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Berichte

Monumentale Klage gegen den Krieg

Gemeinsames Chorprojekt: Benjamin Brittens »War Requiem«

Zwei Soldaten feindlicher Armeen treffen sich in der Unterwelt. „Ich bin der Feind, den Du getötet hast, mein Freund“, sagt der eine. „Lass uns jetzt schlafen“, beschließen beide. Wenn nicht Maschinen kämpfen, sondern Menschen einander gegenüberstehen, dann ist Versöhnung vielleicht möglich. Freilich: Im Massengrab, in das uns der englische Dichter Wilfred Owen in dieser absurden Szene mitnimmt, kommt die Einsicht zu spät: Die Botschaft wird nie erzählt werden.

Es sind Passagen wie diese, voll von Traurigkeit, die Benjamin Brittens „War Requiem“ zu einem erschütternden Werk machen, wie es kaum ein zweites gibt. 1962 wurde es in der kurz zuvor neu eingeweihten Kathedrale zu Coventry uraufgeführt, an einem Ort also, der nach sinnloser Zerstörung durch deutsche Waffen im Zweiten Weltkrieg viele Jahre lang Ruine geblieben war. Heute sind weltweit 160 Zentren im Gedenken an die Katastrophe von Coventry und im Geist der Versöhnung miteinander verbunden. Ihr gemeinsames Symbol ist ein Kreuz, dessen erste Exemplare aus Nägeln verbrannter Dachbalken der Kathedrale erstellt wurden: das Nagelkreuz.

Diese monumentale (An-)Klage an den Krieg, das „War Requiem“, im Konzertsaal erleben zu können, ist ein Privileg. In einer Mammutbesetzung von 235 Chorsängerinnen und Chorsängern, Kindern und Orchestermusikern samt dreier Solisten machte das Anhaltische Theater Dessau dies am Ewigkeitssonntag möglich. Seit einigen Jahren gibt es zum letzten Sonntag des Kirchenjahres diese Tradition eines geistlichen musikalischen Impulses im konzertanten Raum – durchaus nicht selbstverständlich für eine Region, in der kaum 15 Prozent der Menschen der Kirche angehören.

Wenn nicht Maschinen kämpfen, sondern Menschen einander gegenüberstehen, dann ist Versöhnung vielleicht möglich.

Die Leitung hatte in seiner ersten Spielzeit Generalmusikdirektor Markus L. Frank, der mit seinen Kollegen (Sebastian Kennerknecht – Chor und Extrachor des Anhaltischen Theaters; Dorislava Kuntscheva – Kinderchor des Theaters; Martin Wagner – Opernchor Magdeburg und Magdeburger Singakademie) das Ensemble in aller auskomponierten Zersplitterung beisammen hielt – selbst beim 7/4-Takt des gespenstischen Marsches im „Dies Irae“. Besonders hervorzuheben ist dabei die Kooperation mit dem Magdeburger Opernhaus, die mit der Aufführung von Verdis Requiem in Magdeburg begonnen hatte und in den kommenden Jahren fortgeführt werden soll.

Die Aufführung zu sehen und nicht nur zu hören, war auch deshalb ein Erlebnis, weil so die drei Ebenen des Werkes transparent wurden: Grundlage der wohl wichtigsten Komposition von Britten ist eine moderne, frappierende Vertonung des lateinischen Requiems, die sich durchaus an Verdis Requiem anlehnt. Großer Chor, Orchester und Iordanka Derilova mit strahlendem Sopran verkündeten in einer wahren Materialschlacht Jubel, Schrecken, Verzweiflung, aber auch Hoffnung. Trotz schroffer Tonsprache und dem sich in die Gehörgänge brennenden Tritonus der Glocken war dies noch die „vertraute“ Schicht der Komposition.

Demgegenüber stehen in Klang gefasste Gedichte von Wilfred Owen (1893-1918), der im Ersten Weltkrieg gefallen war. Seine Texte besingen in grausamer Schönheit den Abgrund des Krieges in den Schützengräben; sie wurden in Dessau vorgetragen in klarer Diktion und klanglich in höchstem Maße gefordert von Ray M. Wade (Tenor) und Wiard Witholt (Bariton). Den Solisten stand ein eigenes Kammerorchester zur Seite, das Britten oft alternierend zum großen Orchester einsetzt. Immer wieder verschmelzen beide aber zu einem Satz von beispielloser Dichte, als musikalisches Pendant zur Verbindung der Textschichten.

Dieser „englische“ Teil des „War Requiems“ gipfelt in der verzweifelten Revision einer Bibelszene: Der verstockte Abraham tötet entgegen dem Ratschlag Gottes seinen Sohn Isaak und vernichtet mit der Jugend auch die Zukunft seines Geschlechts – und die Hoffnung. Schließlich schwebte als dritte Ebene über dem Geschehen in makelloser Intonation der aus dem Rangfoyer singende Engelschor der Kinder, in jenseitiger, aber auch emotionsloser Reinheit. Ganz am Ende des Werkes, im letzten Akkord, scheint versöhnendes F-Dur auf. Ein Licht-strahl, aber nur ein kleiner. Lange, ergriffene Stille im Publikum. Dann gewaltiger Applaus.

Johannes Killyen

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