Nina Hümpel: Mein Mann hat eine kleine Internet-Agentur und macht Konzepte für Internet-Firmenauftritte. Als ich 1994 meine Zwillinge bekam und meine Assistentenstelle an der Uni Eichstätt aufgeben musste, hatte er die Idee, ich solle eine Tanzzeitschrift im Internet gründen. 1996 hat er dann zusammen mit seinem Bruder, der Programmierer ist, „tanznetz.de“ eingerichtet. Die Technik war mir dadurch abgenommen. Aber ich musste ja erst einmal recherchieren, mich vertraut machen mit den wenigen Seiten, die es damals gab. Was Riesenkosten verursachte – in der Zeit vor den Flat-rates. Abgesehen von der Investition musste ich einen enorm langen Atem haben. Denn die anvisierten Nutzer aus der Tanzwelt, für die ich diese Seite gemacht habe, waren die allerletzten, die ins Internet gegangen sind. Die Anerkennung kam schließlich doch. Mittlerweile beteiligt sich etwa die Hälfte aller deutschen Tanzkritiker an dieser „Community“. Altmeister Horst Koegler schreibt für uns sogar sein „koegler journal“, ein Tagebuch zu allen möglichen Events und Themen. Fotografen, unter anderem der renommierte Gert Weigelt, überlassen uns ihre Fotos. Gradinger: Was heißt „Community“? Hümpel: „tanznetz.de“ ist ein gemeinschaftliches Veröffentlichungsorgan, in das Kritiker, Tänzer, Tanzmediziner, Pädagogen, Choreografen honorarfrei einstellen, was sie an Erfahrung und Wissen haben. Das ist das Besondere an „tanznetz.de“: Niemand verdient Geld. Lediglich die Redaktionsarbeit ist minimal abgedeckt, aber auch erst durch die nur sehr allmählich angelaufene Fachwerbung. Selbst ich als Redakteurin musste und muss noch nebenbei jobben. Zurzeit gebe ich Tanzgeschichte-Unterricht in der Münchner Iwanson-Schule. Von 1996 bis 2001 habe ich als freie Lektorin und Redakteurin bei privaten TV-Sendern und Medien-Unternehmen gearbeitet. Was ich damit sagen will: Wer etwas in „tanznetz.de“ hineingibt, bekommt in irgendeiner Form auch wieder etwas heraus. Die Motivationen mitzumachen sind ganz unterschiedlich. Es gibt ältere Kritiker, die nicht mehr auf bezahlte Jobs angewiesen sind, aber noch gelesen werden wollen. Journalisten, die für Regionalzeitungen schreiben, sind daran interessiert, ihre Artikel einer überregionalen Leserschaft zur Verfügung zu stellen. Anfänger suchen ein Forum, wo sie sich ausprobieren können. Wir haben tatsächlich die Erfahrung gemacht, dass junge Autoren durch ihre Beiträge in „tanznetz.de“ relativ bald bezahlte Aufträge bekamen. Nicht zuletzt findet jeder hier kostenlos eine breite Palette von Informationen, sei es im Archiv oder in der aktuellen Presseschau. Gradinger: Wie ist Ihr „tanznetz“ aufgebaut? Hümpel: „tanznetz.de“ bietet drei große Bereiche an: einmal die mir direkt zugeschickten Kritiken und die per Links zu anderen Printmedien ermöglichte Presseschau; zweitens die Diskussionsforen und drittens einen umfassenden Terminkalender. Gradinger: Wie funktionieren die „tanznetz“-Diskussionsforen? Hümpel: Eigentlich ähnlich wie eine Selbsthilfegruppe. „tanznetz“-User informieren sich gegenseitig. Es gibt jeweils thematisch geordnete Foren für Eltern, für Schüler und ein Forum für Ballettschul-Leiter und Pädagogen. Darin wird alles rund um den Tanz diskutiert, von der gewünschten Ballettausbildungsstätte, dem geeigneten Ballett-Internat über Ballett-Bekleidung, Körperhygiene bis zu allen möglichen beruflichen, tanztechnischen und tanzmedizinischen Fragen. Und schließlich noch die Foren für Ballettfans, die sich über Premieren, ihre Lieblingstänzer, neue Rollen und Beförderungen austauschen, sei es im Hamburg Ballett, im Staatsballett Berlin oder im Bayerischen Staatsballett. Gradinger: Viel genutzt wird sicher der Terminkalender... Hümpel: Die Sparte „Termine – Auditions“ ist die boomendste Rubrik. Ich glaube, es gibt kaum ein Portal in Deutschland, das so viele Tanz-Auditions veröffentlicht. Auch die Auditions von Musical-Veranstaltern und Luxus-Linern findet man bei uns. Jobsuchende Tänzer schauen da fast täglich rein. Und natürlich haben wir die Termine von Premieren, Festivals, Workshops, Tagungen, Aufnahmeprüfungen von staatlichen und nicht-staatlichen Tanzausbildungsstätten. Gradinger: Das hört sich nach immenser Arbeit an... Hümpel: Jetzt nicht mehr. Aber die Arbeit von 14 Jahren steckt drin. Unendliche Male habe ich die Pressereferenten angerufen, immer wieder erklärt, dass sie ihre Termine umsonst in „tanznetz“ veröffentlichen können. Erklärt, wie man sich registriert, wie man sich anmeldet, wie man die Maske ausfüllt, wie man Terminänderungen eingibt. Es war ein langer mühsamer Prozess, bis dieser Kulturbereich sich dem Internet offen gezeigt und auch „tanznetz“ als Plattform vertraut hat. Jetzt tragen sich alle Institutionen, Theater, Veranstalter, Schulen selbst ein. Auch die Pressereferenten der österreichischen und Schweizer Theater geben zum großen Teil ihre Termine ein. Gradinger: Bekommen Sie Subventionen? Hümpel: Nach anfänglichen leider vergeblichen Versuchen habe ich von der Kulturstiftung des Bundes über deren „Tanzplan Deutschland“-Förderung, die in Bayern unter dem Titel „Access to Dance“ läuft, 2005 eine Unterstützung erhalten und damit das Portal „Access to Dance – Tanzportal in Bayern“ eingerichtet. Alles, was sich im Bereich Tanz in Bayern tut, findet man in diesem Bayern-Portal. Gradinger: Die elektronischen Medien entwickeln sich rasend schnell weiter... Hümpel: Natürlich möchte man mit neuen technischen Herausforderungen und Möglichkeiten weiterwachsen. So fange ich jetzt langsam an, auch einen Bereich „Bewegt-Bild“ aufzubauen. Es gibt bereits einen kleinen Videokanal „Tanz in Schulen“. Dort sind die von einer Jury ausgewählten Filme zu sehen, die von den „Tanz in Schulen“-Projektleitern aus ganz Deutschland eingesandt werden. Die Zukunftsvision ist, dass man einen Kanal hat für Highlights des klassischen Balletts, einen für Tanztheater-Videos und einen zum Thema „Zeitgenössischer Tanz“. Außerdem möchte ich einen Kanal einrichten, in dem ältere erfahrene Tanzkritiker und Tänzer aus ihrem Berufsleben erzählen. Die Konzepte sind da, interessierte Künstler wollen mitmachen. Allerdings sind Filme nicht mit unserer Nonprofit-Strategie zu finanzieren. Da bin ich noch auf der Suche nach geeigneten Förderungen. Zur Person Nina Hümpel
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