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Kulturpolitik

Langsam Vertrauen aufbauen

Christine Christianus, Frauenbeauftragte des Saarländischen Staatstheaters im Gespräch mit Barbara Haack

Christine Christianus ist Geigerin, Kammermusikerin und Mitglied des Saarländischen Staatsorchesters Saarbrücken. Seit zwei Jahren ist sie die Frauenbeauftragte ihres Theaters. Ihre Tätigkeit als Orchestermusikerin im Staatsorchester ruht in dieser Zeit. Die Stelle der Frauenbeauftragten war erstmals ausgeschrieben worden, Christine Christianus bewarb sich und wurde in dieses Amt gewählt. Barbara Haack sprach mit ihr über ihre Aufgaben und Erfahrungen.

Oper & Tanz: Wie kam es zu der Einrichtung dieser Stelle der Frauenbeauftragten?

Christine Christianus: Hier im Saarland hat sich 2015 die Gleichstellungsgesetzgebung verändert. Die Saarländische Landespolitik hat sich entschlossen, dieses Gesetz auf alle Gesellschaften, die in der Trägerschaft des Landes stehen, auszuweiten. Somit hat die Politik das Staatstheater verpflichtet, diese Stelle einzurichten. Der Stellenumfang richtet sich laut Gesetz nach der Mitarbeiterzahl. In unserem Fall ist es eine halbe Stelle.

O&T: Sie sind Orchestermusikerin im Saarländischen Staats-
theater. Was hat Sie motiviert, sich aus dieser Position heraus für die Stelle der Beauftragten zu bewerben?

Christine Christianus. Foto: Roget Paule

Christine Christianus. Foto: Roget Paule

Christianus: Die Gleichstellungsthematik hat mich immer schon interessiert. Als ich als Stipendiatin in den USA war, gab es damals an unserer Universität schon einen Lehrstuhl zur Genderforschung; in Deutschland gibt es das meines Wissens erst seit 2000. Dieser Blickwinkel wurde mir also schon früh mitgegeben. Von daher hat es mich gereizt, als erste auf dieser Position eigene Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen, Strukturen anzulegen, die dann auch für Nachfolgerinnen nützlich und gangbar sind.

O&T: Was sind genau Ihre Aufgaben? Was fällt an in dieser Position?

Christianus: Die Aufgaben sind im Gleichstellungsgesetz ganz klar festgelegt. Das Ziel ist hauptsächlich, den Blickwinkel der Gleichstellung auf alles zu werfen, was bei uns im Theater vor sich geht, was geplant, entschieden und umgesetzt wird. Eine Frauenbeauftragte stellt die Frage, ob Ideen, ob Entscheidungen, die getroffen werden, gegen die Gleichstellung wirken könnten. Man ist per Gesetz an allen Entscheidungsfindungen beteiligt, um bei allen Prozessen diese Brille der Gleichstellung mitwirken zu lassen. Das beginnt bei der Beteiligung am Auswahlverfahren für Neueinstellungen, von der geschlechtergerechten Ausschreibung bis zur Sichtung der Bewerbungen und den Bewerbungsgesprächen. Es geht auch um die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf oder um Teilzeitbeschäftigung. Hier ist es ganz wichtig, dass man die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen erstmal in persönlichen Gesprächen kennenlernt, dass man langfristig für Eltern und Pflegende gute Bedingungen in ihrem jeweiligen Arbeitsumfeld schaffen kann.

Ich kümmere mich auch ganz profan um bauliche Maßnahmen: Wie sind Umkleidesituationen geregelt? Gibt es einen geschützten Raum für alle? Das Aufgabenfeld ist nahezu unendlich. Natürlich ist auch das Vorgehen gegen sexuelle Belästigung und Diskriminierung Bestandteil.

O&T: Geht es nur um die Rechte der Frauen oder auch um andere Fragen der Gleichstellung und Diskriminierung?

Christianus: Es gibt in der ganzen Bundesrepublik für jedes Land ein Gleichstellungsgesetz. Nur im Saarland hat man sich für die Begrifflichkeit „Frauenbeauftragte“ entschieden. Es ist aber inhaltlich nichts anderes, nur die Bezeichnung ist eine andere. Deshalb bin ich auch nicht ganz glücklich über diesen Titel. Tatsächlich geht es um die Gleichstellung der Geschlechter. Ich sehe mich als Ansprechpartnerin für alle, nicht nur für Frauen, wenngleich zum Beispiel bei der Frage der Lohngerechtigkeit in Deutschland Frauen immer noch statistisch eindeutig benachteiligt sind. Auch im Fall der Diskriminierung oder sexuellen Belästigung sind Frauen etwa sieben Mal öfter betroffen als Männer. Es gibt also einen guten Grund, die Position der Frauen hervorzuheben, aber ich sehe mich auch als Ansprechpartnerin für Männer. Es gibt auch betroffene Männer in Diskriminierungsfällen. Im Übrigen fallen alle denkbaren Gründe für Diskriminierung, also auch Religion oder Weltanschauung, sexuelle Orientierung, Rasse, Ethnie, Behinderung oder Alter in meinen Zuständigkeitsbereich.

O&T: Welche Erfahrungen haben Sie in diesen zwei Jahren gemacht? Wie sind Sie im Theater mit Ihren – sicher auch neuen – Ideen angekommen?

Christianus: Ich war ja die erste in dieser Position. Von daher war nichts vorhanden und nichts selbstverständlich. Die Reaktionen waren zu Beginn extrem unterschiedlich: von wirklich sehr freudig und begeistert bis ängstlich oder skeptisch, auch Augenrollen: „Wer oder was kommt da auf uns zu?“ Es gab einfach viel Unsicherheit – das ist auch verständlich – und es war zunächst ein großer Lernprozess für alle Beteiligten. Neben der Einrichtung eines Arbeitsplatzes – es hat recht lange gedauert, bis ein Plätzchen für ein Büro gefunden wurde – habe ich begonnen, regelmäßige Gesprächstermine zu etablieren und dort immer wieder das Thema Gleichstellung in den Blick gerückt. Mit der Zeit entwickelt sich eine gewisse Selbstverständlichkeit. Aber noch immer bin ich auch damit befasst, dass für mich notwendige Informationen automatisch bei mir landen, damit ich dann auch einhaken oder notfalls widersprechen kann. Das ist immer noch ein Prozess.

O&T: Also gibt es nach wie vor diese Skepsis?

Christianus: Ja, aber mein Ziel war es von Anfang an, konstruktiv zu arbeiten und die Leute mit ins Boot zu holen. Es ist eine große Aufgabe, dieses Gleichstellungsgesetz, das ja in erster Linie für den Öffentlichen Dienst, für die Verwaltung geschrieben, also für Büro- und Beamtentätigkeit ausgelegt ist, auf die Arbeitsrealität in einem Theater zu übersetzen, auf eine Arbeitssituation von Künstlern auf der Bühne, hinter der Bühne, aber auch in den Werkstätten und in der Personalverwaltung. Bei uns ist das Arbeitsspektrum extrem breit und unterschiedlich. Das macht allein diesen Part sehr anspruchsvoll.

O&T: Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielt gerade im Theater sicher eine große Rolle?

Christianus: Ja, auch hier muss man erst einmal in vielen persönlichen Gesprächen herausfinden, wo die Bedürfnisse und Probleme sind. Da sind andere Länder in Europa uns schon etliche Schritte voraus. Es wird, auch um die Arbeitssituation am Theater attraktiv zu halten, ein wichtiger Schritt sein, da voranzukommen.

O&T: Ein schwieriger Part ist sicher der Umgang mit Diskriminierungen oder sexueller Belästigung.

Christianus: Ich habe schnell erkannt, dass es da keine richtige Struktur gab, die für alle Mitarbeiter*innen transparent und nutzbar war. Es gab an unserem Haus Beschwerden, die sehr lange zwischen den verschiedenen Ebenen hin- und hergewandert sind, bis sie bei mir aufgelaufen sind. Das war für die Betroffenen schwer auszuhalten. Das geschah gar nicht unbedingt nur aus bösem Willen, sondern aus einer Unsicherheit heraus, wer denn eigentlich wann eingreifen und Abhilfe schaffen muss. Ich habe mir sehr schnell zum Ziel gesetzt, einen Handlungsablauf für alle Mitarbeiter*innen festzuschreiben. Ich habe eine Richtlinie gegen Diskriminierung und sexuelle Belästigung am Saarländischen Staatstheater verfasst und in diesem Zusammenhang auch die Einrichtung einer betrieblichen Beschwerdestelle initiiert. Beides wurde jetzt umgesetzt.

O&T: Eigentlich sind Sie ausgebildete Musikerin. Als Frauenbeauftragte haben Sie ja quasi gleich zwei neue Berufe, nämlich einen im Bereich der Juristerei und einen weiteren, der Gesprächsführung, Kommunikation, Vertrauensbildung, auch Konfliktmanagement beinhaltet. Haben Sie sich das alles angeeignet?

Christianus: Ich hatte glücklicherweise gleich am Anfang eine Fortbildung zum Thema Gleichstellungsgesetz, die sehr fundiert und gut war. Ich habe außerdem das Glück, dass ich hier in Saarbrücken Anlaufstellen gefunden habe, Juristinnen, die mit der Gleichstellungsthematik vertraut sind und die mir mit freundschaftlicher Unterstützung zur Seite stehen. Die andere Seite ist genauso relevant. Ich denke, ich bin ein Mensch, der sehr gut zuhören, Probleme erfassen und konstruktiv an Lösungen arbeiten kann. Wir haben jetzt am Haus einen Konfliktberater, mit dem zusammen ich die Beschwerdestelle betreue. Wir ergänzen uns gut.

O&T: Zu diesem Aufgabenbereich gehört auch, sich Vertrauen erst einmal zu gewinnen. Kommen inzwischen mehr Menschen zu Ihnen, oder müssen Sie selbst die Dinge ausfindig machen, die nicht gut laufen?

Christianus: Beides. Oft fliegt etwas über die Gänge, man schnappt etwas auf und denkt sich: Da müsste ich mal nachhören. Ich habe auch in unserem Betriebsrat im Haus gute Ansprechpartner. Grundsätzlich denke ich, dass so ein Vertrauen über die Zeit wächst, dass auch die Erfahrungen, die Einzelne in so einem Prozess machen, sich im Haus verbreiten und dass mich deshalb auch mehr Menschen ansprechen.

O&T: Wie wirksam können Sie in Ihrem Haus sein?

Christianus: Es ist ja gar nicht so einfach zu bemessen, was man überhaupt unter Wirksamkeit versteht. Die Ausarbeitung dieser Richtlinie hat, denke ich, einen sehr hohen Wirkungsgrad, in der für alle Mitarbeiter Abläufe klar beschrieben und vorgegeben sind, wie man mit Situationen der Diskriminierung und der sexuellen Belästigung umzugehen hat. Wirksamkeit entsteht auch dadurch, dass man zuhört, dass man Probleme aufnimmt, bündelt und diese dann auch an der jeweiligen Entscheidungsposition vortragen und immer wieder Lösungen einfordern kann. Ich bin im kontinuierlichen Austausch mit der Geschäftsführung. Dort habe ich immer wieder die Möglichkeit, Dinge anzusprechen und – teils mit langem Atem – voranzubringen.

O&T: Und wie steht es um die Gleichstellung von Frauen und Männern, zum Beispiel bei der Bezahlung oder bei Stellenbesetzungen?

Christianus: Bei uns werden ja – das gibt es wohl auch in keinem anderen Arbeitskontext – Stellen in den großen Kollektiven Ballett, Chor, auch bei den Gesangssolisten und Schauspielern bereits geschlechterspezifisch ausgeschrieben. Heißt das, dass dadurch automatisch Parität am Theater herrscht, auch Gerechtigkeit bei der Bezahlung? Das sind Dinge, denen man auf die Spur kommen muss. Dazu muss man erst einmal Ansätze finden, wie man das überprüfen kann.

Ein großer Teil meines Aufgabenfeldes sieht auch vor, dass ein Frauenförderplan am Theater erstellt werden muss. Damit bin ich jetzt zusammen mit der Personalabteilung befasst. Da geht es um Bezahlung, Stellen- und Führungskräftebesetzung, Gremienbesetzung oder Fortbildungsmaßnahmen. Das ist ein aufwändiges Unterfangen, weil auch da die Strukturen einer Beamtenbesoldung nicht so einfach auf ein Theater herunterzubrechen sind, aber ich denke, dass auch da Dinge sichtbar gemacht werden, die vorher nicht hieb- und stichfest auf dem Tisch lagen.

O&T: Hat sich beim Thema sexuelle Belästigung im Bewusstsein der Menschen aus Ihrer Sicht etwas verändert?

Christianus: Ja. Auf alle Fälle. Bei uns am Haus gab es vor nicht allzu langer Zeit – das war eine Initiative des Landes – eine Umfrage unter allen Beschäftigten zum Thema „Zufriedenheit am Arbeitsplatz“. Eine Frage zielte auf Diskriminierungserfahrungen und sexuelle Belästigung. Dort haben 15 Prozent der Mitarbeiter angegeben, dass sie diese Erfahrungen gemacht haben. Und da liegen wir noch deutlich unter dem Bundesdurchschnitt, aber es sind natürlich zu viele.

Da schafft unsere Richtlinie einen niederschwelligen Anlaufpunkt, auch mit der Beschwerdestelle. Es ist festgelegt, dass sich mit diesen Fällen sofort die Geschäftsführung beschäftigen muss. Die ganze Thematik kommt aus der Schmuddelecke ans Licht. Ich bin überzeugt, dass das frühe Ansprechen ein Signal ist – sowohl für die Opfer als auch für die Täter –, dass nichts verharmlost wird.

Es bleibt schwer genug, so etwas überhaupt anzusprechen. Meistens sind sexuelle Übergriffe auch Anzeichen von Machtdemonstrationen und mit einem Machtgefälle verbunden. Wir wissen ja, dass Verträge am Theater extrem leicht kündbar sind, dass Opfer sich oft in einer großen Abhängigkeit befinden und darum bemüht sind, keinen Ärger zu machen. Dazu kommt, dass in unserem Beruf die körperliche Nähe auch oft Ausdruck von künstlerisch Gewolltem auf der Bühne ist und dass die Trennlinie zwischen der Professionalität und den Übergriffen haarfein ist.

Aber das Wissen, dass es nicht nur ein formaler Ablauf ist, bei dem am Ende Aussage gegen Aussage steht, sondern dass diese Gespräche dazu dienen, dass man ohne Gesichtsverlust – das gilt auch für Täter – darauf hinweisen kann, hier wird etwas nicht geduldet, ist oft entscheidend. Das zieht dann schon eine Veränderung der Wahrnehmung und auch der Akteure nach sich.

O&T: Arbeiten Sie mit Themis* zusammen?

Christianus: Ja, und ich bin sehr froh, dass es diese Stelle gibt. Es hat noch eine andere Qualität, an eine externe Stelle verweisen zu können, wo dann das spezielle juristische Knowhow, gebündelt mit der psychologischen Betreuung, angesiedelt ist. Das war absolut überfällig, und ich hoffe sehr, dass das erhalten bleibt und dass Themis auch weiter die nötige finanzielle Ausstattung erhält.

O&T: Es gibt anscheinend keinen klaren Überblick über ähnliche Stellen an anderen Theatern. Gibt es eine Form von Vernetzung mit anderen Häusern in Ihren Aufgabenfeldern?

Christianus: So etwas gibt es bisher nicht. Ein solcher Austausch von Gleichstellungsbeauftragten wäre ein großer Schritt nach vorne. Es gibt Orchester oder Theater in anderen Trägerschaften, die über die Stellen des Trägers mit abgewickelt werden. Ich würde mich auf jeden Fall sehr freuen, wenn es zu einem Netzwerk käme, wenn andere in dieser Position mit mir Kontakt aufnehmen würden.

O&T: Das, was Sie in Saarbrücken schon entwickelt und erreicht haben, könnte ja durchaus ein Modell für andere Häuser sein.

Christianus: Ja, und ich bin sicher, dass Erfahrungen von anderer Seite noch einmal Bilder schärfen und Vorgehensweise bündeln würden. Das wäre sehr wünschenswert.

* Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in den Bereichen Film, Fernsehen oder Theater

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