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Musik und Gesellschaft

Musik und Gesellschaft. Hrsg. von Frieder Reininghaus, Judith Kemp und Alexandra Ziane. Verlag Königshausen & Neumann, 1.424 Seiten, 2 Bände Hardcover in Halbleinen, 58,00 Euro, ISBN 978-3-8260-6732-0

„Musik ist möglicherweise nicht nur die ‚romantischste‘ der Künste. Mit Sicherheit ist sie von ihren Anfängen bis auf den heutigen Tag eine hochgradig soziale Angelegenheit.“ So lautet der erste Satz der opulent ausgestatteten, 1.424 Seiten umfassenden zweibändigen Publikation. Die Herausgeber betonen: „Musik ist nicht zu denken ohne ihre gesellschaftlichen Funktionen.“ Musik ist immer auch politisch. 107 Autoren dokumentieren dies in 421 Essays, „eine Montage unterschiedlicher Texte“, die diese mit Respekt zu würdigende Arbeit zu einer wichtigen sozialgeschichtlich-musikhistorischen „Anthologie“ macht, die sich, von einigen Ausflügen abgesehen, im Wesentlichen „auf die Breitengrade zwischen Amsterdam und Athen beziehungsweise die Regionen zwischen London oder Lissabon und Leningrad begrenzt sowie auf die letzten 1.000 Jahre“.

Musik und Gesellschaft. Hrsg. von Frieder Reininghaus, Judith Kemp und Alexandra Ziane. Verlag Königshausen & Neumann, 1.424 Seiten, 2 Bände Hardcover in Halbleinen, 58,00 Euro, ISBN 978-3-8260-6732-0

Musik und Gesellschaft. Hrsg. von Frieder Reininghaus, Judith Kemp und Alexandra Ziane. Verlag Königshausen & Neumann, 1.424 Seiten, 2 Bände Hardcover in Halbleinen, 58,00 Euro, ISBN 978-3-8260-6732-0

Entstehung, Wirkung, Geltung und Nachhall, Innovationen, Gärungs- und Reifungsprozesse, Triumphe und Avantgarden, aber auch Notlagen des Musikbetriebs, „Abbruchkanten“ von Entwicklungen, deren Schreibweisen und Kommunikationsformen kommen zur Sprache, Spitzenleistungen wie „Breitensport“. Ein weites Feld, das die ganze Bandbreite der Musik (U- wie E-Musik), des Wissenschaftsjournalismus wie der Musik-Essayistik sichtbar macht, zumal die Autoren aus einem Dutzend Ländern, Musikwissenschaftler wie Journalisten, naturgemäß sehr unterschiedliche Akzente setzen. Zuweilen wagen sie auch ideologisch einseitige Zuspitzungen.

„Was aber ist Musik“, fragt Frieder Reininghaus zu Beginn der Publikation, die mit einem Auftakt von einem Dutzend Essays zu generellen Themen beginnt. Dann folgen in zehn Kapiteln 409 Texte, die zu ausgewählten Ereignissen, Werken, Persönlichkeiten und Leistungen im Musikleben Stellung beziehen. Eingeleitet werden die Essays von Stichworten zu politischen, militärischen, technischen, aber auch orts- und zeitübergreifenden Zusammenhängen, die Querbeziehungen stiften.

Es geht in dieser sozialhistorischen Musikgeschichte, um ein paar konkrete Bespiele zu nennen, um das tridentinische Konzil, die Eröffnung des Teatro Olimpico in Vicenza oder die Royal Academy und das Haymarket Theatre in London, um Monteverdis „Orfeo“, Bachs Brandenburgische Konzerte, Mozarts „Don Giovanni und die #MeToo-Debatte“, die Nürnberger Meistersinger, um Beethovens „ästhetischen Terrorismus“ oder den portugiesischen Fado als „Dirnenlied, Diktatorenschmalz und Touristenschlager“, um „Musik aus dem Stetl“, also Klezmermusik, die Eisenbahn und ihre Musik, Kaffeehausmusik, Spontinis „Fernand Cortez“ , um Richard Wagners Bayreuther Festspielhaus als Pilgerort wie den Jazz aus New Orleans, Lehárs „Lustige Witwe“, Hollaenders Musik zu Josef von Starnbergs Film „Der Blaue Engel“, um Richard Strauss als Präsident der Reichsmusikkammer, um Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“, die Darmstädter Komponisten „und ihre Zuchtanstalt“, aber auch den Deutschen Musikrat, Musik und Fußball, um den „Jahrhundertring“ in Bayreuth 1976, Keith Jarretts Köln Concert, um Michael Jackson und Madonna ebenso wie um das Thema „Frauen im Orchester“ oder die Renaissance der Barockoper. Die Bandbreite dieser Musikgeschichte ist enorm, allerdings auch die der unterschiedlichen Haltungen und Standpunkte der Autoren. Aber es geht nicht immer nur um Sachlichkeit, Wahrheit und Objektivität. Das eben macht den Reiz der Publikation aus, dass sie ein Kaleidoskop subjektiver Meinungen ist.

Die beiden imposanten Bände, die chronologisch angelegt sind, haben weder den Anspruch von musikhistorischer Vollständigkeit noch den des Enzyklopädischen, aber man liest sich fest und begreift nach der Lektüre dieser unkonventionell konzipierten, lebendig geschriebenen europäischen Musikgeschichte einmal mehr, dass Musik nicht nur in der Lage ist, ins Reich elysischer Träume und utopischer Hoffnungen zu entführen und dass sie eben keine unpolitische, schon gar keine „heilige Kunst“ darstellt. „Die Tonkünste dienten stets der Repräsentation von Kirchen und Herrschern, Diktaturen wie Demokratien.“ Die Herausgeber der lesenswerten Publikation haben recht, aber sie waren oft auch Ausdruck mutiger Anklage und engagierten Widerstands gegen Unrecht, Willkür, Ohnmacht und Dummheit, Unterdrückung und Krieg.

Dieter David Scholz

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