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Berichte

Oper unter der Maske

Premieren in Cottbus und Magdeburg

Von Produktion zu Produktion, von Vorstellung zu Vorstellung ein Drahtseilakt: Oper spielen trotz „Corona“. Die kleineren und mittleren Häuser, deren Bühnen nicht eben riesig sind, müssen besonders achtsam sein. Umso herzerwärmender, wenn am Ende so gelungene Aufführungen gezeigt werden können wie in Magdeburg oder in Cottbus.

Kihoon Han (Orlik) und Ulrich Schneider (Kotschubej) in „Mazeppa“ in Cottbus. Foto: Marlies Kross

Kihoon Han (Orlik) und Ulrich Schneider (Kotschubej) in „Mazeppa“ in Cottbus. Foto: Marlies Kross

Andrea Moses hat am Staatstheater Cottbus Tschaikowskis „Mazeppa“ inszeniert. Der schon weißhaarige Mazeppa liebt Maria, die junge Tochter seines Freundes Kotschubej. Sie liebt ihn ebenfalls, aber Kotschubej weist den Brautwerber brüsk ab. Rachegedanken türmen sich zu politischen Denunziationen, zu Folter, Mord und Wahnsinn auf. Moses stellt die Frage, warum die Leute über wenig mehr als eine ungewöhnliche Liebschaft derart aus der Fassung geraten. Sie verlegt die Geschichte um den ukrainischen Kosakenhetman ans Ende des 20. Jahrhunderts. Wende in Deutschland, Niedergang des Ostblocks, Zerfall der Sowjetunion. Altkommunisten kämpfen gegen neureiche Oligarchen, das Volk wird vielfach enteignet, Warlords suchen in unfassbaren Kriegen den Weg zur Macht.

Bild für Bild im gut zweistündigen, pausenlosen Abend gucken die etwa 100 im Saal verteilten Zuschauer sich selbst vor 30 Jahren zu. Der Chor, in Alltagskleidung auf dem ersten Rang platziert und per Video sichtbar, sieht Bilder und Zitate aus der damaligen Zeit, kommentiert Befindlichkeiten, schwelgt auch in Erinnerungen an das „Davor“.

Wenn das Volk direkt an der Handlung teilnimmt, spielt der Chor auf der Bühne inbrünstig mit. Wird es eng, tragen Chorsänger und Solisten Masken. Es wird – maskiert – gespielt. Öffnet sich genügend Raum, singt man ohne die Maske. Lediglich Mazeppa selbst, der Bariton Andreas Jäpel mit bewährten vokalen Qualitäten, aber eher mürrischer Ausstrahlung, zeigt keinen Moment sein Gesicht. Der Mehrheit der Solisten, Ulrich Schneider als Kotschubej, Dirk Kleinke total tuntig als betrunkener Kosak, der wunderbaren Kim-Lillian Strebel als Maria, Alexey Sayapin als Andrej merkt man die Freude an, sich wieder zu zeigen, wieder singen und spielen zu dürfen. Andrea Moses allerdings hat nach eigener Aussage bei diesem schwierigen Corona-Inszenierungs-Balanceakt einige Nerven gelassen.

Am meisten, so Chordirektor Christian Möbius, freute sich der Chor, wieder in der vertrauten Gemeinsamkeit singen und auf der Bühne spielen zu dürfen. Neue und generalüberholte Luftfilteranlagen boten neben den Masken ein hohes Maß an Sicherheit. Der neue Cottbuser Intendant Stephan Märki will, so sagt er, alles daran setzen, die geplanten Produktionen auch zu realisieren.

Nebenbei: Der Raumklang eines auf dem Rang verteilten Chores ist durchaus nicht zu verachten. Auch ein reduziertes Tschaikowski-Orchester hat seine Qualitäten. Die Musik wirkt viel moderner als gewohnt.

Die Oper Magdeburg eröffnete mit Mozarts „Titus“. In dieser späten Seria stört sich kein Mensch daran, wenn die einzelnen Arien in einsamer Pracht an der Rampe gesungen werden. Regisseur Dietrich Hilsdorf hat aber auch das Kunststück fertiggebracht, in Duetten und Ensembles den vorschriftsmäßigen Abstand zwischen den Sängern vergessen zu machen, wenn sich die Figuren in allen Gefühls-Farben nacheinander verzehren, sich zueinander biegen, sehnsüchtig die Arme strecken.

„Nichts hören – nichts sehen – nichts sagen“: „Zigeunerbaron“ in Magdeburg mit Anders Kampmann, Tänzern und Susi Wirth. Foto: Nilz Böhme

„Nichts hören – nichts sehen – nichts sagen“: „Zigeunerbaron“ in Magdeburg mit Anders Kampmann, Tänzern und Susi Wirth. Foto: Nilz Böhme

Auch hier eine reduzierte Instrumentalbesetzung von der Orchesterchefin Anna Skryleva. Dass Mozart die Holzbläser besonders liebte, war dennoch stets zu hören, und so bot denn auch der Klarinettist des ersten Aktes die instrumentale Glanzleistung des Abends.

Ebenfalls in Magdeburg Charles Gounods Oper „Roméo et Juliette“. Bei aller fast symbiotischen Liebe hat Regisseurin Karen Stone Julia und Romeo als sehr eigenständige und differenziert geformte Charaktere herausgearbeitet. Er ist hin- und hergerissen zwischen vernünftiger Einsicht und handgreiflichem Temperament. Sie ist selbstbewusst, anfangs durchaus etwas kokett, später aber trägt sie ihr liebendes Herz naiv und freimütig auf der Zunge. Arthur Espiritu und Raffaela Lintl sind zwei Sängerdarsteller, die diese Sicht auf die Figuren nahezu ideal verkörpern. Leider dürfen sie in Stones Inszenierung einander nicht berühren, solange sie leben, was hier etwas überkonzipiert und „coronahaft“ wirkt. Der Musik steht dieses peinliche Abstandhalten vollends entgegen. Das Paar badet förmlich in nicht weniger als vier Liebesduetten – aber eben im Social Distancing.

Den Chor hat die Regisseurin im Vorspiel am Grab der Liebenden in der Tiefe der Bühne gruppiert, später sang er, allerdings ohne mitzuspielen, vom Rang aus. Die besondere Herausforderung dieser Inszenierung bestand in den zahlreichen, von Multitalent Johannes Wollrab (Sänger des Mercutio) choreografierten atemberaubend sportiven Fechtszenen. Vom Vorspiel bis zum letzten Akt fliegen die Degen. Dass sich die Kämpfer maskieren, gehörte ganz zwanglos zu Szene und Kostüm.

Wie in „Mazeppa“ ist der Chor im „Zigeunerbaron“ essentieller Handlungsträger. In der Magdeburger Strauß-Operette gibt es indes keine Puszta, kein Zigeunerlager, kein verfallenes Schloss, keinen Schweinebauernhof. Dafür hat Bühnenbildner Pascal Seibicke ein Kellertheaterchen mit Rüschenvorhang und kleinen Tischen gebaut, die Revuebühne im „Club der Affen“. Dort probt man den „Zigeunerbaron“. Natürlich in Kostümen, die in diese verrucht-glamouröse Lokalität passen. Die Zigeunerinnen tragen wildbunte Rüschenkleider, eine Conférencière hauptsächlich Zylinder und lange Beine, die Männer Glitzeranzug oder Operettenzigeunerfolklore. Unterm Gouvernantenkleid finden sich Strapse, Odile und Odette erscheinen als skurrile Spitzentanz-Einlage, der Wiener Walzer ist ein Männerballett. Und immer wieder wuseln die drei Affen „Nichts-hören-nichts-sehen-nichts-sagen“ durch die Szene. Als Krönung erscheint die großartig spielend-singende Noa Danon als Saffi zum Schluss mit Glitzerkrönchen und in Unmassen weißer hochzeitlicher Seide. Überhaupt ist vornehmlich witzige Übertreibung für Regisseur Tobias Heyder ein wichtiges Stilmittel. Der geschickt ins szenische Abseits inszenierte Chor singt wiederum hinter der Bühne. Sichtbar präsentieren sich die Zigeuner aber trotzdem. Vier leichtgeschürzte Tanzpaare, vornehmlich auf der Revue-Treppe beschäftigt, erzeugen auf der Bühne in vielfachen Auftritten tatsächlich eine gewisse Fülle. Alle maskiert, das versteht sich.

Irene Constantin

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