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Jeder tanzt, grad wie er kann

Tendenzen im modernen Tanztheater · Von Malve Gradinger

In den 80er-Jahren fuhr man zu den Sommer-Festivals in Avignon, Aix-en-Provence, Arles, Lyon und Montpellier, um den spannenden Aufbruch des zeitgenössischen Tanzes zu erleben. Inzwischen blühen auch hierzulande, überhaupt in jedem Flecken Europas die Tanzfestivals. Tanz vor der Tür, das ist praktisch und bequem. Jedoch zeitigt dieses nun schon flächendeckend etablierte und nach kommerziell bedingter Eigendynamik funktionierende Festivalsystem künstlerische Engpässe und letztlich einen Globalisierungseffekt. Die Masse Festivals braucht massig Futter – das nicht immer vorhanden ist.

Was bleibt da, nur zum Beispiel, einer Münchner Tanzwerkstatt Europa (TWE) anderes übrig, als das zu präsentieren, was bereits kurz zuvor bei der Sommerszene Salzburg und Impulstanz Wien lief, die Woche darauf auch noch das internationale Tanzfest Berlin zieren wird (kostensparend zumindest der klug geplante Festival-Parcours). Und dort oder woanders zu sehen eben just auch jene quick verfertigten, aber börsianisch hochgepuschten modischen Kinkerlitzchen und Pseudo-Avantgardismen.

 
 

Feinripp fallen gelassen. Jerôme Bel. Foto: Lisa Rastl

 

Laien zu integrieren ist gerade der letzte Schrei. Jonathan Burrows, ehemals Solist des Londoner Royal Ballet und jetzt erfolgreicher zeitgenössischer Choreograf, tourt zurzeit mit dem Holländer Jan Ritsema: 57 Jahre alt, von Beruf Regisseur. Mit einem nicht oder nur wenig vom Tanz vorgeprägten, ergo auch wenig der Routine erliegenden Partner – quasi als Ästhetik-Präventiv! – hofft Burrows wohl, zur Essenz des Tanzes zurück und damit Neuland zu finden, was als öffentliche Workshop-Schau ja durchaus legitim ist. Aber es überschreitet die Grenzen des beruflichen Ethos, diesen selbstgerecht „Weak dance strong questions“ betitelten täppischen Arbeitsprozess (schwach war der Tanz, von Fragen keine Spur!) als reguläre, mit elf Euro bezahlte Vorstellung zu vermarkten. Und das nicht nur bei den oben genannten Festivals, sondern auch in Amsterdam, Bergen, Frankfurt, London, Paris und bis hin nach Brasilien.

Bei Thomas Lehmen, Rockmusiker ursprünglich, expressis verbis auch mal Stahlarbeiter bei Krupp und zurzeit gehätschelt als „artist in residence im Berliner Podewil“, ist der Nicht-Tänzer (der auch choreografieren darf) Teil seines „Realitäts-Konzepts“. Die verbale Einführung seines – künstlerisch schmächtigen – „Mono Subjects“: „Das ist eine Wand, das drei Gitarren“, meint die totale Absage an jegliche Theater-Illusion. Und gemäß dem via Text verkündeten Manifest „Jeder ist, wer er ist“ tanzt jeder in diesem Trio, auch der Amateur, wie er eben kann.

Auch der Wahl-Berliner Felix Ruckert, der unter anderem bei Pina Bausch und der Französin Mathilde Monnier tanzte, ist seit 1996 mit bereits mehreren Arbeiten international erfolgreich auf dem Laien-Trip. In seinem neuen „Deluxe Joy Pilot“ (UA Februar 2002 bei der Tanzplattform Deutschland in Leipzig) „behandeln“ seine Tänzer freiwillige Zuschauer auf umstehenden erhöhten Massage-Bänken mit geschickten physiotherapeutischen Griffen, fordern sie später auch zur aktiven Kontakt-Improvisation auf.

Der Körper, das andere festivalbeherrschende Thema – gedanklich quasi ein „link“ zum fokussierten Laien. Denn, siehe Thomas Lehmen, man will ja zurück zur Nicht-Theatralität, zurück zu einer undekorierten, zur „nackten“ Wahrheit – zu Bekräftigung derselben er und viele andere auch noch den Herren-Feinripp fallen lassen. Der als Groß-Avantgardist gehandelte Franzose Jerôme Bel gebraucht in seinem tanzlosen „Jerôme Bel“ den entblößten Körper zu strukturalistischen und wahrnehmungstheoretischen Demonstrationen. Im Kielwasser von Bodyart und Aktionskunst – ohne die Provokation eines Herrmann Nitsch, einer Jenny Holzer et cetera – macht Bel, der offen zugibt nicht choreografieren zu können, Furore als zeitgenössischer Choreograf.

Die Programmierungsnot der Festivals, sogar der etablierten Theater schafft eben einen Markt, den clevere „Kunstwerker“ nutzen. Obgleich von Haus aus nicht zur Riege dieser neuen kopfigen „Konzept-Choreografen“ Lehmen, Bel & Co. gehörend, hat auch der Ex-Baseler Tanzchef Joachim Schlömer soeben nach Konzept gearbeitet, obendrein just zum Thema „Körper“: „The day I go to the body“. Und bleibt, abgesehen von einem eindringlichen Solo (eine Kleistsche Marionette, die sich in kreisender Derwisch-Ekstase zum Leben befreit, als exquisites Körper-Bild!) an der Oberfläche physischer und physikalischer Body-Gegebenheiten wie Gewicht, Schwerkraft, Schmerz rein illustrierend hängen. Wahrscheinlich, weil diese Auftragsarbeit der Salzburger Festspiele zu einem festgesetzten Termin fertig werden musste.
Keine Frage, dass der zeitgenössische Tanz sich immer wieder neu ausloten soll. Unter dem aktuellen Nachfrage-Stress scheinen die Choreografen jedoch hart nach der Sensation zu schielen. Und müssen wohl, wenn sie als freischaffende Künstler überleben wollen, sich dem Diktat des verlangten heißen Kick und dem Produktionsdruck beugen. Zum Reifen braucht Kunst allerdings immer noch Zeit.

Malve Gradinger

 

 

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