Die auf unterschiedlichen Ebenen mehrere Geschichten erzählende Handlung um Vanessa, die Frau, die eine unbestimmte Zeit auf den Geliebten wartet, dann Hals über Kopf zugreift und damit der nächsten Verwandten die Chance auf Zukunft und Erfüllung raubt, ist ein idealer Stoff für den Regisseur und designierten Intendanten des Theaters Matthias Oldag und das bewährte Ausstatterteam Thomas Gruber und Andrea Kannapee. Sie komponieren eine beziehungsvolle Geschichte über Schweigen, Verschweigen, Reden und Gerede. Eine zusätzliche Deutungsebene wird hier vor allem im Kostüm installiert. Nichts ist da zufällig: Anatol, der junge Fremde – eigentlich (nur) Projektionsfläche der beiden Frauen – hoffnungsvoll schneit er im leichten Sommeranzug herein, um das Haus schließlich schwarz gewandet im Reisemantel zu verlassen. Kurz ist der aufgesetzte Frühling der Vanessa, parallel und gleichzeitig Persiflage zur anfänglichen Frische der jungen Erika, die ihre Jugend verliert. Der musiktheatralische Seelenstriptease ist von der ersten bis zur letzten Minute sehens- und hörenswert, zieht in seinen Bann und schafft tief bewegende Momente. Dass diese Oper eher wenig bekannt und gespielt ist, dürfte kaum in ihrer Form, Struktur und Wirkung begründet sein. Die Partitur dieser echten Oper überrascht immer wieder und bietet dem Chefdirigenten Eric Solén für sein Debüt im Orchestergraben alles, was er braucht, um zu zeigen, wie leistungsfähig und motiviert das Phiharmonische Orchester des Theaters gegenwärtig ist. Eine Überraschung im positivsten Sinne ist das musikalische Niveau des Abends, sind die klangliche Ausgewogenheit und dramatische Spannung, die dem Hörer entgegenschlagen, die Sinnlichkeit und der Umgang mit den gebrochenen Tanzstrukturen, die einem eisige Schauer über den Rücken laufen lassen, den langen Orchestervor- und -zwischenspielen. Auch der Opernchor in der Einstudierung von Bernhard Ott erweist sich als außerordentlich stimmig. Aber schließlich ist es vor allem die ideale szenische und musikalische Umsetzung dieses innerlich hochdramatischen Kammerspiels durch ein ausgewogenes Solistenensemble, das diesen Opernabend zu einem Ereignis macht. Anspruchsvoll sind die Partien durchaus, aber die gestalterischen Chancen, die sie den Sängern bieten, sind absolut nicht zu unterschätzen und machen den besonderen Reiz dieses Stückes aus. Die Überraschung des Abends und in jeder Hinsicht großartig mit Schönklang und Durchschlagkraft ist Franziska Rauch als Erika. Hier bleiben keine Wünsche offen. Sabine Paßow, die die Titelpartie übernommen hat, zählt zu jenen Sängerinnen, bei denen man sich nach angesagter Indisposition fragt, wie das dann erst ohne Grippe klingen mag, denn sie überzeugt voll und ganz. In diese Dreieckskonstellation fügt sich Mathias Schulz als Anatol trefflich ein. Mit Teruhiko Komori als Doktor schafft Oldag eine kommentierende dämonische Figur, deren Geschichte einen spezifischen Rahmen bildet. Und auch hier wird die musikalische Sternstunde komplettiert. Ilona Streitberger als Großmutter ist nicht nur stimmlich die hierfür notwendige faszinierend-rätselhafte, stolze Erscheinung. Schließlich macht die ungewöhnlich hohe Textverständlichkeit aller das Ganze zu einem vollkommenen Theatererlebnis. Die Konstellation dieses Abends weckt Hoffnungen auf weitere spannende Opernentdeckungen des zwanzigsten Jahrhunderts und damit auf mehr als ein bloßes Anknüpfen an eine Tradition dieses Theaters, vielleicht sogar auf eine Ära des Musiktheaters, die für Altenburg und Gera gerade beginnt. Tatjana Böhme-Mehner |
||||||||||||||||||||||||||
|
|