Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


Hintergrund

Wenn Herz und Kopf gefragt sind

In Berlin wurde der Deutsche Chordirigentenpreis verliehen

Am 15. Oktober fand in Berlin zum 5. Mal der Deutsche Chordirigentenpreis statt. Vergeben wird er vom Forum Dirigieren, einem Projekt des Deutschen Musikrates, und dem RIAS Kammerchor Berlin. Das Preisgeld in Höhe von 5.000 Euro wird von der Deutschen Musik- und Orchestervereinigung unisono und der Vereinigung deutscher Opern- und Tanzensembles (VdO) gestiftet. Der Deutsche Chordirigentenpreis ist der einzige Wettbewerb für Chordirigentinnen und -dirigenten auf nationaler Ebene.

Preisträgerin Hyunju Kwon. Foto: Kai Bienert

Preisträgerin Hyunju Kwon. Foto: Kai Bienert

„Wir suchen die eierlegende-Wollmilchsau“, sagt Justin Doyle, Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des RIAS Kammerchors Berlin sowie Juryvorsitzender des Wettbewerbs, und beschreibt damit die Komplexität der Aufgaben, die ein guter Chordirigent idealerweise mitbringen sollte. In genauer Aufschlüsselung, heißt dies, so Doyle: „Die Partitur besser zu kennen als jeder andere im Raum, ein klares Bild davon zu haben, wie es klingen könnte, eine breite Palette an musikalischem Handwerkszeug zu besitzen, Kommunikationsfähigkeiten durch Bewegung und Körpersprache“ und zudem „den Klang des Chores verbal oder sogar telepathisch zu entwickeln“. Nicht zuletzt: „Das Vertrauen der Sängerinnen und Sänger gewinnen, um sie in die Lage zu versetzen, von ihrer besten Seite zu singen.“

Beim Deutschen Chordirigentenpreis ist es immer wieder spannend zu erleben, wer von den jungen Talenten am meisten von all dem einzubringen vermag. In diesem Jahr schafften es vier Teilnehmer in die Endrunde des angesehenen Wettbewerbs und wieder stand ihnen der RIAS Kammerchor zur Verfügung. Der Chordirigentenpreis ist offizieller Abschluss und Höhepunkt des „Forums Dirigieren“, einem mehrjährigen Förderprogramm des Deutschen Musikrats für den dirigentischen Spitzennachwuchs in Deutschland.

Von den ursprünglich sechs Fördermitgliedern schafften es in diesem Jahr nur zwei bis zum Finale. Daher wurden diesmal auch externe Nachwuchskünstler*innen für den Deutschen Chordirigentenpreis zugelassen. Von den etwa 20 Bewerbungen wurden mit der aus Südkorea stammenden Hyunju Kwon, die zurzeit ihr Konzertexamen in Saarbrücken macht, und Benedikt Kantert, der Chor- und Ensembleleitung in Leipzig studierte und zusätzlich noch ein Orchesterdirigierstudium in Dresden aufnahm, zwei weitere Talente ausgewählt. „Es ist ja sonst ein interner Wettbewerb“ sagt Eva Pegel, die Projektleiterin des „Forum Dirigieren“, „deshalb ist es für uns natürlich spannend, wie sich unsere Stipendiat*innen auch mit anderen messen können und wie das Niveau im Vergleich ist.“ Die beiden vom „Forum Dirigieren“ geförderten Finalisten waren Benjamin Hartmann, der den Maulbronner Kammerchor leitet und seit März auch Künstlerische Leiter des Bachchors Salzburg ist, sowie Nikolaus Henseler, seit August Chordirektor und Kapellmeister am Theater Ulm.

Unumstritten ist die große Souveränität, mit der alle vier arbeiten, auch wenn ihre Arbeitsweise teilweise stark voneinander abweicht. Beim ausgewählten Repertoire galt es Stücke aus drei verschiedenen Epochen zu meistern. An vier hintereinanderliegenden Tagen hatten die vier Musiker*innen jeweils 45 Minuten Probezeit mit dem RIAS Kammerchor, hinzu kam die Generalprobe am Konzerttag.

Hyunju Kwon steht bei der Generalprobe ruhig und gelassen vor dem Chor und agiert fast nur mit Armen und Händen. Ihr Reger klingt im gemäßigten Tempo sehr sonor mit zum Teil schönen dynamischen Abstufungen. Johann Michael Bachs Motette „Nun hab ich überwunden“ könnte man sich gerne auch etwas lebhafter vorstellen, so steht auch hier vor allem der Schönklang des Chors im Vordergrund. Das Stück „You want“ von Joanna Marsh scheint ein wenig durchbuchstabiert, in punkto musikalisches Entfaltungspotenzial wäre da durchaus noch Spielraum.

So überrascht es ein wenig, dass Kwon nach dem vollständigen Durchlauf der Stücke dem Chor zwar etliche Interpretationshinweise zur Linienführung, Betonung und Dynamik gibt, aber – bis auf eine Ausnahme – nichts nochmal ansingen lässt.

Benedikt Kantert hingegen hat in der Generalprobe einen anderen, etwas direkteren Zugriff auf Reger: subtile Tempowechsel erfrischen den Satz und man hört schöne dynamische Abstufungen. In der konzentrierten Generalprobenarbeit geht er freundlich, sachlich und sehr gezielt auf die von ihm noch verbesserungswürdigen Stellen ein, an denen sogleich noch gemeinsam gearbeitet wird.

Benjamin Hartmann gelingt im „Alma redemptoris mater“ von Roxanna Panufnik der Aufbau reizvoller Klangfarben in diesem lebendigen Stimmgeflecht; selbst Klangflächen werden phantasievoll modelliert. Dadurch entsteht eine bewegende, sehr atmosphärische Ausführung, wobei auch das Ensemble eigenen Gestaltungsspielraum bekommt. Letzteres gilt auch für Reger, gerade bei „Wir glauben all an einen Gott“ entsteht so ein wunderbares Spektrum von dynamischen Wechseln, wobei der Klang nie forciert wirkt.

Bei Nikolaus Henseler wirken schon aufgrund seiner langen Arme bereits kleinere Bewegungen ausladend, was manchmal ein bisschen gefährlich zu sein scheint, gerade wenn es um ein klares Erfassen der dynamischen Gestaltung geht. Doch geht Henseler mit großer innerer Ruhe ans Werk; schon allein seine enorme Ernsthaftigkeit verschafft ihm Respekt und Aufmerksamkeit, auch wenn man sich manchmal in der Umsetzung ein bisschen mehr Tempo, Dynamik und Frische wünschen würde.

Worauf es ankommt

Beim entscheidenden Konzert am Abend bekommt Nikolaus Henseler den Publikumspreis zugesprochen. Und tatsächlich gelang es ihm, im engen Kontakt mit den Sängerinnen und Sängern tolle Klangwirkungen zu erzielen. „Die Möglichkeiten mit dem RIAS Kammerchor sind unerschöpflich“, bekundete Henseler noch nach der Generalprobe und ergänzte fast ein wenig prophetisch: „Die Herausforderung im Abschlusskonzert ist, wie weit man da auch ein bisschen zaubern kann.“ Und da Hyunju Kwon auf dieselbe Anzahl an Publikumsstimmen wie Henseler kam, wurde auch ihr ein Publikumspreis zugesprochen. Benedikt Kantert nennt eine für ihn bestehende Schwierigkeit: „Verkörpert man im Konzert noch wirklich die eigenen Ideen und die eigene Art und Weise oder ist man eben nicht mehr authentisch? Das habe ich als große Herausforderung in dieser Woche empfunden.“ Tatsächlich fehlt ihm im entscheidenden Moment des Konzerts ein wenig das Selbstvertrauen, die Musik im Moment ihres Erklingens, im flexiblen und spontanen Wechselspiel mit dem Ensemble zur Entfaltung zu bringen, zu formen und zu gestalten.

Benjamin Hartmann dagegen gelingt am Konzertabend fast alles: Er macht tolle Musik, die eine hohe interpretatorische Phantasie aufweist, gleichzeitig beweist er ein gutes Sensorium für die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Epochen und Stile und immer gestaltet er mit dem Ensemble reizvolle dynamische und klangfarbliche Wechsel. Vielleicht aber wirkt er ein bisschen zu technisch, ein bisschen zu souverän, ein bisschen zu kontrolliert. So bekommt schließlich Hyunju Kwon den Deutschen Chordirigentenpreis zugesprochen. Sie überzeugte Publikum wie Jury mit ihrem ansteckenden Charisma im Moment des Konzerts und agiert, im Vergleich zur Generalprobe, wie ausgewechselt. Mit einnehmender, innerer Freude sowie konzentrierter Angespanntheit führt sie die Sängerinnen und Sänger durch ein Konzert, das durch einen gemeinsamen und von musikalischer Neugier getragenen Gestaltungswillen geprägt ist.

Einer der Finalisten gesteht freimütig: „In meiner Partitur habe ich bestimmte Sachen, Zäsuren und Absprachen, aber der Chor macht es intuitiv anders und besser.“ Selbst Justin Doyle stellt ironisch die Frage: „Wieso braucht die Welt Dirigenten? – Vielleicht ist es besser ohne?“ Seine Antwort: „Es ist unser Auftrag, Beziehung und Vertrauen aufzubauen in beide Richtungen.“ Hyunju Kwon gelang dies am besten, was im Konzert zu fast magischen und wunderbar klangschönen Momenten führte. Letztendlich aber erwiesen sich auch ihre männlichen Kollegen als inspirierende Künstler. Oder wie Nikolaus Henseler und Benjamin Hartmann gelassen und selbstbewusst feststellen: „Aus den Leuten hier wird was, ob mit oder ohne Preis.“

Arne Sonntag

 

Fragen von Arne Sonntag an Tobias Könemann, Geschäftsführer der VdO

Wo liegt das Interesse der VdO Interesse, sich hier finanziell zu beteiligen?

Wir können hier eine Förderung für den Chordirigentinnen und -dirigenten-Nachwuchs leisten. Das sind unsere Partner im Theater! Wir wollen frühestmöglich mit ihnen in Kontakt treten, um sie für die Bedürfnisse der Chöre, insbesondere der Opernchöre, zu sensibilisieren. Mittlerweile können übrigens auch Chordirigentinnen- und -dirigenten Mitglied der VdO werden. Das ist durchaus ein nicht ganz spannungsfreies Thema, aber wir glauben, dass es der richtige Weg ist. Sie werden bei uns Mitglied ausschließlich in ihrer Funktion als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer, nicht etwa in ihrer Funktion als Vorgesetzte oder als Vertreter oder Vertreterin der Geschäftsleitung des Theaters. Als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind Chordirigentinnen und -dirigenten unter Umständen auch in einer schwierigen Situation gegenüber der Leitung. Manchmal sind sie ein bisschen die Frikadelle im Burger und bekommen von oben und unten Druck. Was den Druck von oben angeht, stehen wir ihnen dann zur Seite.

Wie steht es um den künstlerischen Spitzennachwuchs bei den Chordirigenten? Gibt es Defizite?

In der Breite gibt es erhebliche Defizite. Es gibt neben Intendantinnen und Intendanten, die enorme Führungsschwächen haben auch Chordirigentinnen und -dirigenten mit Führungsschwächen. Der Chordirigentenpreis, den wir jetzt schon zum 5. Mal vergeben haben, zeigt, dass die Preisträgerinnen und Preisträger, insofern sie dann tatsächlich in der Oper tätig gewesen sind, nicht nur künstlerisch überzeugt haben, sondern auch als Führungspersönlichkeiten. Da haben wir eine ganze Reihe von Beispielen aus der Vergangenheit des Preises.

Ein wichtiger Punkt ist sicher, dass die Dirigenten im Rahmen des Programms die Chance haben, auch mit Opernchören und Operndirigenten zu arbeiten.

Das ist richtig. Das findet, soweit ich es beobachten kann, noch nicht ausreichend statt. Das ist auch eine Frage der hohen Arbeitsbelastung der Opernhäuser und natürlich auch der Chöre, die ja bekanntlich in fast allen Produktionen drin sind, anders als Solistinnen und Solisten. Aber das ist ein wichtiger Punkt; auch deshalb werden wir diesem Preis die Stange halten und freuen uns schon auf den nächsten Chordirigentenpreis in zwei Jahren.

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner