburtstag von Chopin, gab Klaus Maria Brandauer als neue Zusammenarbeit mit der Staatskapelle den „Ahab“ nach Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ bekannt. Dessen Premiere wird im September 2010 sein, nicht in der Semperoper, sondern beim Hauptsponsor der Staatskapelle, der Manufaktur eines Automobilproduzenten, wo nach der Flutkatastrophe 2002 schon Harry Kupfers „Carmen“ Quartier finden konnte. Mehr als nach vorn wurde in den Festwochen freilich der Geschichte gedacht, ausführlich auch der Baugeschichte des Hauses. Als interessante Anregung hat der Architekt des Wiederaufbaus, Wolfgang Hänsch, die Errichtung eines Mahnmals ins Gespräch gebracht. Es soll symbolisch den Bühnenschrott der Zerstörung mit aufsteigenden „Schicksalsvögeln“ verbinden. Flut-FolgenEine Brauerei ist dieser Bau nie gewesen, auch wenn bei den beliebten Hausführungen immer mal wieder nach Braukesseln gefragt wird. Dass es hinter den geschichtsträchtigen Mauern jedoch beständig gärt, mag ein gutes Zeichen fortwährenden Aufbruchs sein. Nur einmal wurde das vor 25 Jahren wiedereröffnete Haus gründlich durchspült – die Flut im Sommer 2002 hinterließ ihre schlammigen Spuren auch in diesem Musentempel und vernichtete wertvolle Bestände. Dem Bewahren der reichen Vergangenheit dient das gemeinsame Engagement von Staatsoper und Mitteldeutschem Rundfunk: Der mehrfach prämierten CD-Reihe „Edition Staatskapelle“ folgt nun eine „Semperoper Edition“. Sie wurde zu den Jubiläumsfeierlichkeiten erstmals präsentiert. Michael Ernst |
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
|