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Berichte

Todesangst und Lebensmut

Udo Zimmermanns »Die Weisse Rose« an der Oper Köln

Diskriminierung, Unterdrückung, Willkür, Gewalt: Dagegen haben die Geschwister Scholl aufbegehrt, haben einen einsamen Kampf auf verlorenem Posten gegen das Unrechtsregime der Hitler-Diktatur gekämpft. „Es lebe die Freiheit“, sollen die letzten Worte von Sophie und Hans Scholl gelautet haben. Ein Bekenntnis, wie es nicht deutlicher hätte ausfallen können – und das sie am 22. Februar 1943 im Gefängnis München-Stadelheim mit dem Tod durch das Fallbeil bezahlten.

Als gut einstündiges Kammerspiel erzählt der 1943 geborene Komponist Udo Zimmermann die letzten Stunden im Leben der Geschwister Scholl. Das Stück für zwei Sänger und 15 Instrumentalisten läuft derzeit an der Kölner Oper in einer unter die Haut gehenden Inszenierung von Niki Ellinidou und ihrer Ausstatterin Nefeli Myrtidi. 2015 gewann die Inszenierung des jungen Regieteams den im Zwei-Jahres-
Rhythmus verliehenen Europäischen Opernregiepreis, zu dessen Juroren auch die Kölner Opern-Intendantin Birgit Meyer zählte. Sie hat nun die Chance genutzt, die Inszenierung an ihr Haus zu holen.

Wolfgang Stefan Schwaiger als Hans, Claudia Rohrbach als Sophie Scholl. Foto: Paul Leclaire

Wolfgang Stefan Schwaiger als Hans, Claudia Rohrbach als Sophie Scholl. Foto: Paul Leclaire

„Die Weiße Rose“ von Udo Zimmermann hat seit der Uraufführung 1986 bereits zahlreiche Aufführungen erlebt. Mehr als 200 sind es, eine für ein modernes Werk immer noch außergewöhnliche Erfolgsgeschichte. Das Libretto von Wolfgang Willaschek basiert auf Brief- und Tagebuchaufzeichnungen der Geschwister Scholl sowie auf Prosa und Lyrik von Dietrich Bonhoeffer, Franz Fühmann und Tadeusz Rózewicz. Es ist ein erschütterndes Dokument der Todesangst, aber auch des ungebrochenen Lebenswillens der beiden Protagonisten. Zimmermanns Partitur setzt mit schroffen Klängen und Akkorden die brutale Realität des Gefängnisses musikalisch in Szene, mit der die Gedanken- und Gefühlswelt der Geschwister Scholl als melodische Insel kontrastiert wird.

Die Premiere von Udo Zimmermanns „Weißer Rose“ wurde regelrecht umjubelt und mit zahlreichen Bravo-Rufen kommentiert. Zu Recht. Die Inszenierung ist genauso radikal auf das Wesentliche reduziert wie das Werk. Eine äußerst karge Bühne, die von nur wenigen Details gegliedert wird, bestimmt die Szene. Doch gerade in dieser Beschränkung liegt die Stärke der Produktion. Alles erhält eine besondere Bedeutung: jedes Detail, jede Bewegung, jeder Blick. Zu Beginn sieht man nur ein Wasserbecken, in das in geradezu nervtötender Weise Wassertropfen fallen. Tropfen um Tropfen, Sekunde um Sekunde. Ein Sinnbild für die verrinnende Zeit, die in dieser bis ins letzte Detail stimmigen Inszenierung zu ungeheuer starken Bildern verdichtet wird.

Die beiden Protagonisten, die längst im Halbdunkel auf der Bühne liegen, nimmt man erst im zweiten Moment wahr. Sophie und Hans Scholl, musikalisch wie szenisch brillant gespielt von Claudia Rohrbach und Wolfgang Stefan Schwaiger, lassen in der folgenden Stunde noch einmal ihr Leben Revue passieren, wobei wirklich jedes auch noch so winzige Detail – von der wie ein Fallbeil schwingenden Lichtquelle bis zu den an frühere Lebensabschnitte gemahnenden Schattenfiguren – äußerst präzise und tiefgründig mit Musik und Text abgestimmt ist.

Als Protagonisten des Kammerspiels vergegenwärtigen sie sich kurz vor ihrem Tod die Ereignisse und deren Ursachen. Das sorgt für zutiefst intensive Momente: Angst, die in einer solchen Situation nur zu verständlich ist, wechselt mit visionären Passagen. Rohrbach und Schwaiger verleihen ihren Figuren eine großartige Plastizität: szenisch mit ihrem außergewöhnlich dichten Spiel, musikalisch mit einer phänomenalen Beherrschung und sehr berührenden Gestaltung ihrer an vokalen Grenzbereichen nicht armen Partien.

Die Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose wurden 1943, im Geburtsjahr Udo Zimmermanns, verurteilt und hingerichtet. Zimmermanns Musik deutet die Geschichte der Geschwister Scholl mit einer erschütternden Intensität, der die Musiker des Gürzenich Orchesters unter der Leitung von Arne Willimczik mit unerbittlicher Präzision und enormem Nachdruck Gehör verschaffen. Insgesamt verleiht die Kölner Aufführung diesem „Stück gegen Gleichgültigkeit“ eine szenisch wie musikalisch neue Dimension, wie sie zudem aktueller kaum ausfallen könnte.

Guido Krawinkel

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