Konstanze Vernon hat es immer verstanden, sanfte Übergänge zu schaffen: Ivan Liska, ihrem Nachfolger an der Spitze des Staatsballetts, gewährte sie vorab ein Ballettmeister-Jahr zur „Eingewöhnung“. Und Robert North wurde als Gastchoreograf bereits in Bosl-Ballettmatineen bejubelt für sein „Troy Game“, „Light Fandango“ und das Auftragsstück „Musici Veneziani“. Der 62-jährige, aber sehr jugendlich wirkende North vermag sich choreografisch gut auf Studenten einzustellen. Mit ihm könnte sich jetzt Vernons alter Traum von einer Junior-Compagnie verwirklichen. „ Und“, wirft er ein, „mit mir zugleich als Hauschoreograf wird auch Geld eingespart. Ich koste nicht extra.“ Ein weiterer Vorteil: North, der für die Münchner Akademie-Leitung auf die Ballettdirektion in Krefeld und Mönchengladbach verzichtet hat, aber dennoch diesen Bühnen als Chefchoreograf erhalten bleibt, will seinen Münchner Studenten dort Praktika ermöglichen. Auch Engagements könnten sich daraus ergeben, lässt er durchblicken: „Außerdem kann ich meine Choreografien hier zuerst herausbringen, dann in Mönchengladbach oder umgekehrt.“ Sicher eine Kosten sparende Vernetzungsstrategie. Ob sie sich auch künstlerisch auszahlt, wird die Zukunft zeigen. Neues Profil?„Neu ist schon mal, dass ein Mann die Leitung hat – und obendrein ein Choreograf.“ Vernon enthusiastisch: „Das ist für unsere Studenten ein zusätzlicher Ansporn. Und natürlich haben wir Wünsche! Wir brauchen unbedingt auch Pädagogen, die zukünftige Ballettlehrer ausbilden. Die Bosl-Stiftung hat sich vor ein paar Jahren ein zweijähriges Lehrer-Ausbildungsprojekt geleistet. Alle Teilnehmer haben einen Job bekommen, was die Notwendigkeit nur bestätigt. Die Musiklehrer-Ausbildung gehört doch auch ganz selbstverständlich zum Musikhochschul-Lehrplan.“ PPP: Public Private PartnershipKonstanze Vernon zu dieser speziellen staatlich-privaten Partnerschaft: „Die Hochschule, die das ehemalige Trambahn-Depot in der Wilhelmstraße gekauft und renoviert hat, stellt diese Räumlichkeiten zur Verfügung. Sie zahlt weiterhin die Gehälter für die drei Professoren, für vier Lehrer, fünf Lehrbeauftragte, zwei fest angestellte und einige lehrbeauftragte Pianisten. Bosl trägt alles andere. Das umfasst die von der Stiftung direkt hinter unserem Studentenheim gebauten beiden Probenstudios, das subventionierte Wohnen – wer die 200 Euro Monatsmiete nicht aufbringt, kommt trotzdem unter – und die Bosl-Matineen, und zwar von den Gastchoreografen über die Nationaltheater-Miete bis zu den Kostümen und der GEMA. Plus die Teilnahme an den Wettbewerben. Aber auch für die Stiftung ist das Geld knapper geworden. Und wir können nun mal in einer Ballettvorstellung keine Werbeplakate aufhängen wie beim Fußball oder Tennis.“ Deutsche Studenten. NirgendsKonstanze Vernon ist in jüngster Vergangenheit (im Leserforum der Münchner Abendzeitung) hart angegriffen worden: deutsche Studenten würden von ihr nicht genügend gefördert. In den Abschlussjahrgängen seien Ausländer in der Überzahl. Ersteres ist ein abstruser Vorwurf. Als Konstanze Vernon 1976/77 ihre Lehrtätigkeit an der Akademie aufnahm, gab es dort nur deutsche Studenten. Genau ihnen wollte sie mit der Bosl-Stiftung eine bessere Ausbildung ermöglichen. Und damit bessere Berufschancen. Denn wer wüsste besser als Vernon, nach ihrem Engagement an der Deutschen Oper Berlin die langjährige Primaballerina der Bayerischen Staatsoper (1962–80), dass vor allem Amerikaner, Engländer und Franzosen in den Ensembles tanzten – weil sie eine bessere Technik hatten. Tänzer und Choreografen, da nicht an Sprache gebunden, waren übrigens schon im 18. und 19. Jahrhundert die emsigsten Migranten.
In einer globalisierten Welt ist das multikulturelle Profil der „Tanzgemeinde“ zwangsläufig
nur noch ausgeprägter, was North bekräftigt: „Früher
nahm das Londoner Royal Ballet keine ausländischen Solisten
an. Heute dürfen es Polen, Rumänen, Russen, Franzosen,
jede Nationalität sein. Man engagiert eben die Besten.“ Warum
aber sind schon so viele Ausländer bereits in unseren Ballettakademien?
Mit der wichtigste Grund ist sicher, dass ein Abschluss von einer
deutschen Institution den Sprung auf eine der – dank ererbtem
Hoftheatersystem – vielen deutschen Bühnen erleichtert.
Und die Ausländer sind da. Wird ein Schuldirektor sie abweisen,
wenn sie Talent und eine gute Vorbildung mitbringen – nur,
weil sie keine Deutsche sind? Das wäre eine in ein gefährlich
nationalistisches Denken entgleisende Diskriminierung. Neuer FeinschliffAuf solche dringende, eben auch Minderheiten-Berufsziele beachtende strukturelle Veränderungen im deutschen Schulsystem wird man wohl noch eine Zeitlang warten müssen. In der Zwischenzeit wird der neue Akademieleiter Robert North am professionellen Feinschliff seiner Studenten arbeiten: „Das klassische Ballett des 19. Jahrhunderts kann Gefahr laufen, in einem Manierismus zu erstarren. Meine Aufgabe ist es, das Überkünstliche, das Unechte wegzuschleifen, Ballett näher an unsere heutige Realität heranzuführen. Ich möchte die Studenten in allen Stilen fit machen, ihnen zum Beispiel auch Jazzdance beibringen. Aber vor allem werde ich an der Persönlichkeit der Tänzer arbeiten. Denn Bewegung muss immer auch zugleich sprechender Text sein.“ Malve Gradinger
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