Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


Portrait

Mammon in Strapsen

»Jedermann« als Rockoper auf den Erfurter Domstufen

Flotte Rhythmen, satter Sound, bunt und imposant das Bühnengeschehen – wenn das nichts für jedermann ist! Nur die Genrebezeichnung ist ein wenig irritierend. Die Erfurter Domstufen-Festspiele haben für ihre diesjährige Ausgabe eine Rockoper in Auftrag gegeben – nach Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“. Der Bildungsbürger weiß: jenes Werk, das traditionsreich bei den Salzburger Festspielen ebenfalls unter freiem Himmel und vor grandioser Kulisse gegeben wird – mit den ganz Großen der deutschsprachigen Schauspielzunft. Und der Bildungsbürger eilt herbei aus allen Winkeln der Republik, um diesen Jedermann nun singen zu hören und irgendwie auch tanzen zu sehen.
Wolfgang Böhmer hat die Musik geschrieben und Peter Lund, der auch Regie führte, entwickelte aus Hofmannsthals Theater ein Libretto. Ob das nun eine Rockoper ist, darüber lässt sich trefflich streiten – gewiss gibt es die eine oder andere rockmusikalische Anleihe, und irgendwo hat das Ganze auch manchmal etwas Opernhaftes. Würde man aber Musical auf die Verpackung schreiben, dann würde das, was die Erfurter da aus der Taufe gehoben haben, fast schon im oberen Durchschnittsbereich dessen rangieren, was aktuell auf den Markt gespült wird.

Eher Musical als Rockoper. Foto: Theater Erfurt/Lutz Edelhoff

Die Welt der Buhlschaft, die hier Liebste heißt, atmet die Schwüle der Oper des frühen 20. Jahrhunderts – das hat gerade in schönen Kantilenen eine Menge von Korngold. Eine attraktive musikalische Aufgabe ist das allemal. Wenn Mammon in Strapsen über die Bühne hüpft, ist es nicht so einfach, nicht an Webbers Herodes oder an „Cabaret“ zu denken. Aber auch der Musical-Mainstream hat umfänglich Pate gestanden – gut zweieinhalb Stunden wollen mit Klang gefüllt sein. Nur rockig – selbst in einem weiteren Sinne – ist das eben eher selten. Artig spielen die Musiker der Band Lidenbrock unter einem kleinen Partydach, während das Philharmonische Orchester routiniert im Festzelt sitzt. Jürgen Grimm koordiniert die Klangmassen souverän. Und die Tontechnik leistet wirklich ganze Arbeit, so dass akustisch nichts stört, wenn halsbrecherisch Treppen erklommen werden, Kreuze fallen, Flammen lodern, gigantische Puppen Theater auf dem Theater auf dem Theater zelebrieren, das jüngste Gericht hereinzubrechen droht, Gott seinen Heiligenschein anknipst und so weiter.

All das gipfelt in einer sentiment-triefenden Apotheose in einem gigantischen Tableau, das klarmacht, warum man das gerade hier so machen musste – vor der Domkulisse. Bis dahin steigern sich mit dem Hereinbrechen der Dunkelheit die Effekte. Technische Perfektion ist angesagt – nicht nur, wenn der Scheiterhaufen auf der Treppe lodert oder imposante Leuchtstelen aus den Podesten auftauchen, mit denen die echten Domstufen hier und da überbaut sind.

Die Ausstattung schufen Hank Irwin Kittel (Bühne) und Ulrike Reinhard (Kostüme). Dass der Choreograf Cedric Lee Bradley die Domstufen mit einer gewissen Konsequenz zur Showtreppe werden lässt, ist eine Herausforderung für den von Andreas Ketelhut einstudierten Opernchor, die die Sänger mit bewundernswerter Kondition bewältigen. Es gibt viel zu sehen, und weil das Erstaunlichste wahrscheinlich die faszinierende Textverständlichkeit des gesamten Ensembles ist, erschließt sich das wirklich jedermann. Der Gedanke des Volkstheaters steckt im Werk Hofmannsthals ebenso wie in diesem Musiktheater. Dennoch ist es nicht verwunderlich, dass dieser „Jedermann“ am stärksten ist, wenn er eher dichter am Hofmannsthal ist. Da ist es ein Glücksumstand, dass Andreas Lichtenberger, der Jedermann dieser Produktion, nicht nur ein erstklassiger Musicaldarsteller ist, sondern seine Wurzeln im Schauspiel hat. Gesungen wird überhaupt ziemlich anständig in einem Cast überwiegend aus Musicalprofis der Oberklasse und ein paar Erfurter Ensemblemitgliedern. Brigitte Oelke als Tod darf sogar ein paar Mal ein bisschen mehr rocken.

Eine würdige Produktion in der Traditionslinie der Erfurter Domstufen ist das auf jeden Fall und ein gigantischer Erfolg beim Open-Air-Publikum.

Tatjana Böhme-Mehner

 

 

 

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner