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Ins Innere der Menschenseele

Eröffnung der Hamburger Ballett-Tage mit John Neumeier · Von Vesna Mlakar

Ein wenig schwingt es mit, das Bedauern darüber, dass John Neumeier die 36. Hamburger Ballett-Tage unter dem Titel „Fließende Welten“ ohne die zu Spielzeitbeginn noch angekündigte Uraufführung eröffnete. Er konzentrierte sich stattdessen voll und ganz auf die Neueinstudierung zweier früherer Werke, die er vor 10 beziehungsweise 21 Jahren für das Tokyo Ballet – ein Ensemble, das ausschließlich Japanerinnen und Japaner aufnimmt – kreiert hatte: zwei berührende, thematisch ähnliche und dennoch ganz unterschiedliche Stücke von einer Bildhaftigkeit, die sich Szene für Szene verdichtet. Dabei fließen Neumeiers dramaturgisches Feingespür und seine kongenial typische Bewegungssprache mit den Inhalten, Weltanschauungsmetaphern und der konzentrierten Langsamkeit japanischer Kultur zusammen. Für Neumeier jedoch war – wie er selbst im Anschluss betonte – die späte Wiederaufnahme (und wohl auch „Überprüfung“) dieser einerseits expressiv angelegten, andererseits aber ins Innere der Menschenseele zielenden, an den ewigen (Regelkreis-)Lauf des Lebens appellierenden Ballette mit den vertrauten eigenen Solisten eine faszinierende Herausforderung. Er beschränkt sich dabei darauf, aus dem fremden Kulturgut lediglich symbolhafte und sinnliche Impulse zu ziehen. Am besten gelingt die Verquickung östlicher und westlicher Ausdrucksweisen in „Seven Haiku of the Moon“.

 
„Seasons – The Colors of Time“ mit Anna Polikarpova, Lloyd Riggins, Ensemble. Foto: Badekow
 

„Seasons – The Colors of Time“ mit Anna Polikarpova, Lloyd Riggins, Ensemble. Foto: Badekow

 

Ausgangspunkt ist die Bedeutung der zeremoniellen Mondbetrachtung in Japan. Als Gerüst dienen acht Haikus, darunter sieben, deren Schlüsselwort der Himmelskörper ist. Sie werden im Original aus dem Off vorgetragen; die deutsche Übersetzung liefern Übertitel. Ihr verknappt-tiefgründiger, lyrisch-poetischer Gehalt entfaltet in Verbindung mit Neumeiers keineswegs beziehungsweise nur in winzigen Dosen illustrierenden, getanzten Momentaufnahmen beim Zuschauer einen fast meditativen Assoziationssog. Leitfigur ist der einsame Ruderer (Alexandre Riabko), der sein Boot im Bühnenvordergrund über einen nachtstillen See steuert und im Schein des Mondes – personifiziert durch den Prix-Benois-Gewinner Thiago Bordin, ganz in weiß, später einmal in orange-rot, durchweg mit sich wiederholenden, kleinen weichen, sanft gleitenden Bewegungen, weit im Halbrund ausgebreiteten Armen und tiefen Pliés – in erinnerungsgeschwängerte Träumereien gerät. Zu Musik von Bach (ergänzt durch Stücke Arvo Pärts) tänzeln sieben dunkelblau gekleidete Paare wie Wellen auf dem lichtreflektierenden Wasser.

Vom sommerfröhlichen Ballspiel schreiender Kinder und Jugendlicher, in das Riabko und seine Partnerin Joëlle Boulogne freudig einstimmen, entwickelt sich über tristere, von Schneefall getrübte Bilder (ein elegischer Pas de deux der beiden Hauptfiguren, welchen Riabko in einem der folgenden (Haiku-)Bilder ohne die Frau in seinen Armen noch einmal durchspielt) die Geschichte eines Mannes, der „sein zeterndes Weib“ – so eine Verszeile – verloren hat und diese (in verklärender Rückschau?) sehnsüchtig vermisst. Die Visualisierung seines aufgewühlten Empfindens erreicht ihren Höhepunkt in einem Trio, das Riabko durch die Einwirkung des Mondes (also in Gestalt von Thiago Bordin) mit der jetzt sozusagen „vergeistigten“, überirdisch strahlenden Joëlle Boulogne zusammenführt. Nicht unkompliziert, aber höchst gelungen. Neumeier, der auch für Bühnenbild, Kostüme und Lichtregie verantwortlich zeichnet, entpuppt sich dabei als subtiler „Stimmungsmacher“, der gerade durch die mehrfach sich in Wort und Tanz überlagernden Andeutungen – dahingetupft wie japanische Kalligrafie oder Malerei – zu ergreifen vermag. Die sich anschließende Pause mit ihrem lauten Getümmel ist ein harter Bruch; ebenso die Fortsetzung des Abends mit den bedeutend weniger magischen „Seasons – The Colors of Time“.

Schien das Motiv der Jahreszeiten (in der japanischen Kultur und Dichtkunst Metapher für verschiedene Lebensabschnitte oder Liebesgefühle) als Gradmesser für die verrinnende Zeit bereits in der ersten Choreografie immer wieder auf, so erhob Neumeier Winter, Frühling, Sommer und Herbst in seiner zweiten Arbeit selbst zum eigentlichen Thema: als Abfolge der „inneren Jahreszeiten der Existenz und Bestimmung eines Mannes“ (tragend phänomenal: Lloyd Riggins), die naturgegeben mit dem Tod endet. Ihm zur Seite gestellt sind die Zeit (unerbittlich maskulin in seiner Rolle als treibende Kraft: Carsten Jung) und die Erinnerung (mal Mutter, dann Geliebte, zuletzt, verborgen unter dem alten Mantel des die Trommel schlagenden Leiermanns, der Tod).

Anstatt mit poetischer Zartheit oder spiritueller Schönheit arbeitet Neumeier hier plakativ. Riggins, mit Charme und Melone geradezu chaplinesk herausgeputzt, purzelt aus einer der vier großen, die Bühne dominierenden Kastenboxen. Im Schlepptau drei Alter Egos (Dario Franconi, Thomas Stuhrmann und Alexandr Trusch) – perfekte Doubles für diverseste Situationen. In der musikalischen Vermischung von drei asiatischen mit europäischen Komponisten (Debussy, Verdi, Vivaldi und Schuberts „Winterreise“ in Zenders Bearbeitung) lässt er – Schlag auf Schlag mit überdeutlicher Bedächtigkeit – verschiedene Emotionen und Erlebnisschienen aufeinanderprallen. Das Publikum bleibt bloßer Betrachter der Episoden, deren Originalität im Vergleich zum vorangegangenen Haiku-Stück nicht alle Wünsche befriedigt. Und so verwandelt sich zuletzt der in den „Seasons“ angelegte Witz und Humor in Melancholie. Kein guter Ausklang für einen Festspielauftakt!

Vesna Mlakar


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