„Unmögliche Begegnungen ermöglichen“ nennt die Theaterpädagogin Anne-Kathrin Ostrop das Konzept, welches zeigen soll, dass Theaterpädagogik mehr ist als bloße Vermittlung von Werken, nämlich ein Katalysator, der Theater- und Lebenswelt miteinander in Kontakt bringt. Markus Kosuch, der Ideengeber, Projekterfinder und Regisseur der Hip H’Opera beschreibt seinen Ansatz im zweitägigen gutbesuchten Begleitsymposium so: Opernhäuser haben neben dem Auftrag, Kunst zu produzieren, auch eine Bildungsverantwortung. Das Konzept des erfahrungsbezogenen Lernens zwingt die Opernhäuser, sich auf langfristige Strategien umzustellen. Die Oper sei eine Gattung, die Schülerinnen und Schülern in der Regel eher fremd ist. Deshalb müsse der Erlebnisraum „Oper“ den Schülern insgesamt erschlossen werden, die eigene szenische Interpretation, die dramaturgische Vorbereitung durch die Lehrer, der Aufführungsbesuch, Gespräche mit den Künstlern und ein ausführlicher Blick hinter die Kulissen, alles das diene dazu, die Schwellenängste abzubauen und ein generelles Interesse von Kindern und Jugendlichen an Musik und Theater zu wecken: „Bildung zur Kunst“ und „Bildung durch Kunst“ findet statt. So weit die schöne Theorie. Ein Blick auf die beigefügte Liste mit den Opern, die nach diesem theoretischen Ansatz erarbeitet worden sind, zeigt allerdings auch die Schwachpunkte sofort auf. Funktionieren können nach diesem Konzept nur Nummernopern mit bestimmten Inhalten, nämlich Partnerverhalten, Beziehungsproblemen, Gewaltsituationen, weil das die Themen sind, die Jugendliche automatisch interessant finden. Ideendramen, Stücke ohne Mann-Frau-Themen, Musikdramen mit quasi „absoluter“ Musik (Wagner, Janácek, Schostakowitsch) sowie alles, was die lebenden Komponisten schreiben, können so kaum erschlossen werden. Das Konzept führt also zu einer radikalen Verengung des Opern-Repertoires. Auch stellt sich die Frage, ob nicht eher alternative Theater der richtige Adressat für solche Konzepte sind. Denn die musikalische Qualität – das wurde gebetsmühlenartig in allen Vorträgen wiederholt – ist bei diesem Konzept eine eher zweitrangige Komponente ohne größere Bedeutung. Wer ein Opernhaus besucht, wird da aber ganz anderer Meinung sein, denn gerade das Vergnügen am musikalischen Genuss ist doch das wesentliche Element für einen Opernbesucher. Die begeisterte Publikumsreaktion in den drei ausverkauften Vorstellungen scheint diesem Argument zu widersprechen, aber werden die Familienmitglieder, die ihre tanzenden Kinder beklatscht haben, wirklich vier Wochen später in den „Freischütz“ gehen oder in den neu inszenierten „Rosenkavalier“? Pädagogische PraxisDoch nun zum Stück. In der auf zwei Stunden verkürzten Così waren die „hohen“ Frauenrollen mit klassisch ausgebildeten Sängerinnen besetzt (Nina von Möllendorf als Fiordiligi und Vanessa Barkowski als Dorabella lösten ihre Aufgaben bravourös), die Rolle der Dienerin Despina mit einer Rapperin (Jasmin Shakeri), die keine Mozart-Arien, sondern zwei neu komponierte Rhythmuspatterns zu rappen hatte. In umgekehrter Form war bei den Männern die „tiefe“ Partie ein klassisch ausgebildeter Sänger (der exellent singende und agierende Bass Hans Griepentrog hinterließ den stärksten Eindruck des Abends), die beiden Liebhaber (FlowinImmO als Guglielmo und BOBMALO als Ferrando) waren Rapper, die durch natürliche Musikalität, Originalität und starke Bühnenausstrahlung überzeugten. Durch die soziologische Brille betrachtet, können diese Figurenkonstellationen durchaus viel erzählen über Hochkultur und Bildungsferne, über besser und schlechter gestellte Gesellschaftsschichten, über Armut und Reichtum, über Traditionen ganz verschiedener Art und über Kollisionen aller Art von den großen Staatsaktionen bis in die privaten Details der Annäherung von Frauen und Männern. Leider wurden viele interessante Details von der Tontechnik behindert. Mal waren die Mikros zu laut, mal zu leise, mal mischte sich alles schön rund, mal gar nichts. Zum Glück beherrschten die Schüler des Musikgymnasiums Carl Philipp Emanuel Bach ihre Parts ganz ausgezeichnet, auch wenn ihnen (und den Sängern und Darstellern) der Dirigent Chatschatur Kanajan wenig hilfreich zur Seite stand. Der auch als Komponist genannte Kanajan hat den Schülern offenbar auch nicht erklärt, dass Pop-Musik nicht im Legato gespielt werden kann, oder wie Synkopen funktionieren, oder dass Betonungen Off-Beat gespielt werden müssen. Nach eigenen Aussagen wusste Kanajan vor vier Monaten noch gar nicht, was HipHop ist. Das war leider auch zu hören. Zum Schluss bleibt die hervorragende Arbeit des Tanzensembles, der „Youth Crew“ zu würdigen. Was Nadja Raszewski von der Tanztangente in wenigen Monaten aus vollkommenen Tanz-Laien herausgeholt hat, ist schon eine kleine Sensation. „Das Wichtigste und die größte Herausforderung waren, die jeweiligen Klischees und festgefahrenen Einstellungen zu HipHop und Oper aufzudecken und zu formulieren, um sie dann über den Haufen zu werfen und wirklich etwas NEUES zu kreieren“, schreibt die Raszewski selbst über diese Arbeit. Der Elan und das Engagement der Jugendlichen tut das Seine zur Wirkung hinzu: drei Mal ausverkauftes Haus, Riesenerfolg. Anything goes: So oder so wird die Gattung Oper eine Zukunft haben. Und Mozart, der alte Spielmatz, hätte vielleicht sogar seinen Spaß gehabt. Thomas Heyn
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