Laien zu integrieren ist gerade der letzte Schrei. Jonathan Burrows, ehemals Solist des Londoner Royal Ballet und jetzt erfolgreicher zeitgenössischer Choreograf, tourt zurzeit mit dem Holländer Jan Ritsema: 57 Jahre alt, von Beruf Regisseur. Mit einem nicht oder nur wenig vom Tanz vorgeprägten, ergo auch wenig der Routine erliegenden Partner – quasi als Ästhetik-Präventiv! – hofft Burrows wohl, zur Essenz des Tanzes zurück und damit Neuland zu finden, was als öffentliche Workshop-Schau ja durchaus legitim ist. Aber es überschreitet die Grenzen des beruflichen Ethos, diesen selbstgerecht „Weak dance strong questions“ betitelten täppischen Arbeitsprozess (schwach war der Tanz, von Fragen keine Spur!) als reguläre, mit elf Euro bezahlte Vorstellung zu vermarkten. Und das nicht nur bei den oben genannten Festivals, sondern auch in Amsterdam, Bergen, Frankfurt, London, Paris und bis hin nach Brasilien. Bei Thomas Lehmen, Rockmusiker ursprünglich, expressis verbis auch mal Stahlarbeiter bei Krupp und zurzeit gehätschelt als „artist in residence im Berliner Podewil“, ist der Nicht-Tänzer (der auch choreografieren darf) Teil seines „Realitäts-Konzepts“. Die verbale Einführung seines – künstlerisch schmächtigen – „Mono Subjects“: „Das ist eine Wand, das drei Gitarren“, meint die totale Absage an jegliche Theater-Illusion. Und gemäß dem via Text verkündeten Manifest „Jeder ist, wer er ist“ tanzt jeder in diesem Trio, auch der Amateur, wie er eben kann. Auch der Wahl-Berliner Felix Ruckert, der unter anderem bei Pina Bausch und der Französin Mathilde Monnier tanzte, ist seit 1996 mit bereits mehreren Arbeiten international erfolgreich auf dem Laien-Trip. In seinem neuen „Deluxe Joy Pilot“ (UA Februar 2002 bei der Tanzplattform Deutschland in Leipzig) „behandeln“ seine Tänzer freiwillige Zuschauer auf umstehenden erhöhten Massage-Bänken mit geschickten physiotherapeutischen Griffen, fordern sie später auch zur aktiven Kontakt-Improvisation auf. Der Körper, das andere festivalbeherrschende Thema – gedanklich quasi ein „link“ zum fokussierten Laien. Denn, siehe Thomas Lehmen, man will ja zurück zur Nicht-Theatralität, zurück zu einer undekorierten, zur „nackten“ Wahrheit – zu Bekräftigung derselben er und viele andere auch noch den Herren-Feinripp fallen lassen. Der als Groß-Avantgardist gehandelte Franzose Jerôme Bel gebraucht in seinem tanzlosen „Jerôme Bel“ den entblößten Körper zu strukturalistischen und wahrnehmungstheoretischen Demonstrationen. Im Kielwasser von Bodyart und Aktionskunst – ohne die Provokation eines Herrmann Nitsch, einer Jenny Holzer et cetera – macht Bel, der offen zugibt nicht choreografieren zu können, Furore als zeitgenössischer Choreograf. Die Programmierungsnot der Festivals, sogar der etablierten Theater
schafft eben einen Markt, den clevere „Kunstwerker“
nutzen. Obgleich von Haus aus nicht zur Riege dieser neuen kopfigen
„Konzept-Choreografen“ Lehmen, Bel & Co. gehörend,
hat auch der Ex-Baseler Tanzchef Joachim Schlömer soeben nach
Konzept gearbeitet, obendrein just zum Thema „Körper“:
„The day I go to the body“. Und bleibt, abgesehen von
einem eindringlichen Solo (eine Kleistsche Marionette, die sich
in kreisender Derwisch-Ekstase zum Leben befreit, als exquisites
Körper-Bild!) an der Oberfläche physischer und physikalischer
Body-Gegebenheiten wie Gewicht, Schwerkraft, Schmerz rein illustrierend
hängen. Wahrscheinlich, weil diese Auftragsarbeit der Salzburger
Festspiele zu einem festgesetzten Termin fertig werden musste.
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