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Berichte

Der Gang ins Innere

»Die tote Stadt« in Dresden, »Der ferne Klang« in Lübeck

Tote Stadt, ferner Klang – die Dinge scheinen sich irgendwo in der Nebelferne der Randbereiche des Bewusstseins abzuspielen. Man muss sie erlauschen, zu ihnen in die Tiefe dringen. Mit besonderer Vorliebe war man am Beginn des 20. Jahrhunderts mit solchen Reisen beschäftigt. Literarischer Symbolismus, Träume und Traumdeutung, Tiefenpsychologie hießen die Stichworte. Musikalisch verlangte der Gang ins Innere allemal den Rausch und die Farbenpracht des spätromantisch überraffinierten Orchesterklangs, und wenn die Opernhandlung ein wenig Glitzer hatte, kam gern auch dies und jenes moderne Einsprengsel aus der Unterhaltungsbranche vor. Im Theater Lübeck und an der Dresdner Semperoper hatten zwei exemplarische Werke aus dieser musikalisch-gedanklichen Richtung kürzlich Premiere. Jochen Biganzoli inszenierte Franz Schrekers „Der ferne Klang“ in der Hansestadt, an der Elbe kam „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold in der Regie von David Bösch heraus.

„Die tote Stadt“ in Dresden mit Manuela Uhl als Marietta, Burkhard Fritz als Paul. Foto: David Baltzer

„Die tote Stadt“ in Dresden mit Manuela Uhl als Marietta, Burkhard Fritz als Paul. Foto: David Baltzer

„Der ferne Klang“ wurde noch vor dem Ersten Weltkrieg in Frankfurt am Main mit großem Erfolg uraufgeführt, „Die tote Stadt“ erlebte gar eine Doppel-Uraufführung 1920 in Köln und Hamburg während der künstlerisch innovativen Jahre der Weimarer Republik. Beide Komponisten hatten nicht nur mit diesen beiden Opern sensationelle Erfolge – bis 1933. Der in Monaco geborene, in Wien aufgewachsene jüdische Musiker Franz Schreker wurde 1932 von den Nazis genötigt, als Direktor der Berliner Musikhochschule zurückzutreten, die Uraufführung seiner Oper „Der Schmied von Gent“ wurde für einen antisemitischen Skandal genutzt. Schreker starb 1934 in Berlin. Erich Wolfgang Korngold, ebenfalls Wiener, ebenfalls jüdischer Herkunft, als Wunderkind und jugendliches Genie besonders für das Frühwerk „Die tote Stadt“ in alle musikalischen Himmel gehoben, folgte 1934 einer Einladung Max Reinhardts nach Hollywood und blieb dort als ein Teil des gewaltigen intellektuellen Transfers von Deutschland nach Amerika. Er war der Begründer der gewaltigformatigen Filmmusik, deren Tradition mindestens bis John Williams reicht. Korngold verdiente glänzend, feierte Erfolge, gewann zwei Filmmusik-Oskars und kehrte doch 1946 zur sinfonischen Musik zurück – weitgehend ohne Erfolg.

Hier trifft das Schicksal seines Werkes wieder auf dasjenige der Musik Schrekers, auch Zemlinskys. All diesen Komponisten wurde zweimal der künstlerische Lebensfaden abgeschnitten: 1933 durch den Nationalsozialismus, aber auch nach 1945 durch das, was in West wie Ost musikalischer Fortschritt hieß. Morbide Phantasien in spätestromantischer Klanghülle passten hier wie dort nicht in die kulturpolitische Richtung. Richard Strauss war immer die Ausnahme.

Erst in den frühen 70er-Jahren setzte, zuerst im Westen, dann zaghaft auch im Osten und später auch im Zusammenhang mit der Wiederentdeckung der „entarteten Musik“ verfolgter und ermordeter jüdischer Komponisten, eine Renaissance der Opern des frühen 20. Jahrhunderts jenseits der Zweiten Wiener Schule ein.

Inzwischen gehören beispielsweise die Hauptrollen Paul und Marietta aus der „Toten Stadt“ wieder zu den gängigen Partien der reisenden Opernstars, Schreker, Korngold, Zemlinsky werden reichlich gespielt. Man liebt es wieder, das Opulente um die seelischen Abgründe.

Die tote Stadt ist allerdings ein ganz konkreter Ort: Brügge, „Bruges-la-Morte“ aus Georges Rodenbachs gleichnamigem Roman. Dorthin hat sich der Witwer Paul zurückgezogen, um seine Zeit mit dem Andenken an seine tote Frau Marie zu verdämmern. Er trifft auf Marietta, die der Toten äußerlich ähnelt. Ihre lockere Lebensfreude und provozierende Unlust am Totenkult treiben Paul zum Mord an ihr. Oder hat er es nur geträumt? – Im vorletzten Bild der Oper verabschiedet sich Marietta nach ihrem ersten Besuch bei Paul sehr artig und quicklebendig. David Böschs Regie lässt daran keinen Zweifel, dabei wäre man als Zuschauer in diesem Fall doch lieber irgendwie im Ungewissen geblieben, hätte darüber nachdenken mögen, wieviel Trauer das Leben wirklich aushält. Großartige Sänger heldischen beziehungsweise dramatischen Zuschnitts, Burkhard Fritz und Manuela Uhl, füllten das Dresdner Opernhaus, schafften es sogar, mit lyrischen und gedämpften Tönen das gewaltig auftrumpfende Orchester zu überglänzen. Dmitri Jurowski, der dritte aus der Jurowski-Dirigentendynastie, schwelgte in der Klangpracht der „Wunderharfe“ Dresdner Staatskapelle. Das jugendliche Genie Korngold traf auf den jungen Jurowski: brillantklare Organisation eines musikalischen Rauschs.

„Der ferne Klang“ mit Gerard Quinn als Dr. Vigelius, Cornelia Ptassek als Grete und dem Chor des Theaters Lübeck. Foto: Steffen Gottschling

„Der ferne Klang“ mit Gerard Quinn als Dr. Vigelius, Cornelia Ptassek als Grete und dem Chor des Theaters Lübeck. Foto: Steffen Gottschling

Jochen Biganzoli schaffte es im Theater Lübeck, Schrekers musikalische Seelenreise mit dem modernen Theater zu erden. Fritz liebt Grete, das süße Wiener Mädel mit dem versoffenen Vater und der hilflosen Mutter, doch er verlässt sie, das ganze Elend durchaus sehend, um seinen phantasmagorischen „Fernen Klang“ zu suchen. Dieses Bild inszeniert Biganzoli, als sei es ein Drama von Gerhart Hauptmann. Grete wird Star in einem Edelbordell in Venedig, in einer Pseudo-Welt, die es eigentlich gar nicht gibt. Wir sehen gleißende Glitzervorhänge, Glaskästen mit Grete darin als Ausstellungsstück in einer Vitrine – eine bildgewordene Amüsierhölle und Männerphantasie, die bis in die Pausen-Foyers ausufert. Fritz taucht auf, begehrt sie und verstößt sie ihrer Profession wegen abermals. In der dritten Begegnung der beiden ist er ein erfolgloser Opernkomponist und sie eine Straßenhure. Endlich finden beide zueinander und Fritz kann seinen phantastischen Klang musikalisch festhalten. Dass er in ihren Armen stirbt, wird im Schlussduett konzertant dargeboten. Künstlerreise als Reise durch Theaterformen, sehr spannend. Andreas Wolf hat aus dem Lübecker Orchester all die diffusen Farbmischungen, die sentimentalen und schrägen Klänge herausgeholt, die Schrekers Musik zum Nervenkitzel machen. Und Biganzoli hat nicht versäumt, Chor und Extrachor gehörig ins Spiel zu bringen.

  • Franz Schreker: „Der ferne Klang“, ML: Andreas Wolf, R: Jochen Biganzoli, Theater Lübeck, Premiere am 21.10.2017
  • Erich Wolfgang Korngold: „Die tote Stadt“, ML: Dmitri Jurowski, R: David Bösch, Semperoper Dresden, Premiere am 16.12.2017

Irene Constantin

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