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Editorial

Wellenbewegungen

Im Juni diesen Jahres habe ich über die hoffnungsspendenden Entwicklungen im Kulturbetrieb berichtet. Ich nannte Beispiele, wie Kulturschaffende ihre Kreativität noch weiter angezapft haben als sie es ohnehin jeden Tag tun, wie sie neue Einstudierungs- und Darstellungsformen erfunden haben. Zu diesem Zeitpunkt war der erste Shutdown hinter uns gebracht, das Infektionsgeschehen schien kontrolliert und der Sommer lag mit dem Ausblick auf Freiluft-Veranstaltungen vor uns. So konnte der Kulturbetrieb langsam aber sicher wieder an Fahrt aufnehmen.

Gerrit Wedel. Foto: Charlotte Oswald

Gerrit Wedel. Foto: Charlotte Oswald

Die ersten zaghaften Entwicklungen hin zu einem Wiedererstarken der Kulturlandschaft sind mit dem Beginn der kalten Jahreszeit, den beunruhigend gestiegenen Infektionszahlen und dem aktuellen Wellenbrecher-Shutdown nun wieder im Keim erstickt. Damit fällt auch die sonst kulturell besonders reichhaltige Vorweihnachtszeit wahrscheinlich weitgehend aus. Ohne Oratorien, ohne Adventssingen, ohne Weihnachtsmärkte, ohne Hänsel & Gretel und ohne Nuss-
knacker – es wird für viele Menschen nicht dasselbe sein.

Man kann sicherlich darüber streiten, ob der Shutdown in dieser Form tatsächlich notwendig ist, insbesondere angesichts der umfangreichen Bemühungen um Gefährdungsbeurteilungen, Hygienekonzepte und allen weiteren Sicherheitsvorkehrungen. Und es sind auch noch keine Ansteckungen im Kulturbetrieb nachgewiesen worden. Ja es wird zum Teil davon gesprochen, dass es sicherer sei, ins Theater zu gehen als zum Einkaufen. Kann man das wirklich bestimmt wissen?

Jedenfalls gibt es erhebliches Verbesserungspotenzial hinsichtlich der Absicherung und Entschädigung von Kulturschaffenden, den kulturellen und gastronomischen Einrichtungen und vielen anderen besonders betroffenen Bereichen. Hier müssen zuverlässig Wege gefunden werden, die Betroffenen auch tatsächlich schnell und unbürokratisch zu erreichen, bevor unumkehrbare Schäden eingetreten sind.

Was uns trägt, ist Hoffnung und Zuversicht. Im Juni war es der Sommeranfang, jetzt sind es Ereignisse, die in weiterer Ferne liegen. Gute Kulturnachrichten waren rar in den letzten Wochen und Monaten, aber es gibt Lichtblicke: Chemnitz wird Europäische Kulturhauptstadt 2025! Die Stadt, die im August und September 2018 international traurige Berühmtheit erlangte, als die Tötung eines Mannes Ausschreitungen durch Rechtsextreme nach sich zog. Ein Konzert unter dem Motto „Wir sind mehr“ als Antwort auf Gewalt und Fremdenfeindlichkeit war die Initialzündung für die Bewegung #wirsindmehr. Entwicklungen, die ohne die Chemnitzer (Sub)Kulturszene nicht denkbar sind.

Ein schöner Beweis, wie Musik und Kunst und Kultur politische Wirkung entfalten können. Chemnitz als Europäische Kulturhauptstadt 2025 ist 35 Jahre nach der Wiedervereinigung als Chance für die ganze Region zu sehen. Und weil wir dann, aller – noch so zögerlichen – Voraussicht nach, das Thema Covid19 hoffentlich tatsächlich für erledigt erklären können.

Die Wissenschaftsjournalistin und Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim ist anlässlich des Jahrestags der Wiedervereinigung unter dem Motto «Vereint und füreinander da» gemeinsam mit Christian Drosten, dem Pianisten Igor Levit und weiteren zwölf Personen mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Die Verleihung an Levit ist auch ein Zeichen für die Bedeutung der Kultur in diesen Krisenzeiten – während des ersten Shutdowns im März und April spielte Igor Levit jeden Tag ein Live-Konzert.

Mai Thi Nguyen-Kim wurde von Kanzlerin Merkel jüngst in ihrer Regierungserklärung zur bildhaften Erläuterung der Entwicklung des Virus mit den folgenden Worten zitiert: „Nee, Virus, hast du denn gar nichts aus der Evolution gelernt? Da haben wir Menschen ja schon mehrfach gezeigt, dass wir verdammt gut darin sind, uns in schwierigen Situationen anzupassen. Wir werden dir zeigen, dass du dir den falschen Wirt ausgesucht hast.“

In diesem Sinne hoffen wir auf ein baldiges Zurückkehren zu einem sicheren Betrieb der Kulturinstitutionen, die „Orte der Begegnung, des Diskurses, der Bildung und Aufklärung, aber auch des ästhetischen Genusses“ sind, wie es in dem offenen Brief der Berliner Kultureinrichtungen zur aktuellen Situation heißt. Und weiter: „Der Besuch dieser öffentlichen Räume ist für viele Menschen existenzieller Teil des gesellschaftlichen urbanen Lebens und für dessen Zusammenhalt substanziell. Die demokratische Gesellschaft bildet sich durch kulturelle Teilhabe. Das Gemeinschaftserlebnis der künstlerischen Darbietung bildet ein Gegengewicht zur steigenden Belastung der sozialen Isolation.“

Gerrit Wedel

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