Dieser Schwebezustand ist zugleich Stärke und Schwäche der Neuenfels’schen Provokation. Nie kommt der Eindruck auf, die Rattenmetapher und damit der Charakter der Versuchsanordnung sei der alleinige Schlüssel zu seiner Interpretation. Das nimmt ihr die Bedeutungsschwere, gleichzeitig fehlt aber eine wirklich zwingende Bindung zu seiner sehr genauen Analyse der Personenkonstellationen. Zwar begnügen sich zu Elsas Nothelfervision alle gemeinsam mit dem starren Blick in den beleuchteten Zuschauerraum und sind dann mit ihr darüber erschrocken, dass aus dem Bühnenhintergrund tatsächlich ein ansehnlicher junger Mann samt Schwanensarg geschritten kommt; wer ihr aber die – vielleicht auch als Schutz nach außen wirkenden – Pfeile verpasst hat, die sie sich von Lohengrin nur ungern und unter heftigen Schmerzen entfernen lässt, bleibt nebulös. So kulminiert Neuenfels’ Regiearbeit nicht in den köstlichen Pfötchenwink-Momenten, die von den stimmlich überragend disponierten und szenisch fabelhaft agilen Festspielchor-Ratten mit erhabenem Gesang überwölbt werden – Dirigent Andris Nelsons schlägt dazu einen passenden, Weber’sches Brio atmenden Tonfall an. Und sie erschöpft sich auch nicht in den dekorativen Tableaus, wenn dem Volk bei repräsentativen Anlässen erlaubt wird, die Rattenkostüme an die nach oben schwebenden Haken zu hängen, wobei freilich prägnante Tiermerkmale zurückbleiben. Entscheidend sind die genau durchgestalteten Duettszenen. Dass sich im Glas von Elsas Schwanenvitrine, wo Ortrud den Keim des Misstrauens sät, Nelsons Dirigierbewegungen spiegeln, ist nur konsequent. Ebenso prägend wie Neuenfels’ Personenregie und Reinhard von der Thannens luzides Bühnen- und Ausstattungskonzept ist hier die für ein Bayreuth-Debüt erstaunlich souveräne Gestaltungskraft des jungen Letten, mit denen dann im Brautgemach auch die gesangliche Charakterisierung mithalten kann. Jonas Kaufmanns für Apologeten eines ungekränkelten Heroentimbres beinahe zu verhangene Tongebung, sein oft riskantes Zurücknehmen in die mezza voce, zeitigt hier – wie auch in der Gralserzählung – in Verbindung mit der intensiven Darstellung ein nicht bloß vordergründig beeindruckendes, sondern nachdenkliches Rollenporträt. Auch Annette Dasch, bei der ansonsten leider eine monochrome Mittellage und deklamatorische Probleme vorherrschen, hat im dritten Akt mit intensiv aufsteigenden Leuchtfeuern und sensiblen Reaktionen auf den Tenorpartner ihre besten Momente. Die gesanglich makelloseste Phrase gelingt dem eminenten Sängerdarsteller Georg Zeppenfeld als König Heinrich, Heerrufer Samuel Youn ist stimmlich ebenfalls auf der Höhe der Partitur, wohingegen Hans-Joachim Ketelsens Telramund kaum mehr als akzeptabel und Evelyn Herlitzius’ das Unheil förmlich herbeitremolierende Ortrud nur in Verbindung mit der beachtlichen Bühnenpräsenz zu ertragen ist. Am Ende schmückt sie sich mit den Resten von Elsas schwanengefedertem Brautkleid, während dem Erlösungsei ein grausliger Embryo entsteigt, der seine Nabelschnur in handlichen Würstchen-Portionen unters Volk wirft. Das hat mittlerweile die Rattenuniformen gegen Anzüge aus dem Lohengrin-Fanartikel-Shop getauscht. Anregender als diese kurzweilige, aber (noch) nicht konsequent zu Ende gedachte Desillusionierung verlief die Wiederbegegnung mit Stefan Herheims „Parsifal“. Vor allem im zweiten Akt – auch sängerisch dank eines sich hörbar auf diese Momente konzentrierenden Christopher Ventris in der Titelpartie und des beachtlichen Bayreuth-Debüts Susan Macleans als Kundry auf hohem Niveau – entwickelt die Überblendung von deutscher Geschichte und Aspekten der Rezeption echte musikdramatische Wirkung. Erfreulich auch, dass sich die Sparte „Wagner für Kinder“ etabliert hat. Angesichts des stellenweise durchaus Theaterzauber entfaltenden, insgesamt aber dramaturgisch wackeligen „Tannhäusers“ ist hier zwar noch Luft nach oben, das gute musikalische Niveau und die liebevolle Ausstattung zeigten aber den Willen, die Zukunftsaufgabe ernst zu nehmen. Juan Martin Koch
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