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Durch Kunst Gesellschaft gestalten

Barbara Gronau im Gespräch

Was ist da in München los? Bettina Reitz leitet seit 2015 die Hochschule für Fernsehen und Film. Im April 2022 wurde Karen Pontoppidan zur ersten Präsidentin der Akademie der Bildenden Künste ernannt. Soeben ist Lydia Grün an die Spitze der Hochschule für Musik und Theater berufen worden. Und die Theaterakademie August Everding besitzt mit Barbara Gronau seit September ihre erste Präsidentin… Grund für Beatrix Leser und Wolf-Dieter Peter, für „Oper & Tanz“ ein erstes Gespräch mit Barbara Gronau zu führen.

Oper & Tanz: Sie kommen in eine Stadt, in der Musik, Theater und generell Kultur eine zentrale Rolle spielen. Wie ist denn das Theater in Ihr Leben gekommen?

Foto: Marie-Laure Briane

Foto: Marie-Laure Briane

Barbara Gronau: Ich wurde 1972 in der DDR geboren und war seit meinem 13. Lebensjahr im Berliner Theaterleben unterwegs. Für mich war Theater eine Ausdrucksform, mit der sich gesellschaftskritische Anspielungen ausdrücken ließen. Es ist ein Livemedium, das sich der vollständigen Kontrolle in gewissem Maße entzieht. Nach der Schule wurde ich Dramaturgie-Assistentin am Maxim-Gorki-Theater – hochspannend genau in der politischen Umbruchszeit von 1990/1991. Neben dem Studium der Theaterwissenschaft habe ich dann immer wieder als Dramaturgin und Kuratorin gearbeitet und war an Stückentwicklungen in der Freien Szene beteiligt. Interessiert hat mich die Arbeit am „Realen“, mit Ausschnitten aus unserer Wirklichkeit oder sogenannten Experten des Alltags auf der Bühne.

O&T: Wahrscheinlich Stoff für ein eigenes Gespräch. Also keine Oper und kein Tanz?

Gronau: 1979 wurde ich in die Kindertanzklasse der Staatlichen Ballettschule Berlin aufgenommen, allerdings hat sich daraus keine Ausbildung entwickelt. Einerseits bin ich froh, dass ich heute einen Beruf habe, den ich quasi lebenslang ausüben kann, auf der anderen Seite ist die Faszination für den Tanz nie verloschen.

O&T: Wie haben Sie die Kompetenzen für die Leitung so einer Institution erworben?

Gronau: Genaugenommen habe ich immer in beiden Feldern gearbeitet: der Wissenschaft und der Kunst. Vor zehn Jahren wurde ich Professorin an der Universität der Künste in Berlin, die ja zahlenmäßig eine der größten Kunsthochschulen Europas ist. Dort ging es vor allem darum, das Verhältnis von künstlerischer Praxis und Theorie zu erneuern. Mit der Leitung der Fakultät Darstellende Kunst waren zudem viele Herausforderungen verbunden, die alle Theaterausbildungen im deutschsprachigen Raum teilen: einem sich verändernden Berufsfeld Rechnung tragen, die Balance zwischen künstlerischer Freiheit und Verwaltung finden und hochschulpolitische Innovationen setzen. Das ist an der Theaterakademie hier in München ganz ähnlich. Unsere acht Studiengänge werden kontinuierlich aktualisiert. Es geht auch darum, die Lust am interdisziplinären und experimentellen Arbeiten zu stärken und neue Kooperationen zu schließen. Schließlich gilt es, den Kontakt zu unseren Sponsor*innen und Förderern zu halten, denn sie unterstützen viele unserer Studierenden darin, in einer so teuren Stadt wie München ein künstlerisches Studium absolvieren zu können.

O&T: Sie kommen, plakativ gesagt, eher aus „dem Performativen“. Müssen Sie Ihren Studierenden hier nicht eher die Essentials wie etwa „gutes Sprechen“ beibringen?

Gronau: Ja, das Handwerk – also technische oder physiologische Aspekte der künstlerischen Praxis – bilden immer die Grundlage, stellen sich bei jeder Disziplin aber anders dar. Opernstudierende bringen oft schon eine ausgereifte Gesangstechnik mit, können aber vielleicht im Bereich Bewegung, Improvisation oder Theorie dazulernen. Schauspielstudierende verfügen vielfach bereits über eine ausgeprägte Körper- und Bewegungskontrolle, bedürfen aber auch des Stimm- und Sprechtrainings um ihre ganze Bühnenpräsenz entfalten zu können.

O&T: ... also auch somatisches Lernen ...

Gronau: Genau. Reflexive Verfahren der Selbst- und Fremdwahrnehmung sind wichtiger Bestandteil des Unterrichts. Bei den Regiestudierenden – aber das gilt eigentlich für alle Studiengänge – stehen heute auch konzeptionelle Überlegungen im Vordergrund. Sie hinterfragen den Dramenkanon oder den Figurentext, setzen sich mit Gender- und Diversitätsfragen auseinander. Das moderne Regietheater arbeitet ja durchaus mit dem klassischen Kanon, sucht ihn aber für unsere Gegenwart zu transformieren.

O&T: Stört da nicht auch die digitale Überflutung?

Gronau: Das Digitale ist Bestandteil unserer Welt und hat Einfluss auf unser aller Leben und Arbeiten. Aber die Fragen „Wie will ich Kunst machen? Wer will ich sein? Wo möchte ich hin?“ – also die existentiellen Fragen und Entscheidungen – sind noch immer dieselben.

O&T: Neigt die digitale Welt nicht zur Selbstinszenierung bis hin zum Narzissmus?

Gronau: All dem wirkt das Theater ja durchaus entgegen. Ob Operngesang oder Maskenbild, alles, was für und auf der Bühne getan wird, entsteht im Ensemble. Die Wirkung der eigenen Arbeit wird im Theater von anderen zumindest mitgetragen. Die Studierenden kommen als Individuen und gehen geprägt durch dieses Kollektiv.
O&T: Inwiefern arbeiten Sie mit den anderen Münchner Institutionen zusammen?

Gronau: Die Hochschule für Musik und Theater ist einer unserer wichtigsten Kooperationspartner – zusammen bieten wir die Studiengänge Musiktheater/Operngesang, Musical, Schauspiel, Regie und Maskenbild an. An der Ludwig-Maximilians-Universität ist der Dramaturgie-Studiengang angesiedelt. Beim Studiengang Bühnenbild und -kostüm kooperieren wir mit der Akademie der Bildenden Künste.

O&T: Stichwort „Bologna“ – hat das Auswirkungen auf die Theaterakademie?

Gronau: Ja, diesbezüglich kommt in den nächsten Jahren Arbeit auf uns zu. Wir werden unsere Curricula anpassen und unsere Schwerpunkte ausbauen. Je stärker standardisierte Bachelor- und Master-Kriterien hereinwirken, umso schwieriger ist es, die künstlerische Praxis in ihrer Eigenlogik zu erhalten.

Q&T: Was planen Sie aktuell?

Das Prinzregententheater, Spielstätte der Theaterakademie. Foto: Maria Goeth

Das Prinzregententheater, Spielstätte der Theaterakademie. Foto: Maria Goeth

Gronau: Wir wollen verstärkt mit jungen Theaterautor*innen zusammenarbeiten. Zum einen können sie den klassischen Kanon bearbeiten und überschreiben, zum anderen Neues schaffen. Mit dem Autor und Leiter des Studiengangs Szenisches Schreiben John von Düffel haben wir hier einen wichtigen Partner. Wir kooperieren für das Brecht-Festival 2023 in Augsburg. Solche Vernetzungen wollen wir dann auch bayernweit und hoffentlich darüber hinaus ausweiten. Insgesamt verstehe ich Theater als Seismographen der Gegenwart. Es geht darum, künstlerische Positionen zur Gegenwart zu entwickeln. Das kann nur durch eine auf Teilhabe, Machtkritik und Gleichberechtigung ausgerichtete Form von Kommunikation gelingen. Die Studierenden sind darin sehr engagiert. Sie wollen Kunst ausüben und Gesellschaft gestalten.

O&T: Zu Ihren nächsten Projekten?

Gronau: Im November zeigen wir die deutsche Erstaufführung von „Twelfth Night“, einer Musical-Fassung von Shakespeares „Was ihr wollt“, die die amerikanische Komponistin Shaina Taub und der britische Theatermacher Kwame Kwei-Armah geschrieben haben. Der originale Shakespeare-Text mischt sich hier brillant mit neu verfassten Songtexten. Die Theaterakademie August Everding war eine der frühen Ausbildungseinrichtungen für Musical in Deutschland. Mit dieser Produktion feiern wir jetzt das 25-jährige Jubiläum unseres Musical-Studiengangs.

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