Blinde Hühner sind jedenfalls schlecht geeignet, ihren Hof zu retten. Sie rennen ihre Köpfe an den Problemen wund ohne Aussicht auf Ordnung und Sichtung: die städtischen Bühnen, das renovierungsbedürftige und darob zum Abschuss freigegebene Deutsche Theater, die Levine-Nachfolge bei den Philharmonikern (der Wunschkandidat des Orchesters Thielemann erklärte bereits: ich bin kein Sparhaushalt-Dirigent), das schon aufgegebene Richard-Strauss-Konservatorium, die städtischen Bibliotheken, die Schließung des Kulturzentrums Einstein, die Museumslandschaft, die freien Kunstszenen, das Literaturhaus und, und, und... Zum Amt der Streichreferentin verdonnertSeit einem Jahr ist Prof. Dr. Dr. Lydia Hartl Kulturreferentin der Stadt München. Zugute wäre ihr zu halten, dass sie von ihrem Amtsantritt weg in ein Loch fiel. Das ist nicht schön, wenn man von großen Projekten träumt und mit ständig kleiner zu backenden Brötchen konfrontiert wird. Sie wurde zum Amt der Streichreferentin verdonnert. Damit wurde sie zur Lieblings-Referentin des Münchner OB Christian Ude, der freilich schon bald der letzte ist, der ihre Fahnen noch hoch hält. Denn die sprachliche Ungeschicklichkeits-Meisterleistung von Helmut Kohl „Wichtig ist, was hinten rauskommt“ begann mehr und mehr auch auf Lydia Hartl abzufärben. Von ihr wurde ein Verfahren gepflegt, das ein Vorfahr von Helmut Kohl, nämlich Konrad Adenauer, zur Perfektion entwickelte: das Aussitzen. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass Adenauer Inhalte aussaß, die seinen Vorstellungen entsprachen. Hartl aber sitzt das Nichts aus. Ihre Verzögerungs-Verhandlungen mit Thielemann wurden zur Farce, noch schwerwiegender aber war wohl ihre Inaktivität im Vorfeld dieser Verhandlungen, als sich die Philharmoniker noch keineswegs auf Thielemann eingeschworen hatten. Es ist wohl kein Geheimnis, dass Hartl Thielemann oder dessen Kunstauffassung nicht sonderlich mag. Hier aber war eines der ausgesessenen Nichts. Keine Alternative wurde in die Debatte gebracht, nicht einmal eine Lenkung der Sicht auf andere ästhetische Möglichkeiten. Schließlich nahmen die Philharmoniker das längst aus den Händen gegebene Ruder selbst in die Hand. Und sie mögen noch davon profitiert haben, dass Mariss Jansons, der avisierte Nachfolger von Lorin Maazel beim Sinfonieorchester des BR, plötzlich mit dem Amsterdamer Concertgebouw liebäugelte, dem Thielemann auch schon Zuneigung bekundet hatte. Hartl war in diesen Schlachten nicht einmal ein Pingpong-Ball. Es ist ein trauriges Zeugnis, dass München unter den Top-Stars nur als zweite Wahl gehandelt wird. Aber mit kreativer Energie könnte ein solches Urteil (siehe Toulouse, siehe Birmingham, siehe Cincinnati, siehe vielleicht auch Freiburg) ins Gegenteil verkehrt werden. Aber das ausgesessene Nichts birgt keine kreative Energie. Streichlistenvorschläge durch die PresseEs mag mitunter so wirken, als habe Lydia Hartl in der Journalistin Sabine Dulz beim konservativen Münchner Merkur so etwas wie eine vorgeschobene medienpolitische Sprecherin gefunden. Die erlaubte sich nämlich gleich nach der ausgerufenen Haushaltssperre, in einem Kommentar eine Streichliste konkret zu benennen. Verzichtbar in München sind ihrer Meinung nach unter anderem die „Puderzucker“-Aktivitäten wie die Musiktheater-Biennale, das Spiel.Art-Festival und die Internationale Dance-Biennale. Das Kinder- und Jugendtheater „Schauburg“ fällt ebenso unter das Verdikt wie das Münchner Filmfest. Als erstes hätte man auf so einen Artikel einen vehementen Einspruch aufseiten von Lydia Hartl erwartet. Die Entgegnung aber unterblieb. Der Verdacht entsteht, dass Lydia Hartl zumindest einige Gelder aus dieser Liste wirklich massiv zurückzufahren versucht. Das aber sind gerade die Aktivitäten, die München aus der deutschen wie auch internationalen Landschaft hervorheben, die die Stadt weit über die kulturellen Zirkel hinaus attraktiv machen. Es darf nicht Anliegen der Kulturreferentin (und auch nicht der Stadt) sein, München zur Provinz herunterzufahren. Auch dann nicht, wenn aus solchermaßen eingefahrenen Mitteln zur Begütigung Brosamen für die städtische Kulturszene abfallen sollten. Denn Eigenes und Internationalität dürfen nie zum Widerspruch ausgebaut werden. Nur wenn Internationales sich wohl fühlt in München, weil es hier kulturellen Widerpart verspürt (Widerpart im Sinne von Ergänzung und Weitung), floriert künstlerisches Leben. Wissenschaftliche Blase: MedienkunstprojektNach so vielen Einzwängungen fragt man sich, was Lydia Hartl überhaupt will. Und wiederum greift das ausgesessene Nichts. Diesmal hat es einen Namen: Medienkunstprojekt „Lab21“. Englisch ausgesprochen („Läb21“) klingt das gut. Nach vielen Verzögerungen und Hinhaltemanövern kam das kurz vor der Haushaltssperre (war es ein Coup von Ude, der schon von der Sperre und daher von der Aussetzung des Projektes wusste?) in den Kulturausschuss. Es lohnt sich, den fast 30-seitigen Entwurf, eine wissenschaftlich geblähte Blase, zu lesen, auch wenn diese Aktion die Beharrlichkeit eines Masochisten erfordert. München soll, wenn man die Quintessenz entschlüsselt (man korrigiere mich) auf 100 mietfreien Quadratmetern informeller Knotenpunkt von Medienkunstprojekten werden, die sich weltweit ereignen. Das kostet, denn man betraut mit Monika Fleischmann (Sitz beim Fraunhofer-Institut in Sankt Augustin) eine internationale Spitzenfrau, für die kommenden drei Jahre mehr als eine Million Euro. Man würde damit Know-how im Werte von 2,5 Millionen Euro einkaufen. Die Aktie springt also um 150 Prozent! Jedes Milchmädchen muss da staunen. Milchmädchen Ude staunte. Und die Sitzung wurde zur Farce. Ude mahnte alle konservativen Kunstlümmel: Niemals in der Vergangenheit wurde von der Gegenwart verstanden, was in der Zukunft künstlerisch produktiv werden würde. Da hat er zwar Recht, und es ist nach seinen eloquent basisarmen Ausführungen gerne zu glauben, dass er das auch nicht versteht. Muss er auch nicht, es hieße nahezu alle OBs der Nation zu überfordern. Aber es gibt ein Korrektiv: den Sachverstand. Medienkunst (die Grünen schummelten den Begriff „Kritische Medienkunst“ unter) wird in Zukunft eine maßgebliche Rolle spielen. Doch die Informationen dazu holen sich die wesentlichen Künstler schon jetzt oder zumindest bald aus dem Netz, das einem informellen Zentrum schon jetzt das Wasser abgräbt. Das Weitere, das Wichtige ist aber die Kreativität, der Witz, der Geist von individuell oder auch kollektiv Tätigen. Das betont schlanke „Lab21“ dürfte von ihnen nur belächelt werden. Oder benutzt wie eine Frittenbude irgendwo. Da sagt der Kopf immer, der Bauch meistens nein. Zukunft heißt Visionen mit dem Potenzial vor Ort verbinden. Was ist, wenn Ersteres nicht erbracht, das Zweite aber außer Acht gelassen wird?
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