Poulencs Dreiakter nach Gertrud von le Forts berühmter Novelle „Die Letzte am Schafott“ gilt zu Recht als ein Kernstück der französischen Opern-Moderne. Mit seiner bohrend religiösen Thematik nimmt er zudem eine Sonderstellung im Musiktheaterschaffen des vergangenen Jahrhunderts ein. Der Musik der „Karmeliterinnen“ merkt man es aber denn doch an, dass der Pariser Komponist bei aller Inbrunst für das Sakrale und Mystische seine Liebe zum schwelgerischen, oft gar gefällig reproduzierten Puccini-Sound nicht unterdrücken konnte. Einigen Passagen der Oper haftet deutlich etwas Zwitterhaftes an. Der makabre Gang zum Schafott unter dem liturgischen Appell des „Salve Regina“ ist nicht ohne frömmelnde Attitüde. Doch wird man in Lehnhoffs eindringlicher Inszenierung immer wieder unmittelbar berührt vom brüsk aufflammenden dramatischen Atem der Musik, der das eher handlungsarme Geschehen antreibt. Einer der stärksten Augenblicke, ehe das finale Fallbeil auf die zum Märtyrer-Tod bereiten Karmeliterinnen niedersaust: Wenn die alte Priorin (grandios: Kythryn Harries) wie ein waidwundes Wild in erbärmlicher Todesangst jeder menschlichen Würde verlustig geht. Ein Bild existenzieller Not in einem Zeitalter der Angst, das – wie wir sehen – jederzeit von neuem beginnen kann. Dagegen nahm sich das salbungsvolle Gebärdenspiel des Nonnenchors weniger überzeugend aus. Pseudo-Feierlichkeit bremst den Fluss der gegen Ende hin ohnehin etwas schleppenden Szenen-Folge, die erst mit dem Gang der Nonnen zum Schafott wieder imposante Wucht gewinnt. Die Deutsche Oper Berlin, die sich der „Karmeliterinnen“ noch vor Amsterdam, Kopenhagen und Paris angenommen hatte, wagte 1994 zu Recht Striche. Hamburgs GMD Ingo Metzmacher ließ sich an der Spitze der leicht störanfälligen Philharmoniker nicht nur auf das eingängig Lyrische und Stimmungshafte von Poulencs Partitur ein, sondern steuerte mit vehementem Schlag auch deren temporäre rhythmischen und orchestralen Entladungen. Ohne die fabelhaften sängerischen Leistungen wäre der Erfolg aber ohne Zweifel nur halb so groß ausgefallen. Anja Silja, die zur Zeit eine erstaunliche Alterskarriere nicht nur als Janácek-Protagonistin macht, hatte man nicht ohne Grund als Lockvogel für das als Selbstgänger kaum taugliche Werk eingesetzt. Die Silja sang die Charakterpartie der willenstarken Mutter Marie, die als einzige Überlebende der jungen Blanche Opfermut einflösst, denn auch mit der ihr eigenen strahlenden Bühnenfestigkeit. Als Blanche bezauberte Ana Maria Martinez mit wunderbar weich schattiertem, ausdrucksmächtigem Sopran, während Danielle Halbwachs als junge Mutter Oberin mit raren Nuancen des Warmherzigen und Bodenständigen brillierte. Großes Format hatte auch Inga Kalna als Constance. Und Kathryn Harries triumphierte mit schonungsloser Grandeur sogar über ihren eigenen Todesjammer. Auch der Chor der Hamburgischen Staatsoper vollbrachte Glänzendes. Chöre treten in dieser Oper ja erst in der Schlußszene auf dem Revolutions-Platz in Aktion, als Gefangene, Wachen und als Volksmenge, die der Komponist jedoch am Ende ganz ohne Text, quasi instrumental, geführt hat. Von Lehnhoff war der Chor zudem ganz aus dem Bühnengeschehen herausgenommen und ins Unsichtbare katapultiert worden: Entsagungsvolle Chor-Arbeit, die jedoch umso mehr Wirkung tat, als sich der „Salve Regina“-Gesang der Nonnen rein und tröstlich wie Sphärenmusik über ihrem Gang zum Schafott erhob. Hamburgs Premierenpublikum applaudierte bewegt.
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