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Berichte

Kontraste zum Abschied

»Charlotte Salomon«, »Rosenkavalier« und »Trovatore« in Salzburg

Zu seiner letzten Runde hat der scheidende Intendant Alexander Pereira die Salzburger Festspiele mit einer Uraufführung eröffnet – und einem heiklen Sujet. Denn wenn es darum geht, die Schoah auf die Bühne zu bringen, scheint es oft, als hätten sich die Ausdrucksmittel für das Grauen erschöpft. Anders ist es bei Zeitzeugnissen junger Künstler wie der Autorin Anne Frank, der Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger oder der Malerin Charlotte Salomon, die 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Salomon hat im französischen Exil die Schrecken der Verfolgung in Hunderte expressionistischer Bilder zu bannen versucht und zugleich gegen die Todessehnsucht angemalt, die von ihrer mütterlichen Familie auf sie gekommen war.

Johanna Wokalek, Marianne Crebassa als „doppeltes Charlottchen“. Foto: Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Johanna Wokalek, Marianne Crebassa als „doppeltes Charlottchen“. Foto: Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Der Komponist Marc-André Dalbavie hat aus dem autobiographischen Konvolut für die Festspiele die Oper „Charlotte Salomon“ gemacht und dirigiert sie auch selbst. Johannes Schütz hat vor die Arkaden der Felsenreitschule einen weißen Kasten gesetzt, in dessen einzelnen Abteilungen sich beständig mehrere Handlungen zugleich zutragen. Auf die Rückwand projiziert er wechselnde Gouachen von Salomon. Einen roten Faden in diesem Erinnerungsreigen bildet Salomons Liebe zu ihrer Stiefmutter, der Mezzosopranistin Paula Lindberg. Deren Repertoire, von Bach-Kantate bis zu Bizets Habanera, taucht in Zitatfetzen immer wieder auf. Doch wirken die Referenzen auf Dauer ermüdend. Allzu buchstabengetreu erzählen Dalbavie, die Librettistin Barbara Honigmann und die Kostüme von Moidele Bickel die Geschichte nach.

Je mehr das Mozarteumorchester Dalbavies eigene Tonsprache zwischen impressionistischem Flirren und spektralistischen Oberton-Vexierspielen zum Klingen bringen kann, desto stärker wird das Stück. Doch lebt die Spannung vor allem davon, wie exquisit der Regisseur Luc Bondy seine hervorragenden Darsteller führt. Anaïk Morel ist eine charmante Stiefmutter, Frédéric Antoun ein komödiantisch beredter Gesangs-Prophet Amadeus Daberlohn. Ihm schenkt Charlotte ihr junges Herz, das heißt, sogar zwei. Dalbavie hat die Hauptrolle nämlich aufgeteilt. Dieses doppelte Charlottchen, gesungen von Marianne Crebassa und gesprochen von der Schauspielerin Johanna Wokalek, hält den Abend virtuos zusammen.

Wirklich erschütternd ist „Charlotte Salomon“ da, wo nicht die Zeitgeschichte im Vordergrund steht, sondern ihr individuelles Schicksal. Und das ist wahrhaft eines. Die Großmutter macht einen Abzählreim draus: sechs Selbstmorde in drei Generationen.
Der Kontrast zur federleichten Künstlichkeit im „Rosenkavalier“ könnte größer kaum sein. Unbeirrt von der Behauptung des Stücks, um 1740 zu spielen, siedelt der Bühnenbildner Hans Schavernoch Strauss’ Oper im Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts an, ihrer Entstehungszeit: Rückprospekte über die gesamte Bühnenbreite des Großen Festspielhauses bilden die alte Ringstraßenherrlichkeit in immer anderen Blickwinkeln ab.

Salzburger »Rosenkavalier«. Foto: Monika Rittershaus

Salzburger »Rosenkavalier«. Foto: Monika Rittershaus

Die Handlung nimmt der Regisseur Harry Kupfer einfach beim Wort. Keine krampfhaften Bezüge zur Aktualität, stattdessen gelassen-präzise Personenführung selbst im Gewimmel des Lever. Erstmals in Salzburg hat man, auf Wunsch des für Zubin Mehta eingesprungenen Franz Welser-Möst, sämtliche Striche aufgemacht, mit denen einst die Zensur auf die erotischen Prahlereien des Baron Ochs reagierte. Der wird so zum Kraftzentrum der Oper – was sich auch der Präsenz von Günther Groissböck und seinem agilen, sauber geführten Bass verdankt. Seinen Widersacher gibt Sophie Koch als viril-ungeduldigen, stimmlich klaren Octavian, während Mojca Erdmann als Sophie in der Höhe eng und insgesamt zu leise klingt. Ein Wunder aber ist Krassimira Stoyanova in der Rolle der Feldmarschallin. Weit und mühelos textverständlich schwingen ihre Phrasen aus, vollendet frei strömt der Klang, ihre Piani tragen selbst in dem riesigen Saal. Dabei helfen ihr die Wiener Philharmoniker, die unter Welser-Möst im hochgefahrenen Graben ihrem einzigartigen Ruf alle Ehre machen: Einen so artikulierten, sinnlichen Strauss hört man selten, flexibel in der Sängerbegleitung und nur hin und wieder etwas zu präsent.

Wenn sich im „Rosenkavalier“ Literatur und Musik auf Augenhöhe begegnen, so ist Verdis „Il trovatore“ das ganze Gegenteil. Tragische Verwechslungen und hanebüchene Zufälle – aus derlei typischen Verdi-Zutaten haben eben Salvadore Cammarano und Leone Emanuele Bardare das Libretto angemischt. Regisseur und Bühnenbildner Alvis Hermanis erzählt das Stück gut verständlich. Das ist schon viel – doch für den großen Jubel sorgt Anna Netrebko als Leonora fast allein. Ihr Timbre ist deutlich dunkler und schwerer geworden, und mit diesem Rolls-Royce von Stimme bewältigt sie das technisch aberwitzige Terrain ihrer Partie ohne jede Mühe. Francesco Meli in der Titelrolle steht ihr mit Schmelz und berückendem Ausdrucksspektrum zur Seite.

Hermanis verlegt die Handlung in ein Museum. So erzählt Riccardo Zanellato als Ferrando die Geschichte von der verbrannten Zigeunerin nicht seinen Mitsoldaten, sondern eben einer Touristengruppe alias Wiener Staatsopernchor, der erfreulich farbig und präzise singt. Nach und nach ziehen die Sänger die zu den Alten Meistern passenden Renaissancekleider von Eva Dessecker an und verschwinden in den gemalten Welten.

Als Farbe dominiert allseits Rot. Rot wie die Flammen, in die die Zigeunerin Azucena einst ihr eigenes Kind warf. Marie-Nicole Lemieux hat Azucenas Drall zum Wahnsinn schon in der Stimme; ihr Vibrato überschlägt sich beinahe. Doch vom Volumen her bleibt sie hinter Netrebko zurück. Das gilt auch für Plácido Domingo, der den Luna gibt, eine Baritonpartie. Seinem Timbre fehlt das Untergeschoss, und zu Beginn klingt die Stimme zu wenig fokussiert. Szenenapplaus bekommt er trotzdem, denn bei ihm stimmt jede Phrasierung, jedes Timing. Mit der Intensität seines Spiels rettet er den vierten Akt, zu dem Hermanis nicht mehr viel eingefallen ist. Und die Wiener Philharmoniker veredeln das viele Schrumm-Schrumm der Partitur unter Daniele Gatti zu einem süffigen Klangbild, dunkler und italienischer als Welser-Möst beim „Rosenkavalier“.

Verena Fischer-Zernin

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