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Editorial

Theater medial

Das Theater ist einer der wenigen Bereiche, die, jedenfalls in der unmittelbaren künstlerischen Arbeit, die digitale Revolution bisher nur peripher erfasst hat. Das ist nicht verwunderlich, lebt das Theater doch substanziell von seinem Charakter als Live-Event, garniert allenfalls mit ein paar Audio- oder Video-Einspielungen sowie Werbetrailern auf den Webseiten der Häuser. Doch dann kommt die Pandemie, macht genau dieses Live-Event weitgehend unmöglich und gefährdet, schon durch ihren unersättlichen Griff in die öffentlichen Kassen und die sich daraus zwangsläufig zukünftig entwickelnden Sparzwänge und Verteilungskämpfe, mittelfristig die ohnehin schon verkümmernde gesellschaftliche Akzeptanz des Theaters zusätzlich.

Tobias Könemann . Foto: Johannes List

Tobias Könemann . Foto: Johannes List

Viele Bühnen haben erkannt, dass das Gebot der Stunde lautet, Präsenz zu zeigen – und wenn das eben auf traditionellem Wege nicht geht, dann doch wenigstens medial, und zwar vor allem im flexibelsten Medium, dem Internet. Also wird beherzt Neuland betreten, angefangen mit aus den Küchen und Wohnzimmern der einzelnen Beteiligten zusammengeschnittenen Chor- und Tanz-„Aufführungen“ bis hin etwa zu den „virtual reality“-Angeboten des Staatstheaters Augsburg. Dazwischen gibt es Übertragungen und Abruf-Angebote traditioneller Aufführungen ohne Live-Publikum und eine Anzahl neuer internet-affiner Formate. Um dem keine zusätzlichen Hürden in den Weg zu stellen, haben übrigens Bühnenverein und Gewerkschaften den Künstler/-innen empfohlen, für die Zeit, in der sie ihre Leistungen pandemiebedingt nur noch medial präsentieren können, insoweit auf gesonderte Vergütungen für ihre Urheber- und Leistungsschutzrechte zu verzichten.

Die Entwicklung – sowohl quantitativ als auch qualitativ, insbesondere hinsichtlich neuer Formate – gilt es nun, auch nach der coronabedingten Kunst-Pause, zu verstetigen und auszubauen. Dies gilt im Internet im Allgemeinen und in den Social Media im Besonderen, aber auch in den „traditionellen“ Medien wie dem Fernsehen, denn, wie gesagt, die gesellschaftliche Präsenz des Theaters ist, auch wenn es denn wieder spielt, durch sein bloßes Existieren nicht gesichert. Es wird kämpfen müssen, auch in neuen Arenen.

Liegt hier vielleicht auch eine neue Chance für die „Schaubühne als Moralische Anstalt“? Sicher, diejenigen, die unsere Gesellschafts- und Werteordnung zersetzen wollen, „Querdenker“, „Pegida“, „AfD“ et cetera, wird man ohnehin nicht erreichen. Aber für verunsicherte und mit dem derzeitigen Zustand der Welt – vielfach zu Recht – unzufriedene Bevölkerungsschichten könnte es ein Anker sein, nicht in die vielfältigen Populismus-Fallen zu tappen, sondern zu sehen und zu fühlen, dass kreative Energie eine größere Befriedigung zu erzeugen in der Lage ist als destruktive, und dass Gesellschaftskritik gerade auch innerhalb des „Systems“, zu dem die (darstellende) Kunst zweifellos gehört, möglich und erwünscht ist.

Dazu aber bedarf es der Absicherung durch Präsenz im Alltag, nicht nur für das Theater, sondern für die Kunst allgemein: Wie wäre es denn etwa, der Kunst mit gleicher Selbstverständlichkeit wie dem Sport in den Fernseh-Nachrichten insbesondere der öffentlich-rechtlichen Anbieter, die ja immer noch eine gewaltige Zuschauerreichweite haben, einen täglichen „slot“ einzuräumen, notfalls auch um den Preis der Kürzung des einen oder anderen tiefsinnigen Spieler-Interviews? Ich bin zuversichtlich, dass dies Neugier schaffen und neue Publikumskreise erschließen kann. Und es wäre eine Chance gerade für die öffentlich-rechtlichen Medien, sich durch die Erfüllung ihres so lange vernachlässigten Kulturauftrags und jenseits des unsinnigen Konkurrenzkampfes mit den kommerziellen Anbietern wieder einmal positiv zu profilieren.

Um nicht missverstanden zu werden: Theater bleibt Theater und ist als solches unersetzlich. Theater ist im Kern aber auch Kommunikation. Und die befindet sich gerade weltweit in ihrem vielleicht größten Umbruch – mit unzähligen faszinierenden, aber auch problematischen bis beängstigenden Auswirkungen. Wer das verkennt oder sich dem pauschal verweigert, setzt seine eigene Zukunft aufs Spiel. Und das gilt selbst für so einerseits altehrwürdige, andererseits ansonsten kreativ-innovative Institutionen wie das Theater.

Tobias Könemann

 

 

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