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Verborgene Schätze in neuem Kleid

100 Jahre Deutsche Oper auf DVD · Von Gisela Sonnenburg

„Deutsche Oper Berlin – 100
Years – 1912-2012“: „Don Giovanni“, „Otello“, „Fidelio“, „Don Carlos“, „Die heimliche Ehe“, Cat. No. NTSC 107 522, Arthaus Musik
Deutsche Oper Berlin – 100
Years – Centennial Edition“: „Preußisches Märchen“, „Montezuma“, „Die tote Stadt“, „Die Gespenstersonate“, „Oedipus“, Cat. No. NTSC 107 528, Arthaus Musik

Man stelle sich einen Schatz funkelnder Juwelen vor, der lange irgendwo vergraben lag. Wer ihn hebt, muss ihn auch sorgsam säubern und polieren – erst dann kann sich die Welt an lang Vermisstem erfreuen. Genauso ergeht es einer Reihe von Fernsehaufzeichnungen der Deutschen Oper, die seit den 60er-Jahren entstanden sind.
Jetzt verhalf ihnen Arthaus Musik zu neuem Glanz. Anlässlich des 100. Geburtstags der heutigen Deutschen Oper Berlin (DOB) erschienen zwei DVD-Boxen mit bisher nicht erhältlichen historischen Aufnahmen. Und wirklich: Es handelt sich ohne Übertreibung um wahre Pretiosen, die Opern- und Fernsehgeschichte schrieben und die auch ohne Jubiläum absolute Hingucker wären. Die erste Box mit fünf Aufzeichnungen aus den 60er-Jahren beglückt mit zeitgeistig prägnanten, hochkarätig besetzten, detailreich inszenierten Opernstücken. Optisch und akus-tisch wurden die Schwarz-Weiß-Filme meisterhaft restauriert – von der Arthaus-Schwester Digital Images in Halle –, sodass ihre technische Qualität manch „normale“ Neuerscheinung noch übertrifft.

Da ist zunächst „Don Giovanni“ in der Inszenierung von Carl Ebert und unter dem Dirigat von Ferenc Fricsay. Mit Dietrich Fischer-Dieskau in der Titelpartie, die Mozartschen Klangkaskaden feinfühlig aufgeladen darbietend, hat die Inszenierung von 1961 noch einen weiteren Thrill: Sie war die Eröffnung der DOB im Neubau im westlichen Berlin, zufällig sechs Wochen nach dem Bau der Mauer. Berlin und auch die Opernwelt
waren noch im Schockzustand, der Kalte Krieg begann.

Es ist diese Ära, die die Gegenwartskunst bis heute in ihren Grundfesten geprägt hat. In rasantem Tempo erblühten in Ost wie West kulturelle Anstrengungen – die Operninszenierungen der „Frontstadt“ Berlin manifestieren das aufs Feinste. „Otello“, „Fidelio“ und „Don Carlos“ sind in streng-schöner Hell-Dunkel-Ästhetik zu sehen und, wie damals üblich, in deutscher Sprache zu hören. Ohne das befürchtete Übermaß an Pathos, mit flotten Fecht- und Liebes-szenen, mit Sängern wie Christa Ludwig und James King. Kaum zu glauben, dass solche Aufnahmen fast vergessen wurden.

Es war viel Arbeit, die alte Kunst neu zugänglich zu machen: Matthias Henneberger, Jurist und Medienberater der DOB, schrieb Hunderte Künstler und Erben an, um die Rechte für die Neuveröffentlichungen zu bekommen. Henneberger kennt auch anekdotische Hintergründe der Inszenierungen. Etwa zum Weltstar Renata Tebaldi: „Die Tebaldi wollte Anfang der 60er-Jahre unbedingt wieder die Desdemona singen. Also wurde ‚Otello’ inszeniert, aber nur zwei Mal aufgeführt: als Premiere und ohne Publikum für die Fernsehaufzeichnung.“ Man hatte damals sichtlich andere mediale Vorgaben als heute. Nicht Authentizität war entscheidend, sondern scheinbare Perfektion: Mitunter wurden Szenen nachgedreht. Live-Flair mit applaudierendem Publikum, heute unverzichtbar, war unerwünscht: Cineastisch sollte es werden und stilisiert wie Studio-Arbeiten.

Besonders schön zeigt sich das an einem Fundstück, das man heute kaum noch auf Spielplänen findet: Cimarosas „Die heimliche Ehe“. Domenico Cimarosa ist ein Nachfolger Mozarts und Salieris, zu Lebzeiten viel gespielt. Mit freundlich-zartem Notenschmelz zu süffisant-komischer Handlung und mit musikalischen Zitaten sogar aus der „Zauberflöte“ ist Cimarosa eine Wiederbelebung wert. Überraschend begeisternd sind zudem die Leistungen von Sängern wie Josef Greindl, Barry McDaniel und Donald Grobe mit keinem geringeren Dirigenten als Lorin Maazel. Für szenische Pointen sorgt die Kammerspielatmosphäre: Nur sechs Personen singen, tanzen, baden (!), rezitieren in stetem Wechsel. Wirklich entzückend!

Ganz andere Freuden bereitet die zweite Box „Centennial Edition“, mit Aufnahmen in Farbe von 1974 bis 1987. Sie ist der damals zeitgenössischen Oper gewidmet und serviert mit Boris Blachers „Preußischem Märchen“, Aribert Reimanns „Gespenstersonate“ und Wolfgang Rihms „Oedipus“ Ergebnisse nahezu experimenteller musikalischer Forschungen. Absolutes Highlight: „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold, der später ein erfolgreicher Filmkomponist wurde und mit surrealer Groteske ein tiefenpsychologisches Werk über die seelischen Abgründe eines Witwers schuf. Mit Karan Armstrong als mystisch-bezaubernder Überfrau in der Inszenierung ihres Ehemannes Götz Friedrich: ergreifend wie ein Hitchcock-Film!

Dramaturgische Hinweise auch auf die wechselhafte Geschichte des einstigen „Charlottenburger Opernhauses“, aus dem erst 1961 die DOB wurde, liefern kompetente Booklet-Texte. Das ist heutzutage leider keine Selbstverständlichkeit mehr – und verdient entsprechend Lob.

Gisela Sonnenburg

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