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Kulturpolitik

Auf ein Wort mit Tamas Detrich, Intendant des Stuttgarter Balletts

Im Gespräch mit Stefan Moser und Barbara Haack

Tamas Detrich ist Amerikaner ungarischer Herkunft. Nach seinem Abschluss an der John Cranko Schule in Stuttgart, wurde er Mitglied des Stuttgarter Balletts, 1980 Solist und ein Jahr später Erster Solist. Viele bedeutende Choreographen kreierten Rollen für ihn. Zu Beginn der Spielzeit 2001/2002 wurde Detrich, zusätzlich zu seiner Tätigkeit als Tänzer, Ballettmeister beim Stuttgarter Ballett. Im Jahr 2004 ernannte Ballettintendant Reid Anderson ihn zum Stellvertretenden Künstlerischen Leiter des Stuttgarter Balletts. 2009 wurde er Stellvertretender Ballettintendant. Im Juli 2015 wurde Tamas Detrich vom Verwaltungsrat der Staatstheater Stuttgart einstimmig zum Nachfolger Reid Andersons gewählt; seit der Spielzeit 2018/2019 ist er nun Ballettintendant. Stefan Moser und Barbara Haack sprachen mit ihm für „Oper & Tanz“. Als gebürtiger Amerikaner wechselt Detrich im Interview ab und zu in seine Muttersprache. Wir haben dies an einigen Stellen unübersetzt gelassen, weil seine Aussagen im Original authentischer sind.

Oper & Tanz: Sie sind seit zwei Jahren Chef des Stuttgarter Balletts, vorher waren Sie stellvertretender Chef. War es schwierig, vom Stellvertreter zum Chef zu wechseln?

Foto: Roman Novitzky

Foto: Roman Novitzky

Tamas Detrich: Es war überhaupt nicht schwierig. Ich habe zweieinhalb Jahre im Voraus gewusst, dass ich die Compagnie übernehme. Das hatte viele Vorteile für meine Planung und die Verwirklichung meiner Ideen. Ich hatte schon vorher sehr viel mit und für Reid Anderson gemacht, deshalb war die Verantwortung nicht so extrem unterschiedlich, nur jetzt trage ich die gesamte Verantwortung. Wenn ich jetzt zurückblicke: Es war ein sehr schöner Anfang, und ich bin sehr glücklich, dass es in meinem ersten Jahr kein Corona gab. Ich konnte deutlich zeigen, was und wohin ich will und an was ich glaube. Ich habe mit einem ganz klassischen Abend angefangen. Ich glaube, dass es für die Compagnie und auch für die Zuschauer die richtige Entscheidung war, den Ballettabend „Shades of White“ zu wählen. Die Compagnie sollte wissen, dass es ein Ziel ist, nicht stehen bleiben zu müssen, sondern weiter zu gehen, die Tradition aber als Basis zu verwenden.

O&T: Das ist auch Ihr künstlerisches Konzept als Ballettintendant?

Detrich: Ja, das hat sicherlich mit Tradition zu tun, von der aus wir in die Zukunft gehen. Wie gesagt: Ich habe meine erste Spielzeit klassisch angefangen. Wir sind eine internationale Ballettcompagnie, die sehr viel Modernes, Klassisches und auch alles dazwischen tanzt, aber man darf nicht vergessen, dass wir eine klassische Ballettcompagnie sind. Ein Kritiker hat mich gefragt: „Würden sie das Gleiche nochmal so machen?“ – Absolut, das würde ich.

O&T: Das war aber als kritische Frage gemeint?

Detrich: Ja. Gemeint war: „Hast du aus deinen Fehlern gelernt?“ Es war aber meiner Meinung nach kein Fehler. Das war die Linie, die ich der Compagnie zeigen wollte. Eine Linie, auf der es nicht nur ein klassisches Ballett und dann sehr viel Modernes und nichts dazwischen gibt. Es ist ein Balanceakt. Kreativ sein, neue Choreografien: Das ist absolut wichtig. Aber wir müssen zwischendurch immer wieder die Klassiker tanzen, unter anderem auch um die Technik der Compagnie aufrecht zu erhalten. Nach „Shades“ kam „Die Kameliendame“; dazwischen „One of a Kind“ von Jiří Kylián. Das war ein Traum von mir. Ich war 18, als Jiří zum ersten Mal nach Stuttgart kam, und ich war neu in der Compagnie. Weil ein Solist sich verletzt hatte, habe ich ein Solo getanzt. Für mich hat Jiří einen Platz in diesem Haus, und dass ich ihn mit einem abendfüllenden Ballett, das niemand gekannt hat, nach Stuttgart bringen konnte, macht mich sehr stolz.

O&T: Welchen Einfluss haben Ihre Vorgänger auf Ihre Arbeit?

Tamas Detrich bei der Probe. Foto: Roman Nowitzky

Tamas Detrich bei der Probe. Foto: Roman Nowitzky

Detrich: Ich habe von ihnen gelernt, 22 Jahre von Reid Anderson, 20 Jahre von Marcia Haydée. Ich habe das nicht als Druck empfunden. Ich habe Wissen von ihnen übernommen, und jetzt mache ich es so, wie ich es für richtig halte. Es war nie mein Ziel, Direktor zu werden. Aber ich habe die Gefahr gesehen, dass das Stuttgarter Ballett in eine ganz andere Richtung geht. Vielleicht hätte es dann ein anderes Stuttgarter Ballett gegeben, aber kein Stuttgarter Ballett mit der Tradition von Cranko, der die Compagnie in die Zukunft geführt und junge Choreografen aufgebaut hat.

O&T: Eine Ihrer ersten Entscheidungen war, sich vom Hauschoreografen Marco Goecke zu trennen.

Detrich: Das war eine harte Entscheidung, aber ich brauchte Platz, um junge Talente zu fördern. Jetzt ist er selbst Direktor, er kommt in dieser Spielzeit und kreiert ein neues Stück für uns. Das ist erst meine dritte Spielzeit, und er kommt zurück. Ich habe immer gehofft, dass wir wieder zusammen kommen.

O&T: Haben Sie vor, irgendwann die Position eines Hauschoreografen wieder zu besetzen?

Detrich: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass irgendwann der nächste Hauschoreograf kommt oder vielleicht auch zwei. Ich habe so viele Talente hier. Vielleicht ist das ein natürlicher Prozess. Vielleicht kommt unerwartet eine Überraschung, und am nächsten Tag sage ich: Das ist der neue Hauschoreograf. Wichtig ist, dass die jungen Choreografen kreativ bleiben, dass sie reinpassen und -wachsen. Ich versuche auch, ihnen die Möglichkeit für neue Projekte zu geben. Jetzt hat zum Beispiel ein junger Choreograf Kontakt mit dem Kunstmuseum aufgenommen und wird ein Projekt dort verwirklichen. So etwas liebe ich. Durch Corona haben wir jetzt eine „opportunity out of necessity“ gemacht. Ich habe mich gefragt: Was können wir machen? Einen Galaabend mit Solisten? Das wäre mir nicht genug gewesen! Also habe ich junge Tänzer-Choreografen zusammengeholt und gesagt: Lasst uns etwas innerhalb des Hauses machen, etwas Interessantes. Aber ohne Druck. Wir haben einen Schritt nach vorne gemacht, dann zwei und dann drei; so haben wir die ganze letzte halbe Spielzeit gearbeitet. Jetzt habe ich die Chance, mit dem Ballettabend „Response II“ fünf neue Choreografen vorzustellen.

O&T: Mit strikten Vorgaben?

Detrich: Ja, ich habe gewusst, dass wir keinen Schwanensee tanzen werden. In der letzten Saison habe ich zwei Programme mit Abstand vorbereitet. Die Vorgaben für den Abstand können sich ändern, im Moment sind es 1,5 Meter. Ein Paar, das zusammenlebt, kann einen Pas de deux tanzen. Ich habe zwei coronataugliche Programme gemacht. Ich hoffe, dass eines davon Ende dieses Monats im Schauspielhaus live gestreamt werden wird.

Erster Ballettabend der Spielzeit: „Response I. Something old, something new, something classic, something blue”. „Der sterbende Schwan“ (Choreogr: Michel Fokine) mit Anna Osadcenko; Foto: Stuttgarter Ballett

Erster Ballettabend der Spielzeit: „Response I. Something old, something new, something classic, something blue”. „Der sterbende Schwan“ (Choreogr: Michel Fokine) mit Anna Osadcenko; Foto: Stuttgarter Ballett

Man sagt, ohne Körperkontakt kann man kein Gefühl zeigen, weil dieser Kontakt unsere Kunst ausmacht. Aber nein: Du kannst in diesen Programmen die Sehnsucht nach dem Körperkontakt spüren. Und dann kommt am Ende eines langen Abends plötzlich ein Pas de deux, es ist wunderschön; es ist jemand, der ausdrückt, dass er einen anderen vermisst.

O&T: Wie sind Sie mit dem Shutdown umgegangen?

Detrich: Wir hatten eine kleine Tournee nach Friedrichshafen, dann kam der komplette Shutdown, und wir mussten zurück nach Stuttgart. Dann wurden mehrere Mitarbeiter positiv getestet, also sind wir alle (120 Tourteilnehmer) in Quarantäne gegangen. Dann haben wir angefangen, mit Zoom zu arbeiten. Ich wollte nicht stehenbleiben. Ich habe gesagt: Wir bekommen unsere Gage, also müssen wir zeigen, dass wir arbeiten. Am Anfang dachte ich: zwei oder drei Wochen, das wird nicht so schlimm sein. Dann habe ich meinen Plan geändert. Der Compagnie habe ich gesagt: „Neben dem Training müssen wir jetzt auch Proben von zu Hause aus machen. Ich stelle online Videos zur Verfügung, geht die Schritte durch, damit es schnell gehen wird, wenn wir zurück im Theater sind.“ Sie waren froh, weil sie jeden Tag eine Aufgabe hatten.

Aber die Zeit vorher, mein erstes Jahr, das war einfach sehr aufregend, sehr herausfordernd. Ich bin sehr stolz auf die Compagnie.

O&T: Was haben Sie – unabhängig von Corona – künstlerisch bewusst anders gemacht als Ihr Vorgänger?

Detrich: Ich bin mit den Choreografen, die ich eingeladen habe, meinen Weg gegangen. Ich setze eine Tradition fort, von der ich glaube, dass sie das Stuttgarter Ballett ist. Wir müssen als die Besten in der Welt tanzen. Wenn wir gut sind und fokussiert, dann sind wir die Besten. Ich habe Cranko nicht kennen gelernt, aber ich kenne viele der Tänzer, mit denen er gearbeitet hat. Ich gebe das, was ich von ihnen gelernt habe, weiter, wenn ich Proben leite und Rollen coache. Für mich ist es sehr wichtig, regelmäßig im Studio zu sein. Ich will nicht nur am Tisch sitzen, Politiker treffen und Sponsoren suchen. Ich mache das alles natürlich auch, ich kann für uns kämpfen, für das, was wir brauchen. Aber dann gehe ich ins Studio und tanke auf. Ich möchte zwei Mal in der Woche im Unterricht sein, aber das muss im Kalender stehen, sonst kommt immer etwas dazwischen. Dieser tägliche Kontakt im Studio gibt mir viel.

O&T: Haben Sie jemals daran gedacht, selber zu choreografieren oder ein Stück neu zu komponieren?

Erster Ballettabend der Spielzeit: „Response I. Something old, something new, something classic, something blue”. „Petals“ (Choreogr: Louis Stiens) mit Shaked Heller. Foto: Stuttgarter Ballett

Erster Ballettabend der Spielzeit: „Response I. Something old, something new, something classic, something blue”. „Petals“ (Choreogr: Louis Stiens) mit Shaked Heller. Foto: Stuttgarter Ballett

Detrich: Oh, nein. Früher habe ich das kurz überlegt, aber dann schlug ich eine andere Richtung ein. Als ich am Ende meiner aktiven Karriere war, habe ich für zwei Jahre einen „teacher course“ gemacht, weil ich wusste, dass ich durch Coaching etwas an die nächste Generation weitergeben will. Das hat mich total begeistert und dann ist es in dieser Richtung weitergegangen.

O&T: Sie sind nach dem Abschluss an der John Cranko Schule Compagniemitglied geworden, dann Solist, erster Solist, schließlich Intendant. Haben Sie jemals daran gedacht, woanders hinzugehen?

Detrich: Ich habe nie davon geträumt, dass ich genau hier sitzen würde, wirklich nicht. Vielleicht in den letzten paar Jahren, als ich wusste, es wird irgendwann einen Wechsel geben. Da habe ich angefangen zu kämpfen für meine Idee davon, was diese Compagnie sein soll. Reid hat mir vor vielleicht zehn Jahren gesagt: „I want to build you up to be a director.“ Er meinte, dass so oft jemand ohne Erfahrung ins kalte Wasser springt. Aber er hat am Anfang nie gesagt, dass er dabei an Stuttgart denkt. Er war auch nicht im Findungskomitee, obwohl er offensichtlich schon gesagt hat, dass ich seine erste Wahl sei. Aber im Endeffekt musste ich Überzeugungsarbeit leisten. Mein Nachteil war eher, dass ich schon so lange hier war. Vielleicht bedeutet ein Wechsel manchmal eine neue Inspiration für eine Compagnie. Aber Stuttgart ist besonders. Wir leben mit diesem „Stuttgarter Ballettwunder“. Es ist noch immer ein Wunder, dass wir heute auf diesem Niveau sind, viel weiter als früher. Aber fragen Sie mich nicht, warum es hier so besonders ist.

O&T: Genau das wollte ich fragen.

Detrich: Eine unserer jüngsten Tänzerinnen, Mackenzie Brown, hat vor Kurzem den Prix de Lausanne gewonnen. Sie hatte Angebote aus St. Petersburg, vom American Ballet Theatre, vom English National Ballet, von überall. Ich habe offen mit ihr gesprochen und gesagt: „Just follow your heart, Mackenzie.“ Denn man kann schnell verloren gehen… Es gibt dieses Gefühl in der Compagnie, dass wir zusammen arbeiten, dass wir im Team arbeiten. Das hat sie anscheinend gespürt. Das muss passen, und es passt nicht immer. Das Wichtigste ist, zu jedem Tänzer ehrlich zu sein.
Ich glaube, es hat viel mit der Cranko-Schule zu tun, weil sehr viele aus der Compagnie dort aufgewachsen sind. Wenn sie hierbleiben, bleibt auch die Tradition, obwohl es total verschiedene Menschen sind, sehr viele Nationalitäten. Unsere Sprache ist der Tanz.

O&T: Aber es kommen auch Tänzer von außen?

Detrich: Ja natürlich, und wir bemühen uns, dass sie sich wie ein Teil der Familie fühlen. Natürlich gibt es auch Eifersucht, zum Beispiel bei Besetzungsfragen. Aber ich rede mit der Compagnie und sage: „Look outside of yourself.“ Sie stellen viele Fragen in dieser Generation. Wir haben nie nachgefragt. Aber ich habe zwei Kinder und weiß, wie das ist mit den jungen Leuten.

O&T: Sie sagen, Sie müssen auch kämpfen und sich in der Politik engagieren. Haben Sie das Gefühl, dass das Bewusstsein für diese Besonderheit der Stuttgarter Compagnie auch in der Stadt und im Land präsent ist – und wird sie honoriert?

Erster Ballettabend der Spielzeit: „Response I. Something old, something new, something classic, something blue”. „Everybody needs somebody” (Choreogr: Roman Novitzky) mit Tänzer/-innen des Ensembles. Fotos: Stuttgarter Ballett

Erster Ballettabend der Spielzeit: „Response I. Something old, something new, something classic, something blue”. „Everybody needs somebody” (Choreogr: Roman Novitzky) mit Tänzer/-innen des Ensembles. Fotos: Stuttgarter Ballett

Detrich: Ja, sehr, im Land auf jeden Fall, der Ministerpräsident ist sehr offen. Er hat es ermöglicht, dass wir – mit Abstand – so schnell zurückkamen ins Studio, genau wie beim VfB Stuttgart. Als sie dort angefangen haben zu trainieren, habe ich einen Brief geschrieben: „Wir brauchen die Anerkennung, dass wir Hochleistungssportler sind, bitte helfen Sie uns.“ Er hat das unterschrieben. Deswegen kann ich jetzt mit 20 Tänzern arbeiten.

O&T: Sie haben auch ältere Choreografien auf dem Plan für dieses Jahr.

Detrich: Ja. Ich bin sehr optimistisch… Ich weiß, die „Kameliendame“ steht im Januar auf dem Programm. Ich habe gerade sehr viele Meetings darüber, wie wir das machen. Im Moment ist es nicht möglich. Aber das heißt nicht, dass es im Januar nicht möglich sein wird. Dinge könnten sich verändern, ich hoffe, zum Besseren. Ich habe lange mit John Neumeier gesprochen und gesagt: „Ich glaube nicht, dass es mit Orchester möglich ist. Würdest du überlegen, ob wir das mit Tonband und Klavier aufführen dürfen?“ Und er sagte: „I‘d never ever allow that. But, yes, yes, if you need that to dance again, I will support you.” Es ist faszinierend. Wir haben E-Mail-Kontakt unter den Direktoren aus der ganzen Welt. Es ist ein wunderbares Netzwerk. Ich habe gespürt, dass die Tanzwelt füreinander da ist.

Ich habe ein ganzes Programm in meinem Kopf, das wir machen könnten. Und es ist ein schönes Programm, aber wenn ich es ändern muss, dann ändere ich es. Mir ist es auch wichtig, das Signal an unser Orchester zu geben. Für „Response I“ habe ich den Choreografen gesagt: „Bitte sprecht mit unserem musikalischen Direktor, sucht Musik aus, die wir vielleicht live spielen können, in kleiner Besetzung.“ Wir haben alle Musiker auf der Bühne hinter einen Schleier gesetzt: 16 Musiker, und es klingt wirklich gut, aber ich musste kämpfen, kämpfen, kämpfen.

O&T: Es ist schon schön zu sehen, wie Kreative auch jetzt im Umgang mit den neuen Bedingungen kreativ sind, sich darauf einstellen und einfach sofort etwas Neues machen …

Detrich: Absolut, das war eine Chance, das war toll.

O&T: Sie standen ja 25 Jahre als Tänzer auf der Bühne…

Detrich: Ja, das kann sein – oder 26 Jahre.

O&T: Es heißt, dass Sie der Prinz-Typ waren.

Detrich: Ja, alle haben das gesagt, und dann kam Glen Tetley und sagte: „Du musst ‚Voluntaries‘, du musst ‚Arena‘ tanzen.“ Und ich liebte es. Dieses Ballett, das war so spannungsvoll. Manche Kritiker schrieben dann: „Wow, er ist nicht nur ein Prinz.“ Natürlich liebte ich es, andere Rollen zu tanzen. Marcia Haydée hat „Dornröschen“ choreografiert, und das war unglaublich schön. Ricky Cragun war damals Carabosse und hat mir als Prinz die Show gestohlen. Das war okay, ich habe Carabosse dann später getanzt.

O&T: Wie war es dann, mit dem Tanzen aufzuhören?

Detrich: Es war Zeit. Ich hätte weitermachen können, das war das Schöne. Ich habe zwei Jahre lang beides gemacht. Ich habe unterrichtet, ich war Ballettmeister, ich habe Premieren getanzt. Im ersten Jahr war alles neu, im zweiten Jahr wusste ich: Jetzt hab ich eine Zukunft.
Meine letzte Vorstellung war „Onegin“, und ich habe nicht zurück geschaut. Aber ich habe mir diese letzte Performance auch nie angeschaut. Es war eine wunderbare Karriere. Ich habe nichts vermisst, ich habe alle meine Traumrollen getanzt und viele Überraschungen dazu.

O&T: Dann war das eine sehr harmonische Transition? Das ist ja nicht bei jedem Tänzer und bei jeder Tänzerin so.

Detrich: Ich weiß, ich versuche auch, die Tänzer zu unterstützen, weil es so hart ist. Sehr viele junge Leute kommen jetzt zu mir und wollen zum Beispiel einen Tag frei haben, weil sie an der Uni eine größere Prüfung haben. Die sind 22 oder 23 Jahre alt und studieren nebenbei, das ist schön. Manche benötigen aber auch Hilfe – dafür gibt es ja heutzutage die…

O&T: … Stiftung Tanz.

Detrich: Ja, das ist toll. Es gibt eben nicht so viele Möglichkeiten. Ich schaue auch hier bei uns, was ich machen kann. Wenn ich sehe, dass ein Talent da ist, spreche ich ihn oder sie an: „Nicht für heute, nicht für morgen, aber vielleicht in zwei Jahren. Was denkst du?“

Wir müssen das fördern. Ich glaube, dass das vielen Tänzern heute schon in frühen Jahren bewusster ist als in meiner Generation, dass die Karriere sehr kurz ist. Ich dachte damals, die Welt würde sich nie verändern.

O&T: Wie entwickelt sich der Tanz in Deutschland aus Ihrer Sicht? In Fragen des Repertoires, des Stils, auch der Wertschätzung?

Detrich: Die Wertschätzung ist überall unterschiedlich. Stuttgart ist eine Tanzstadt. Wir werden hier unterstützt, das ist großartig. Ich kann einen Ballettabend mit drei neuen Stücken machen, und die Leute kommen, sie sind neugierig, erwartungsfroh. Wir haben hier sehr viel Freiheit uns weiterzuentwickeln.

O&T: Hier in Stuttgart oder in ganz Deutschland?

Detrich: Besonders in Stuttgart, aber auch in ganz Deutschland. Die Compagnien werden unterstützt vom Land oder der Stadt oder von beiden. Das ist in anderen Ländern nicht so.

O&T: Vor einiger Zeit hat die AfD in Baden-Württemberg im Landtag eine Anfrage gestellt bezüglich der Nationalitäten in den Theatern…

Detrich: Ja, entsetzlich!

O&T: Wie haben Sie reagiert?

Detrich: Entsetzlich! I said: „Do I really have to give this information?” Wir sind 27 Nationalitäten, aber es funktioniert wie in einer Nation. Es funktioniert, Punkt. Unsere Sprache ist Kunst, und wir arbeiten alle gemeinsam an einem Ziel.

O&T: Denken Sie, dass Tanz oder auch Theater sich politisch in irgendeiner Form engagieren oder äußern muss?

Detrich: I think, it is a fine line involving yourself politically. I am not saying we can’t be critical – we should be. But I am not a very political person. I am an artistic person. Of course I tell my kids: Go Vote! It is your responsibility. That is how I get political. Aber wir dürfen nicht vergessen: Es gibt so viele Leute, die ins Theater gehen, um den Alltag zu vergessen, die Probleme zu vergessen und die Schönheit zu sehen.

O&T: In einem Interview vor zwei Jahren haben Sie einmal gesagt: „Ich glaube an Europa.“ Tun Sie das immer noch?

Detrich: Yes, I do. I don‘t believe in Brexit. I believe we can only exist in the future as a united Europe.

O&T: Aber wenn wir zum Beispiel nach Ungarn schauen, das Herkunftsland Ihrer Eltern?

Detrich: Es ist entsetzlich, es ist unfass-bar, was da passiert. Es ist nicht so lange her, dass die alle Kommunisten waren. This world is crazy, that‘s why we need art more than ever. Ich habe das den Politikern gesagt: „Wenn, dann müssen wir jetzt rausgehen und uns zeigen!“

O&T: Wir fragen natürlich auch nach der Sanierung des Hauses. Oder wollen Sie dazu am liebsten gar nichts sagen?

Detrich: Das ist eine never ending story. Warten wir das nächste Jahr ab. Dann haben wir die Oberbürgermeisterwahl, die Kommunalwahl. Bis dahin wird sich nicht viel oder gar nichts tun. Aber alle wissen, dass wir die Sanierung brauchen. Das ist nicht das Thema. Das Geld, der Preis ist ein Thema. Der Standort ist ein Thema für mich. Das Stuttgarter Ballett muss in die Innenstadt oder so nah wie möglich. Wir dürfen nicht irgendwo draußen ins Industriegebiet gehen. Und das habe ich deutlich gesagt. When I need to I can fight!

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