Die neue Bundeshauptstadt Berlin aber ist ein ausgepowerter Großstadt-Staat. Er ist mit 65 Milliarden Mark doppelt so hoch verschuldet wie Hamburg, mit dem er 1992 noch gleichauf lag. Die Arbeitslosenquote liegt bei rund 20 Prozent. Der Zuschuss des Bundes zum Berliner Haushalt ist im Zuge der Normalisierung nach der Vereinigung von rund 20 Milliarden im Jahr 1991 auf jetzt 7,5 Milliarden Mark reduziert worden. Das Debakel um die Berliner Bankgesellschaft, die mit rund 16.000 Mitarbeitern Berlins zweitgrößter privater Arbeitgeber ist, treibt das Land an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. Nicht zuletzt Berlins Kulturpolitikern muss es den Angstschweiß auf die Stirn treiben, wenn der Regierende Bürgermeister jetzt von einer neuen Dimension des Sparens spricht. Sie stehen ohnehin vor dem Problem, dass die Stadt Berlin erstmals seit rund 300 Jahren seine Hochkultur allein bezahlen soll. Bis 1990 waren es die Brandenburger Hohenzollern, das Königreich Preußen, das Deutsche Reich der Weimarer und der NS-Zeit, die Regierungen des Bundes und der DDR, die da zum Beispiel die vormals Königlichen, jetzt Preußischen Staatstheater, die Staatlichen Bühnen oder die Staatsoper Unter den Linden (mit-)finanzierten. Es war nicht die Stadt Berlin, sondern das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, das drei eigenständige Opernhäuser in Berlin unterhielt. Nur Traumtänzer können glauben, dass die Stadt, deren Steueraufkommen und Wirtschaftswachstum im regionalen Vergleich ganz unten rangieren, diese (Hauptstadt-)Lasten allein zu tragen in der Lage sei. Der jetzt abschlussreife Hauptstadt-Kulturvertrag, nach dem der Bund zunächst bis 2004 das Jüdische Museum, die Festspiele und das Haus der Kulturen der Welt übernimmt, mindert die Probleme nur marginal. Die Bundesregierung hat ihre geringen kulturpolitischen Kompetenzen, kaum war sie nach Berlin umgezogen, kraftvoll in einem neuen Staatsministerium gebündelt, dessen Chef der Volksmund zum Berlin-Minister ernannt hat. Es ist jetzt an der Regierung eines der reichsten Länder der Welt, ihre Hauptstadt nicht zum kulturellen Abwicklungsunternehmen werden zu lassen, es ist aber auch zugleich an den Bundesländern, sich mit dem Bund über seine kulturpolitischen Kompetenzen zu verständigen, bevor die berüchtigte normative Kraft des Faktischen das Grundgesetzt beschädigt. Ein Notopfer Berlin ist gefragt es muss ja nicht wieder eine Steuermarke auf dem Briefumschlag sein. Ihr Stefan Meuschel
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