Elíasson, der seit 1995 in Berlin ein „Labor für Raum- und Zeituntersuchungen“ leitet, entwarf für „Phaedra“ ein Raumkonzept, das opernübliche Hierarchien auf den Kopf stellte: nicht mehr die Bühne war die Hauptsache, sondern der Zuschauerraum, nicht mehr die Darsteller, sondern das Publikum. Um „die Beziehung von Absender und Empfänger neu zu definieren“, drehte er auch das Orchester um; es spielt nicht mehr vorn im Orchestergraben, sondern hinter dem Publikum im Parkett. Dem opernüblichen Primat des Ohres setzte Elíasson die optische Wahrnehmung entgegen. Passend dazu erblickte man in der Staatsoper Unter den Linden zunächst nur eine riesige Pupille. Es ist laut Mussbach die des Opernbesuchers, des „Zuschauers“: „In jedem Zuschauer ist praktisch die Zentralperspektive als Fluchtpunkt gebunden.“ Diese Versuchsanordnung, die in der Nachfolge von Nonos „Prometeo“ das Verhältnis von Bild und Ton thematisieren wollte, war technisch grandios umgesetzt. In Spiegelwänden erblickte das Publikum sich und das Orchester. Wenn aber die Protagonisten diese Wände durchschritten, wurden sie transparent. Leider hatte dieses Konzept nur wenig zu tun mit den Regieanweisungen und den erzählenden Momenten in Christian Lehnerts Libretto sowie – last but not least – der Musik von Hans Werner Henze. Die Inszenierung ließ die Handlung nur in Umrissen erkennen. Wald- und Jagdszenen waren nicht einmal angedeutet und die bei Henze individuell behandelten Figuren so typisiert, so dass man etwa Phaedra und Artemis kaum unterscheiden konnte. Wie im Vorjahr bei Pascal Dusapins „Faustus, the Last Night“ berücksichtigte Mussbach den Duktus der Partitur kaum. Dass die Uraufführung dieser „Konzertoper“ (so die von Mussbach allzu wörtlich verstandene Gattungsbezeichnung) dennoch zum umjubelten Ereignis wurde, lag neben der perfekten Raumgestaltung vor allem an der Originalität und Durchsichtigkeit der Partitur sowie am hohen Niveau der Interpretation. Fünf Gesangssolisten (die überragende Maria Riccarda Wesseling als Phaedra, Marlis Petersen als Aphrodite, John Mark Ainsley als Hippolyt, der Countertenor Axel Köhler als Artemis und Lauri Vasar als Minotaurus), die in Intonation und Textverständlichkeit Maßstäbliches leisteten, standen dreiundzwanzig Instrumentalisten des von Michael Boder geleiteten Ensemble Modern gegenüber. Sie waren häufig als Charakterdarsteller den Sängern zugeordnet, so das „halbseiden“-sinnliche Saxophon dem Hippolyt und das Horn der Phaedra. Obwohl zur Paarigkeit von Instrument und Sänger noch die Doppelung von Mensch und Göttern hinzutrat, kam es nie zu einer klanglichen Überfrachtung. Vielmehr herrschte meisterliche Ökonomie und Präzision der Mittel. Man konnte die Aufführung des 90-Minuten-Werks also auch – wie einst Bruckner in Bayreuth – mit geschlossenen Augen als primär musikalisches Ereignis genießen. Wie der zum Schluss wiedergeborene Hippolyt hat der 81-jährige Komponist mit diesem jugendfrischen Spätwerk noch einmal zu unerwarteter Schaffenskraft zurückgefunden. „L’Upupa“, 2003 in Salzburg als „letzte“ Henze-Oper präsentiert, ist damit noch ein 14. Bühnenwerk gefolgt. Wenn im zweiten Teil („Am Abend“) die Göttin Phaedra zur Barsängerin mutierte, hörte man sogar frech-laszive Töne. Um die autobiographischen Züge zu unterstreichen, hatte Mussbach dem Hippolyt eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Komponisten gegeben. Der Bühnenfigur im Parkett saß im ersten Rang sein Alter Ego gegenüber, gefeiert wie schon lange nicht mehr. Hippolyt – Henze: Dies war die eigentliche Fluchtlinie, die Konkretisierung des sonst allzu abstrakten Abends. Albrecht Dümling |
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