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Berichte

Sechzig Multitalente

Henry Purcells „King Arthur“ am Gärtnerplatztheater

Künstlerisch stupend, dass Henry Purcell schon 1691 kein pompös donnerndes Staatsopernwerk über den bis heute verklärten Nationalhelden Artus schuf, sondern eine „semi-opera“: eine bunte Mischform aus oft elektrisierenden Instrumentalnummern, gefühlvollen Arien, viel Theatermaschinenzauber, populären Tanzeinlagen, vielfältigem Chorgesang und Sprechszenen – prompt bot das Gärtnerplatztheater Chorsänger, Solisten, Performer, Tänzer? Nein, sechzig Multitalente in stetiger Aktion auf einer schrägen Spielfläche, deutscher Text, englischsprachiger Gesang – das Ergebnis war Münchens spektakulärster Musiktheaterabend.

Schon Purcell formte eine Feier humaner Herrschaft und daraus erwachsenden liebevollen Besitzens. Genau da setzte die grundlegende Bearbeitung des Teams um Regisseur Torsten Fischer, Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos (Dramaturgie, Bühne und Kostüme) sowie Karl Alfred Schreiner (Choreografie) an. Im Zentrum die „Menschwerdung“ dreier Hauptfiguren: König Arthur muss durch Gefahr und Verlustahnung zu Liebe und Zartheit finden; der rivalisierende König Oswald muss erleben, dass Machtgier und daraus resultierende Brutalität ihn scheitern lassen; die von beiden geliebte Emmeline ist zunächst blind – erst durch zart-demütige Liebe wird sie im zweiten Teil „sehend“. Wie „nahe“ diese 400 Jahre alten Inhalte sind, belegte Regisseur Fischer: Die derzeit aktuelle Erfahrung von Gewalt, Krieg und Tod ließ ihn ein Zitat aus „The End“ von den „Doors“ einfügen. Zentral eine weitere Parallele: Da Librettist John Dryden die gleichen Wörter verwendete, leuchtet auf der schrägen Spielfläche von Anfang an in weißer Schrift „Imagine“ – und Emmeline zitiert dann Zeilen aus John Lennons Song-Vision einer „himmlisch“ humanen Welt.

Foto: Marie-Laure Briane

Foto: Marie-Laure Briane

Im schwarzen Raum der Reithalle begann all dies historisierend: Im Schreitrhythmus der Eröffnungsmusik – Marco Comin und das Gärtnerplatzorchester unsichtbar hinter der Spielfläche – traten schwarz gewandete Herrschaften mit Falt-Krausen des elisabethanischen Zeitalters auf, streiften Kostümteile ab und dann weitete sich alles zeit- und grenzenlos: Solisten, Performer, Chor (exzellente „Sing-Spiel“-Einstudierung: Felix Meybier) und Tänzer verschmolzen zu einem bruchlos einheitlichen Ensemble. Liebes-Rivalität, „Heiliger Krieg“ (zu dem von „Absolutismus“ bis „Zentralismus“ alle „-ismen“ auf die Spielfläche und das Körpergetobe projiziert wurden), Siegesgestampfe, Vergewaltigung, Tod, Klage und Elend wechselten mit der musikdramatischen Vielfalt Purcells. Zum Finale des ersten Teils wird „kind possession“ erhofft und Emmeline vor einer gleißenden Sonne im Hintergrund sehend (atemberaubend mittanzend und anrührend spielend: Judith Rosmair).

» Lebendig ist, wer wach bleibt
Sich dem anderen schenkt
Das Bessere hingibt
Niemals rechnet …
Und nicht aufhört zu lieben. «
Luigi Nono (»Intolleranza«)

Diesem Höhepunkt folgte ein ebenso starker zweiter Teil. Arthur (fesselnd bullig viril Simon Zigah), Emmeline und Oswald wurden durch ein Wechselbad erschreckender Gefühle gejagt. Höhepunkt: als Emmeline vor einem Berg schwarzer Müllsäcke die Kälte der Welt beklagte, öffneten schwarze Geister die Säcke und an der vorderen Spielkante stauten sich die herausrollenden weißen Kugeln zu Englands Meer, aus dem verführerische Tanz-Geister in Glitzerkostümen auftauchten und Arthur in eine turbulente Lusthölle verwickelten. Regisseur Fischer entschied nicht, ob Emmeline sich eindeutig Arthur oder Oswald zuwendet; alle waren am Ende nur zu einer Bootsgemeinde auf Fahrt durch die Welt vereint – und Fischer wagte seine dritte Einfügung: Emmeline zitierte den Eröffnungschor aus Luigi Nonos „Intolleranza“: Purcells Traumspiel geweitet zur theatralisch überbordenden Vision für ein besseres Morgen – gefeiert mit stürmischem Jubel.

Wolf-Dieter Peter

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